Fritz Koch spricht über den letzten deutschen Kaiser beinahe zärtlicher als über seinen Vater. Dabei bewundert er den Vater noch heute. Der Vater, der für seine Kinder so geschickt Tauben, Hunde und Pferde aus Holz schnitzte, der seinen Sohn nach preußischen Königen Friedrich nannte.
Der Vater, der als junger Mann in weißer Uniform im Kürassier-Regiment "Königin" diente. Weil es eine Ehre war, für die Königin der Preußen, für die Kaiserin der Deutschen zu reiten und zu streiten. Sogar den nach oben gezwirbelten Schnurrbart trug Ernst Koch wie der Kaiser.
Der Vater wählte auch in Friedenszeiten die Uniform. Als Straßenbahnfahrer war er dem Wetter auf der Plattform schutzlos ausgeliefert. Im Dienst nahe Unter den Linden sah der Vater den Kaiser. Das war das größte Erlebnis, sagt der Sohn.
Erzählt Fritz Koch von seinem Vater, fallen ihm die Worte leicht. Der gestutzte Schnauzer wippt, Bewegung kommt in den gebeugten Oberkörper. Mit 90 wäre er aufgesprungen wie Methusalix, der fidele Greis aus den Asterix-Heften, hätte in den Regalen nach Bildern gesucht. Koch kann nicht mehr springen.
Er sieht kaum, hört schlecht. Seine Stimme ist leise, brüchig. Der Rollstuhl gibt Halt, und die Erinnerungen. Zwei Weltkriege, zwei Ehefrauen und sieben Bundeskanzler hat er in 107 Jahren kommen und gehen sehen. Sein Gesicht ist von diesem Leben kaum gezeichnet.
Man musste siegen gegen die Feinde
Erzählt Koch von seinem Vater klingt er wie der kleine Junge von damals. Der Vater ist für den Sohn ein Held. Doch der Kaiser, "der war wie der liebe Gott".
Gesehen hat er ihn nie. Wilhelm II., der letzte deutsche Kaiser. Der Hohenzoller mit dem Fimmel für Uniformen und Kriegsschiffe forderte für sein Reich einen Platz an der Sonne, das Dichterland sollte Weltmacht sein.
Er konkurrierte mit den anderen Nationen, mit seinen gekrönten Verwandten in London und Sankt Petersburg. Für den Aufstieg zum Großreich nahm der Kaiser auch Krieg in Kauf. Wilhelm II. versicherte Österreich nach der Ermordung des Thronfolgers bedingungslose Solidarität und stürzte sein Volk in einen Krieg.
Für Fritz Koch ist dieser Kaiser ein anderer. Der gütige Monarch, der malte wie Koch, der den Krieg nicht wollte, den die anderen Herrscher hineindrängten. Der Kaiser, der in Frankreich an der Front auf die Knie fiel und beteuerte, dieses Elend habe er nicht gewollt. "Der Kaiser war nicht kriegerisch. Mein Schwiegervater war Zeuge, der hat das gesehen", sagt Koch. "Der Kaiser liebte den Krieg nicht, aber aus Gerechtigkeitsgründen wollten wir siegen, mussten wir siegen. Gegen die Feinde."
Gegen die Russen, die Koch im Zweiten Weltkrieg als bitterarme, fromme Menschen kennenlernte, bevor sie Berlin überrannten. Gegen die Franzosen, die beneidet wurden. Woher diese Feindschaft kam, weiß er nicht. Die anderen werden das besser wissen, sagt Koch. Seine Vermutung: "Alle wollten immer die Ersten sein."
Die Eltern verehrten das Kaiserhaus
Politik hat Fritz Koch nie interessiert. Er hat den sozialdemokratischen Reichspräsidenten Friedrich Ebert verehrt und den Deutsch-Nationalen Paul von Hindenburg trotzdem gewählt. Politik war auch bei seinen Eltern kein Thema. Die Nähe zum preußischen Herrscherhaus haben sie an die Kinder weitergegeben.
Kochs Eltern lernten sich auf dem Gestüt der alten preußischen Adelsfamilie von Arnim in der Uckermark kennen. Der Vater arbeitete nach Entlassung aus dem Kürassier-Regiment als Pferdemeister, die Mutter als Kammerzofe. Nach der Hochzeit zog die Familie nach Berlin.
In Reinickendorf wuchs Fritz Koch unbeschwert mit seiner Schwester auf, tobte mit den Nachbarskindern durch die Straßen und jagte den ersten Flugzeugen hinterher, die im Landeanflug auf Tegel über die Siedlung brausten.
Dann brach der Erste Weltkrieg aus. Blendend heiß war der Tag, an dem der Vater eingezogen wurde. Fritz Koch war sieben Jahre alt. Auf den Straßen herrschte Jubel. Die Familie saß in der Küche und weinte. Die Großmutter schimpfte auf die "ollen Feinde", erzählt Koch.
Schmuck sah der Vater in der Uniform aus. "Grau mit blauen Bändern war die und eine stattliche Haltung hatte er", sagt Koch und lacht - an was kleine Jungen sich eben erinnern. Der Vater war als Kavallerist in Russland stationiert und kümmerte sich um die Pferdetransporte an die Front. Auch der Sohn kämpfte als Späher zu Pferde im nächsten Krieg.
Die Liebe zu Pferden verbindet die beiden, wie die Liebe zum Kaiser. Kochs Lieblingstier? "Na Pferde natürlich."
Das Warten auf Nachricht vom Vater zehrte an den Nerven. Und wenn Ernst Koch dann Heimaturlaub hatte, war der Abschied umso schmerzlicher. Wie die meisten Deutschen hungerte die Familie. Das Nagen im Magen hat Fritz Koch 100 Jahre später nicht vergessen. Die Mutter war froh über jede Almose. Quäker verteilten in der Schulturnhalle Schokolade, Obst und Gemüse an die Kinder.
Die Front verlief nicht nur an den Außengrenzen des Deutschen Reichs. Im Innern hetzten Vaterlandsverteidiger gegen Kriegsgegner. Schon die Jungen auf dem Schulhof fochten Fehden aus und bangten doch alle um Väter und Brüder.
Die Familie hatte Glück, der Vater blieb unverletzt und kehrte nach vier Jahren zurück.
Die Malerei brachte Halt und Gefängnis
Trost und Stärke fand Fritz Koch immer in der Kunst. Schon als Kleinkind bemalte er seine Bauklötze mit Buntstiften. Jede Wand im kleinen Zimmer hängt voll mit Zeichnungen und Aquarellen. Blütenkelche, Pferdenüstern, weite Landschaften, enge Täler. Fritz Koch, der Künstler. Er las Goethe, Storm und Walt Whitman, träumte und malte. Zeitweise konnte Koch von der Kunst leben, seine Familie ernähren. 1936 heiratete er, 1940 kam Tochter Monika zur Welt.
Die Malerei brachte ihn durch zwei Kriege. Sie erleichterte das Warten auf den Vater im Ersten, den Dienst an der Ostfront und russische Gefangenschaft im Zweiten Weltkrieg. Das Reichsluftfahrtministerium von Hermann Göring kaufte seine Bilder, was damit geschah, weiß er nicht.
Die Kunst brachte ihn nach dem Krieg ins Gefängnis. Die sowjetischen Besatzer ließen Koch sechs Tage lang wegen Spionage einsitzen. Koch ist Pazifist, er hatte die zerstörte Nikolaikirche gezeichnet.
Bis zu seiner Pensionierung 1968 arbeitete Koch als Postbote und malte. Erst als die Augen schlechter wurden, legte Koch den Pinsel weg. Seine zweite Frau starb, als er 94 war. Mit 102 Jahren zog er ins Altenheim. Seine Tochter lebt seit Jahrzehnten in den USA und kommt zwei Mal im Jahr nach Berlin. Sechs Freunde hatte Koch in seinem Leben, er hat sie lange überlebt. Alt sein, ist einsam sein. Was bleibt ist die Erinnerung.
"Sie sind mein siebter Freund", sagt Koch, als sich der Besuch aus München schließlich verabschiedet. Die Augen tränentrüb, das Lachen breit bis zu den Ohren.
Fritz Koch verabschiedet sich, wie er es vom Vater vor 100 Jahren gelernt hat. Mit Handkuss.
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