Männlichkeit in der Krise:"Ein Mann wird mit 28 zum Genie erklärt und bleibt das für allezeit"

Miranda July, Self Assignment, August 2014

"Frauen sind das Andere, das Komische": Miranda July über Männer und Frauen in der Kunst.

(Foto: Contour by Getty Images; Bearbeitung SZ)

Machen Männer andere Kunst als Frauen? Die Filmemacherin und Autorin Miranda July über den männlichen Blick und die Kleidungsentscheidungen ihres Sohnes.

Interview von Christiane Lutz

Miranda July ist Autorin, Filmemacherin, Schauspielerin, Performancekünstlerin. Aber eigentlich erschafft sie Charaktere. Die Geschichten, die die 43-jährige US-Amerikanerin erzählt, kommen leicht und beinahe schwebend daher. Und tragen dennoch eine große Schwere in sich. Miranda July schreibt über Menschen, einsam, traurig, isoliert. Männer und Frauen, die versuchen, irgendwie mit sich selbst und ihren Gegenübern klarzukommen. Ihr Roman "Der erste fiese Typ" handelt von der 43-jährigen Cheryl, die sich von sich selbst und den Erwartungen anderer, auch Männern, emanzipiert. In München wurde er gerade zum weltweit ersten Mal für die Theaterbühne adaptiert. Inszeniert hat das Stück der Regisseur Christopher Rüping. Zeit, mit Miranda July einmal über die Rollen von Männern und Frauen in der Kunst zu reden.

SZ: Wie finden Sie es, dass ein Mann Ihren Roman inszeniert?

Miranda July: Ich war schon überrascht. Benjamin von Blomberg (Anm. d. Red.: Chefdramaturg der Kammerspiele) und ich haben darüber diskutiert. Aber wenn die Kammerspiele der Meinung sind, dieser Regisseur ist der beste für den Job, dann ist er der beste für den Job. Ich glaube, es kann sehr erhellend für einen Mann sein, sich den Problemen zu stellen, die aufkommen, wenn man Geschichten nur über Frauen erzählt. Der Sexismus, die Voreingenommenheit dem Werk gegenüber wird von Seiten des Publikums und der Kritik nämlich immer noch da sein, obwohl der Regisseur ein Mann ist. Es könnte passieren, dass das ganze Thema der Geschichte missverstanden wird.

Männlichkeit in der Krise - ein Schwerpunkt

Dem Mann geht es nicht gut. Heißt es gerade immer wieder. Man gibt ihm die Schuld an allem, was schief läuft in der Welt. Sexismus, Gewalt, Populismus. Was ist los mit dir, Mann? Zeit für eine Inspektion.

Können Sie es im Fall der Kammerspiele nicht so sehen: Schön, dass sich endlich auch mal ein Mann mit Themen beschäftigt, die gern als Frauenthemen abgetan werden?

Das ist nicht das Problem. Es gab immer schon Männer, die sich für Geschichten über Frauen interessiert haben. Das Problem ist nicht, dass ein Mann eine Geschichte über starke Frauen erzählt. Was mich stört, ist, dass es so ein gigantisches Defizit an Frauen gibt, die Geschichten über irgendwas machen.

Sie selbst erzählen viele Geschichten, machen Filme und Performances, schreiben Bücher. Werden weibliche Filmemacher anders wahrgenommen als, sagen wir, weibliche Autoren?

Absolut. Es ist ganz spannend, zwischen den Medien zu pendeln. Die Filmindustrie ist sehr sexistisch, da geht es noch zu wie in den 50er Jahren. Gefangen in der Vergangenheit. Im Literaturbetrieb ist es nicht so hinderlich, eine Frau zu sein. Das heißt, du musst dich als Frau nicht fragen, ob dein Buch vielleicht nur deshalb nicht veröffentlicht werden könnte, weil du eine Frau bist. So ist es nämlich im Filmgeschäft.

Sogar für Sie, Miranda July?

Man gestattet mir, meine Karriere zu haben. Ich darf genau das machen, was ich machen will. Ich sollte mich nicht beschweren. Aber es ist jedes Mal ein Kampf. Ein männlicher Künstler wird mit 28 zum Genie erklärt und bleibt das dann für Allezeit. Das gibt es bei Frauen nicht. Höchstens, wenn eine Künstlerin mit 60 immer noch rumhängt. Oh, die existiert immer noch? Wir wissen nicht mehr, was wir mit ihr noch anstellen können. Vögeln können wir sie nicht mehr, also nennen wir sie halt Genie. Manchmal spüre ich gar nicht mehr, dass ich mich an diese gewisse Härte, mit der man uns Frauen begegnet, schon gewöhnt habe. Aber hin und wieder kommt es vor, dass man in besonderen Konstellationen arbeitet, wo das Geschlecht keine Rolle spielt und diese Last für einen Moment von meinen Schultern gehoben wird. Dann merke ich erst, wie beschissen das sonst ist. Dieses kleine Bisschen beschissen, wie das Leben für Frauen stets ist.

Warum wird Kunst von Frauen häufig als etwas rezipiert, das nur für Frauen interessant ist, Kunst von Männern hingegen als etwas Universelles?

Das ist wirklich bizarr. Ich glaube, es rührt von der Legende her, dass Frauen nur autobiografisch schreiben können. Als mein erster Film raus kam ("Me and you and everyone we know", 2005), fragten mich vor allem Männer: "Also war das alles einfach ein bisschen improvisiert? Aus Ihrem Leben heraus? Sie haben einfach ein paar Kinder zusammengetrommelt?" Sie hatten den Verdacht, dass ich diesen Film dank einer kindlichen Magie hervorgezaubert hätte, anstatt die gleichen Prozesse zu durchleben, wie jeder Filmemacher: eine Idee haben, sehr, sehr rigoros sein, schreiben, umschreiben und ja, alles erfinden.

Mangelt es Männern denn an der Fähigkeit, sich in weibliche Protagonistinnen einzufühlen?

Sie sind einfach nicht so sozialisiert. Das Auge des Protagonisten war so lange Zeit das Auge eines Mannes. Frauen sind das Andere, das Komische. Dabei möchte ich doch gerade über ganz viele verschiedene Menschen lesen. Geht es darum nicht in der Literatur? Die Perspektive des anderen annehmen? Natürlich ist das erstmal schwierig. Man kämpft gegen Gewohnheiten. Wenn du immer Vollmilch trinkst und dann plötzlich Halbfettmilch, wird dir das dünn und seltsam vorkommen. Aber dann gewöhnst du dich dran. Und plötzlich ist die Vollmilch zu fett. Normalität ist immer nur eine Frage der Gewohnheit. Bescheuert, ich weiß. Die gute Nachricht ist: So eine Wahrnehmung von Literatur kann sich über Generationen ändern. Es ist nichts Genetisches. Und man muss gar nicht viel dafür tun, außer Bücher von Autorinnen zu lesen. Zu genießen, was schon da ist.

Sie haben einen Sohn. Wie erziehen Sie ihn?

Gerade hat er ein Kleid an. Er ist jetzt fünf. Er spielt mit Mädchen und mit Jungs, seine Haare sind lang, weil er gern Pferdeschwanz und geflochtene Zöpfe trägt. Und manchmal trägt er eben Hosen. Es ist ihm egal. An ihm sieht man, was passiert, wenn Kinder von sehr fortschrittlich denkenden Menschen umgeben sind. Ist mir schon klar, dass das allein das große Problem nicht lösen wird, aber ich finde es sehr spannend, ihn zu beobachten.

Er wächst in eine aufgeregte Zeit hinein.

Ich weiß. Wir stecken in einer unfassbaren Krise. Ich meine, es könnte sein, dass Frauen bald keine legalen Abtreibungen mehr haben können.

Und es sind Charaktere an der Macht, die für etwas stehen, was Sie als Künstlerin immer bekämpft haben: für Kumpanei, für patriarchale Strukturen, für Sexismus. Aus feministischer Sicht ein totaler Backlash. Wie geht es Ihnen damit?

Es fühlt sich an wie eine Reality-TV Show. Wir wussten immer, dass im Reality-TV etwas sehr Verstörendes lag. Bisher hat man kluge Seminararbeiten dazu geschrieben, wie Reality-TV die Gesellschaft beeinflussen könnte. Jetzt ist es die Gesellschaft. Es ist dieses Land.

Wie wollen Sie denn als Künstlerin mit dieser Krise umgehen?

Momentan stecken ja alle noch in Projekten, die angeleiert wurden, bevor Donald Trump gewählt wurde. Gerade habe ich an der Serie "I Love Dick" mitgearbeitet, ein sehr radikales, feministisches, lesbisches, multikulturelles Projekt. Die Wahrnehmung dieser Serie wird sich allein dadurch verändern, dass Trump jetzt Präsident ist. Vor ein paar Monaten war ich noch viel besorgter als jetzt. Oh mein Gott! Er wird uns stoppen! Jetzt ist alles ein derartiges Chaos, dass ich das nicht mehr glaube. Meine größere Sorge gilt jetzt seiner Umweltpolitik. Und der Datenpolitik. Aber zurück zur Frage: Ich spüre einen großen Hunger des Publikums auf Geschichten, die anders sind. Menschen möchten jetzt dezidiert Künstler unterstützen, die unter dieser Regierung Schwierigkeiten haben könnten. Da findet ein Backlash auf den Backlash statt. Daraus entsteht eine enorme Energie.

Zeiten von Krise waren immer große Zeiten für die Kunst.

Da ist was dran. Die Gesundheit einer Gesellschaft lässt sich an ihrer Kunst messen. Seit November reagiere ich persönlich so viel stärker auf Kunst. Wir brauchen sichere Orte für unsere Ärger und unsere Wut. Aber wenn ich darüber nachdenke, dass der Präsident Budgets für Kultur kürzen will...

...müssen Sie trotzdem weitermachen!

Das müssen wir alle!

Männlichkeit in der Krise - ein Schwerpunkt

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