Zeitgeschichtlicher Comic:Kaleidoskop des Krieges

Zeitgeschichtlicher Comic: Illustrationen aus Alexander Hogh und Jörg Mailliet: Tagebuch 14/18

Illustrationen aus Alexander Hogh und Jörg Mailliet: Tagebuch 14/18

Im geradlinigen Stil des französischen Comics erzählt das "Tagebuch 14/18", wie Jugendliche aus Deutschland und Frankreich die Zeit des Ersten Weltkriegs erlebt haben. Ein Beispiel für hautnahe Teenagergeschichte.

Von Fritz Göttler

Die Jungs hocken auf der steinernen Brüstung der Brücke, auch ein Mädchen ist dabei, und schauen dem Zug entgegen, der sich aus der Ferne heranschiebt: "Wetten, dass ich den Schornstein treffe?" Einer von ihnen hat eine Schachtel mit Gewehrkugeln gefunden, was für ein fabelhaftes Spielzeug. Und tatsächlich, aus dem Schornstein der Lok springt, als sie die Brücke passiert, ein feuriger Wirbel: "Ich habe gewonnen . . ." Es ist der Sommer 1915, in einem Dorf nördlich von Paris. Der Krieg ist - auch, noch - ein Kinderspiel.

"Mit dem Weltkrieg begann ein Vorgang offenkundig zu werden, der seither nicht zum Stillstand gekommen ist", schrieb in den Dreißigern Walter Benjamin. "Hatte man nicht bei Kriegsende bemerkt, dass die Leute verstummt aus dem Felde kamen?"Aus Material, das damals - während der Kriegsjahre oder kurz darauf - geschrieben wurde, wurden die Texte für diesen ungewöhnlichen Band, der zugleich in einer deutschen und einer französischen Version herauskam, zusammengestellt.

Teenagergeschichte aus Deutschland und Frankreich

Hautnahe Teenagergeschichte, drei Tagebücher und ein autobiografischer Bericht, je zwei aus Deutschland, zwei aus Frankreich. Der Schüler Walter, 1897 in Eisenberg/Thüringen geboren, der sich enthusiastisch als Soldat meldet und alle Schrecken der Front erlebt - seine runden Brillengläser scheinen sich von Episode zu Episode zu weiten, wie emotionale Aufnahmegeräte - und fast seinen rechten Fuß verliert. Mit sechzehn beginnt er sein Tagebuch.

René, Jahrgang 1908 aus Villers-Cotterêts, beginnt zehn Jahre nach Kriegsende seine Erinnerungen - schon als sechsjähriger war er von Anfang an im Kriegsalltag fröhlich dabei. Nessi aus dem Erzgebirge, geboren 1900, folgt nach Kriegsausbruch begeistert dem kaiserlichen Aufruf, ein Kriegstagebuch zu führen - noch als Erwachsene wird sich an ihrer Einstellung nicht viel ändern (der Band skizziert von allen vier Schreibern den späteren Lebenslauf). Lucien, Jahrgang 1892, studiert bei Kriegsausbruch Medizin an der Militärsanitätsschule in Lyon, erlebt den Krieg vornehmlich in Lazaretten.

Phantastische Unbefangenheit

In der Summe machen die vier den ganzen Krieg mit, die Ideologisierung - es geht gegen den preußischen Drachen, erklärt der Le Petit Journal -, Mobilmachung, Tauglichkeitsprüfung, Abschied, die Brutalität der Front, Nahrungsmittelknappheit, Evakuierung, Lazarett, feindliche Flieger am Himmel, soziale Ungerechtigkeiten - das Saus-und-Braus-Leben in der Stadt Paris -, Kriegsgewinnler.

Das Authentische der Texte wird in die phantastische Unbefangenheit der Jugend verwandelt durch die Bilder von Jörg Mailliet, im klassischen geradlinigen Stil französischer Comics (Eine Auswahl der Bilder ist ab Sonntag, 3. August, im Troisdorfer Bilderbuchmuseum zu sehen). Der Band ist wie ein Kaleidoskop, er versagt sich jede forcierte Dramatisierung des Geschehens. Er zeigt die Schrecken, ohne sie effektheischerisch auszumalen, hält eine bewegende Balance zwischen Nähe und Distanz.

Alexander Hogh (Textbearbeitung), Jörg Mailliet (Bilder): Tagebuch 14/18. Vier Geschichten aus Deutschland und Frankreich. Unter Mitwirkung und mit einem Vorwort von Gerd Krumeich und Nicolas Beaupré hrsg. von Julie Cazier und Martin Block. TintenTrinker Verlag 2014. 117 S., 20 Euro.

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