"The Iron Lady" im Kino:Einsame Kämpferin, umgeben von Hyänen

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Kann man in zwei Stunden Kino Margaret Thatcher erfassen? In großer Eintracht wurde "The Iron Lady" in Großbritannien verrissen. Und wer Thatcher hasst, wird aus dem Film auch keinen Gewinn ziehen. Trotzdem hat Meryl Streep den Oscar für die Verkörperung einer Frau, die sich stets von Feinden umgeben sah, absolut verdient - allein schon für die Verachtung, mit der sie ihre Gegner anfunkelt.

Tobias Kniebe

Wer einen Spielfilm über eine legendäre Hassfigur wie Margaret Thatcher macht, soll bitte schön einen ausgewogenen Film drehen. Gegner müssten oft zu Wort kommen, Fehler ihrer Politik klar benannt werden. Am Ende muss eine runde, allseits für alle erkenntnisstiftende Chronik stehen. So ungefähr lautet die Forderung fast aller Kritiker, die "The Iron Lady" gesehen und in der Mehrzahl in großer Eintracht verrissen haben, nicht nur in Großbritannien, dem Land, das Thatcher mit ihrem politischen Wirken bis heute zerrissen hat.

Meryl Streep wurde für ihre Rolle als Margaret Thatcher an diesem Sonntag mit dem Oscar ausgezeichnet. (Foto: dpa)

Das klingt für einen kurzen Moment sogar vernünftig - sie sind plausibel - und ist doch völliger Blödsinn. Als müsste ein Erzähler bei einer solche Persönlichkeit wie Margaret Thatcher nicht sagen: Dies hier ist meine Hauptfigur, alle anderen sind Nebendarsteller. Als stünde er nicht vor der Aufgabe, diese Figur auch zu verstehen; als könnte er der Herausforderung ausweichen, die Welt mit den Augen seiner Protagonistin zu sehen.

Wer ein Leben auf diese Weise dramatisiert, steht unvermeidlich auf der Seite dessen, der es gelebt hat. Das ist nun mal so. Dem weiblichen Triumvirat hinter "The Iron Lady" - der Regisseurin Phyllida Lloyd, der Drehbuchautorin Abi Morgan und der furchtlosen, gerade wieder oskargekrönten der Hauptdarstellerin Meryl Streep - ist diese Voraussetzung bewusst. Und sie sind dann sogar so klug, sie noch einmal zu radikalisieren.

Zu Beginn ihres Films ist Margaret Thatcher eine sehr alte Frau, die am Chester Square in London im Ruhestand lebt. Sie ist noch agil genug, um den Sicherheitsleuten zu entkommen und unerkannt eine Tüte Milch einzukaufen - aber doch schon schwer von Alzheimer gezeichnet.

Ihr Ehemann Denis (Jim Broadbent) ist vor Jahren gestorben - in Thatchers langsam dement werdender Phantasie aber lebt er weiter: Sitzt mit am Frühstückstisch, nimmt zu viel Butter auf den Toast und muss deshalb zurechtgewiesen werden, macht fröhlich seine Witzchen als ewiger Luftikus, der strenger mütterlicher Aufsicht bedarf. Und schon hier wird klar: Alles, was die Zuschauer sehen, werden sie aus der Perspektive Margaret Thatchers sehen.

Irreführend und gefährlich?

Erinnerungen überfallen nun diese alte Frau, holen sie immer wieder heraus aus ihrer grauen, verschwimmenden Gegenwart. Bilder ihrer Kindheit als Tochter eines Kolonialwarenhändlers in Grantham; ihre ersten Auftritte für die Conservative Party, der Aufstieg zur Macht, die bitteren Kämpfe mit Gewerkschaften und Parteifreunden, der Falklandkrieg und der Kampf gegen die Minenarbeiter, der Triumph über den Kommunismus und das Königsdrama ihrer Absetzung. All das sind aber nur noch Erinnerungsfetzen - unvollständige und flüchtige Szenen, ganz und gar eingefärbt vom Blick einer Frau, die zeit ihres Lebens gekämpft hat, oft ganz allein, und sich dabei stets von Feinden umgeben sah.

Man kann es irreführend und sogar gefährlich finden, sich auf diese spezielle Perspektive einzulassen. Dann braucht man den Film allerdings auch nicht anzuschauen. Wer Margaret Thatcher hasst und sich in diesem Hass ganz sicher ist, wird aus "The Iron Lady" keinen Gewinn ziehen.

Interessant aber wird es, wenn man die enggesteckten Grenzen des biografischen Films hier einmal akzeptiert - und dann schaut, wie brillant die Frauen hinter "The Iron Lady" mit diesen Begrenzungen umgehen. Man kann da fast jede Sequenz nehmen - besonders gelungen ist zum Beispiel jene im Frühjahr des Jahres 1980, als Thatcher noch kein Jahr lang Premierministerin ist.

Meryl Streep
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Üblicherweise läuft es im Showbusiness folgendermaßen: Ein hübsche Jungschauspielerin wird erst für ein paar kleinere Nebenrollen besetzt, bevor sie Charakter und Schauspielstärke zeigen und sich für die größeren Rollen profilieren darf. Nicht so bei Meryl Streep. Die "beste Schauspielerin ihrer Generation", so das nahezu einhellige Urteil der Filmbranche, wurde mit ernsthaften Auftritten berühmt. Nun wurde sie zum dritten Mal mit den Oscar ausgezeichnet.

Zunächst darf da, mit wirrem weißen Haar und donnernder Rhetorik, der Labour-Oppositionsführer Michael Foot zu Wort kommen. Im House of Commons beklagt er die große Rezession: die höchste Arbeitslosenzahl seit 1934, den schlimmsten Kollaps der Industrieproduktion seit 1921 - schuld ist natürlich niemand anders als Maggie. Dann ein Schnitt auf tobende Demonstranten, die ihren Kopf fordern, und weiter zu Downing Street Number 10, wo Thatcher und ihr Schatzkanzler Geoffrey Howe sich auf einen Besuch bei der Queen vorbereiten.

Die Minister Heseltine, Pym, Prior und Gilmour stürmen herein - und bestürmen sie, von ihrem knallharten Kurs abzuweichen. Das neue Budget, das mitten in der Krise noch größere Schnitte setzt und so einen noch brutaleren Sparkurs diktiert, ist zur Presse durchgesickert. Das ist Thatcherismus in voller Aktion, das Land tobt - die Minister fürchten um ihre Karrieren.

Zu allem Überfluss hat Thatcher auch noch Probleme mit ihrem blauen Paillettenkleid. Ein Knopf ist abgegangen, eine Helferin näht hektisch am Dekolleté. Wie diese Männer nun um sie herumschleichen wie ein Rudel hinterlistiger Hyänen, die auf das Straucheln der Löwin warten, allen voran Heseltine (Richard E. Grant), der auch der finale Verräter sein wird - das ist brillant inszeniert.

Und dann hält Meryl Streep mit ihrer urbritischen, unbesiegbaren Thatcher-Stimme dagegen: "Ja, die Medizin ist hart, aber der Patient braucht sie, um zu leben. Sollen wir sie ihm vorenthalten? Wir werden die Gesundheit der britischen Wirtschaft wiederherstellen - wenn hier keiner die Nerven verliert. Noch etwas?"

Aufstieg und Sturz

Und in diesem Moment ist auch der Knopf wieder dran, Meryl Streep rückt mit triumphaler Geste ihren gepanzerten Paillettenbusen zurecht - auf in den nächsten Kampf. Männlichkeit, Weiblichkeit, Macht, Standfestigkeit, aber auch Unbelehrbarkeit und Tragik - alles drin. Und allein für die Verachtung, mit der Streep die Hyänen anfunkelt, hat sie ihren dritten Oscar vollauf verdient.

Die größte Provokation ist dabei die Behauptung des Films, er würde ins Innerste seiner Hauptfigur vorstoßen - obwohl Margaret Thatcher nie etwas Inneres preisgegeben hat. Und wenn man sich dann auch noch hinstellt und sagt, dieser Blick von innen könne sowohl Thatchers Aufstieg als auch ihren Sturz erklären, dann ist die Anmaßung perfekt.

Nur dass es eben eine brillante und heroische Anmaßung ist, und am Ende ein ziemlich radikales Stück Kino. Selten wussten drei Künstlerinnen, die etwas Unmögliches versucht haben, so genau, was sie wollten.

THE IRON LADY, GB 2011 - Regie: Phyllida Lloyd. Buch: Abi Morgan. Kamera: Elliot Davis. Musik: Thomas Newman. Mit Meryl Streep, Jim Broadbent, Alexandra Roach. Concorde, 105 Minuten.

© SZ vom 01.03.2012/mapo - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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