Wagner-Festspiele:Arbeitskampf in Bayreuth

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Die Richard-Wagner-Festspiele zahlen ihrem Bühnenpersonal teilweise Hungerlöhne - deshalb ist jetzt die Eröffnung mit "Tristan und Isolde" vom Streik bedroht.

Olaf Przybilla

Einen Brief an einen deutschen Gewerkschaftsfunktionär hat Toni Schmid in seinem Leben bislang nicht schreiben müssen. In dieser Woche aber musste es sein. Man kann sagen, dass sich der Verwaltungsratsvorsitzende der Bayreuther Festspiele wirklich Mühe gegeben hat, den richtigen Ton dabei zu treffen.

Der rote Premierenteppich vor dem Festspielhaus könnte diesmal leer bleiben: Das Bühnenpersonal rüstet sich zum Streik. (Foto: Foto: ddp)

Nicht versäumen wollte er etwa, dem Gewerkschaftssekretär vorab einige grundlegende Dinge zu erläutern. Dass Bayreuth nicht etwa zu verwechseln sei mit einem privatwirtschaftlich organisierten Musicalunternehmen. Dass es sich bei einer Oper von Wagner auch nicht um "'Evita' mit weniger eingängiger Musik" handle.

Bayreuth ist kein Musicalunternehmen

Und dass man, wolle man nun Tarifverträge für das technische Personal auf dem Grünen Hügel durchdrücken, erst einmal mit "sehr vielen Leuten in Bayreuth, München und Berlin" reden müsse - weswegen man solche Verträge auch gewiss nicht bis zum 25. Juli hinbekomme. An diesem Tag werden die 98. Bayreuther Festspiele eröffnet, im Beisein der deutschen Kanzlerin, des bayerischen Ministerpräsidenten und des fränkischen Bundeswirtschaftsministers.

Der Brief des Bayreuther Verwaltungsratschef an den Berliner Verdi-Bundesvorstand endet mit einem etwas scherzhaften Postskriptum. Verdi, Vorname Giuseppe, habe die Bedeutung Wagners stets vorbildlich erkannt. Da wolle doch nun nicht etwa Verdi, die deutsche Dienstleistungsgewerkschaft, das große Erbe Wagners beschädigen?

Barbara Schneider, sie ist Gewerkschaftssekretärin in Bayreuth, will sich mit solchen Scherzen nicht aufhalten. Sie sagt: "Wir bereiten nun einen Arbeitskampf vor." Die Verträge, mit denen der vormalige Festspielleiter Wolfgang Wagner die Bühnenarbeiter in Bayreuth bislang abgespeist habe, müssten zum Teil als "sittenwidrig" eingestuft werden. Sie halte es sogar für fragwürdig, ob diese Konstrukte jemals rechtswirksam geworden sind.

Löhne unter vier Euro

Berechne man etwa den Stundenlohn, der manchem freiberuflichen Bühnenschlosser in Bayreuth zuletzt wirklich ausbezahlt worden sei, so komme man auf Löhne unter vier Euro. Wenn sich das nicht binnen drei Wochen ändere, so werde das Orchester zur Festspieleröffnung im Dunkeln spielen müssen, fehlender Beleuchter wegen. Und die Kulissen müssten dann womöglich die beiden neuen Leiterinnen der Festspiele - Katharina Wagner und Eva Wagner-Pasquier - "selbst reinschieben".

Ob diese Vorstellung eines Arbeitskampfes auf der Bühne Bayreuth realistisch ist, vermag die Gewerkschaftsfrau nicht zu beurteilen, sagt sie. Sie sei noch nie bei einer Aufführung im Festspielhaus gewesen. "Das da oben ist etwas für die Hautevolee", glaubt Frau Schneider zu wissen.

Wenn es einen Menschen auf dem Hügel gibt, der als Bindeglied zwischen der alten Ära Wolfgang und der neuen Ära Eva und Katharina zu vermitteln vermag, dann dürfte das Peter Emmerich sein. Ihn hat Wolfgang Wagner noch vor der Wende aus der DDR nach Bayreuth gelotst. Hätte es je eine Stellenbeschreibung aus der Feder Wagners gegeben, so hätte bei Emmerich authentischerweise "Festspielschweiger" stehen müssen, den sprechen wollte er nur ungern. Wagner hat dem Mann aus Dresden erklärt, dass alles, was aus den Mauern des Hügels dringe, von Übel sei.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was sich in Bayreuth seit dem Rückzug Wolfgang Wagners geändert hat.

Jetzt, da die beiden Frauen das Ruder übernommen haben, hat Emmerich eine neue Visitenkarte ausgehändigt bekommen. Er ist nun Leiter der Abteilung Kommunikation. Seine Sätze aber stammen noch immer aus der alten Schule. Auf den Auftritt von Verdi bei Wagner angesprochen, sagt er: "Wir hatten auf dem Hügel schon eine schwarz-weiß-rote Epoche. Danach kam die braune Epoche. Nun soll offenbar die rote Epoche folgen."

Emmerich findet das furchtbar, berichtet aber, dass der Alte den Angriff von Verdi auf Wagner glücklicherweise kaum mehr mitbekomme. Wagner wird bald 90 Jahre alt sein. In sein altes Haus kommt er nur noch, wenn Weggefährten aufkreuzen.

Wer sich dieser Tage umsieht auf dem Hügel, drei Wochen vor der Wiederaufführung von Christoph Marthalers "Tristan und Isolde", der kann dort immer wieder die Geschichte vom guten Hausvater namens Wagner hören. Zum Beispiel von dem Mann auf dem Gabelstapler, der hinter der Absperrung Kulissen schiebt.

Der "Wolferl" kannte noch jeden

Der Mann trägt einen Bart wie Kapitän Ahab, übertrifft diesen aber an Massigkeit. "Unser Wolferl", sagt er, "der hat hier noch jeden persönlich 'kennt." Mit Wolferl ist offenkundig Wolfgang Wagner gemeint, denn der Arbeiter gibt sich als einer zu erkennen, der dem Wolferl schon 1968 die Kulissen geschoben hat - als der Wolferl auf dem Hügel die "Meistersinger" inszenierte. Das sei eine furchtbare Schinderei gewesen, sagt der Staplermann, keine Technik gab es und alles musste man mit der Hand machen.

Unfälle hat es deswegen immer wieder gegeben, weil die Leute hinter der Bühne in diesen wahnsinnigen Wochen von Bayreuth überhaupt nicht mehr ins Bett gekommen seien vor lauter Arbeit. Und warum hat man das so klaglos hingenommen? Der Kollege vom Staplermann, der während der Saison an einem Theater in Tirol arbeitet, antwortet darauf: "Vielleicht, weil es Spaß gemacht hat? Weil es eine Ehre war? Weil es den Wolferl gab?"

Jetzt gibt es immerhin die junge Kathi, die sie am Haus haben aufwachsen sehen. Jeder am Hügel weiß es, dass sie der Grund war für die Hängepartie am Hügel in den vergangenen Jahren. Natürlich hat Hausvater Wagner nur auf den Moment gewartet, bis seine Tochter das Alter erreicht hatte, in dem er ihr die Amtsgeschäfte übertragen konnte - notfalls auch an der Seite ihrer Halbschwester.

Wäre das Erbe des Patriarchen an einen Nicht-Wagner gefallen, so hätte "der Hügel in kürzester Zeit in sich zusammenzufallen" gedroht, sagt einer am Haus. Warum? Weil der alte Wagner eben diese Verträge abgeschlossen habe, die vor der Bismarck-Ära als sozialpolitische Errungenschaft hätten durchgehen können - in den Zeiten von Verdi aber bestenfalls wie eine Groteske wirken.

Auf 16 Millionen Euro beläuft sich der Etat der Festspiele momentan. Wie viel Geld der Bund, das Land, die Stadt und die Wagner-Förderer drauflegen werden müssen, wenn demnächst Verdi die Lohnpolitik bestimmt und nicht mehr Wagner, das weiß am Hügel momentan keiner zu sagen.

Selbstausbeutung für das Katharinderl

Nach den Bühnenarbeitern, den Beleuchtern und den Technikern werden spätestens in der nächsten Spielzeit die Orchestermusiker und die Chormitglieder auf ihr Recht pochen. Wie das dann bezahlt werden soll? "Ich weiß es doch auch nicht", sagt Peter Emmerich.

Andererseits hat Wagner seine Tochter am Ende ja als Nachfolgerin durchsetzen können. Der gewünschte Effekt aber, dass die Leute hinter der Bühne bereit sind, sich künftig auch für das Katharinderl selbst auszubeuten, ist offenkundig ausgeblieben.

Zwei Gründe dürfte das haben: Erstens ist Katharina Wagner nicht wie ihr Vater in der Lage, Verwaltung und Kunst in einer Hand zu vereinen, ebenso wenig wie Eva Wagner-Pasquier. Für die Geschäfte musste daher kurzfristig ein Verwaltungsmann engagiert werden, der nun gar nicht anders kann, als an seinem Auftrag - ein gewerkschaftskompatibles Festspiel zu erschaffen - zu verzweifeln.

Der andere Grund ist etwas mysteriös. Nachdem Katharina jahrelang um die Nachfolge ihres Vaters gekämpft hatte, wirkt es nun - drei Wochen vor ihrer ersten Festspieleröffnung als Chefin - als sei sie auf Gran Canaria abgetaucht. In Las Palmas inszeniert die 31-Jährige gerade den "Tannhäuser", während zu Hause die Gewerkschaft mit einem offenbar sehr ernst gemeinten Arbeitskampf droht.

Tristan-Desaster ohne Licht

Nach offizieller Lesart soll ihre merkwürdige Absenz daran liegen, dass sich die Vertragsverhandlungen am Hügel bis in den Mai verzögert hatten. "Aber für eine Intendanz kommt man aus jedem Theatervertrag heraus", sagt einer am Hügel. Er fühle sich von Katharina "irgendwie verlassen".

Droht das große Tristan-Desaster, ohne Licht? Wolfgang Paul, das ist der Berliner Gewerkschaftssekretär, sagt, er sei wild entschlossen. Toni Schmid, der Bayreuther Verwaltungsratschef, erklärt, in der Kürze der Zeit sei der Abschluss eines Tarifvertrags unmöglich. Die beiden Arbeiter hinter dem Festspielhaus lästern, notfalls könne ja Frau Merkel ein wenig mittun beim Kulissenschieben.

Und Peter Emmerich, der Festspielsprecher, erklärt, man arbeite an einem Notfallplan - tue aber alles dafür, sich vorab mit Verdi zu einigen. Völlig gewerkschaftsfern sind die Festspiele schließlich nicht: Seit sich der DGB nach dem Krieg nicht mit Wucht gegen die Wiederaufnahme der Wagner-Spiele stemmte, sind die Roten Dauergast am Hügel - zwei der 30 Aufführungen pro Saison sind allein Gewerkschaftsmitgliedern vorbehalten.

© SZ vom 04.07.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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