Konzerthaus in München:Öffnet den musikalischen Horizont

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Aus alt mach' neu: Die Münchner Philharmonie soll nicht abgerissen, sondern entkernt werden, um dort einen neuen Saal einzubauen. (Foto: Matthias Schönhofer/dpa)

Kultur darf nicht der politischen Harmonie geopfert werden. Doch der Freistaat Bayern und die Stadt München haben mit ihrer Entscheidung zur Sanierung des Gasteigs genau dies getan. München braucht ein neues und kein renoviertes Konzerthaus.

Ein Kommentar von Andrian Kreye

Vernünftige Lösungen sind selten die besten. München wird nun also keinen neuen Konzertsaal bekommen. Stattdessen soll die akustisch mäßige Philharmonie in der Gebäudehülle des Kulturzentrums Gasteig zu einem "Konzertsaal auf Weltniveau" saniert werden. So soll nach Beschluss von Ministerpräsident Horst Seehofer und Bürgermeister Dieter Reiter die langjährige Debatte zu Ende gehen, ob die Stadt München mit ihren vier grandiosen Orchestern nicht auch ein ordentliches Konzerthaus braucht.

Nun gab es eigentlich schon eine Lösung. Im Finanzgarten, einem Parkgelände hinter dem Landwirtschaftsministerium, sollte ein neues Konzertsaalgebäude errichtet werden. Aber bevor man sich Gedanken über politische Winkelzüge macht, über Geld, zusätzliche Räume für das heimatlose Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks oder über den Baumbestand des Finanzgartens, sollte man kurz überlegen, ob das nicht alles Luxusprobleme sind. Wie das bei rhetorischen Fragen so ist, lautet die Antwort "Nein", weil es bei der Debatte um sehr viel mehr geht als um einen Konzertsaal oder den Probenplan der großen Orchester. Es geht um die Konzertstadt München - und um das törichte Argument, die Klassik hätte doch eh keine Zukunft.

Notwendig ist kein renoviertes, sondern ein neues Konzerthaus

Wer in München lebt oder sogar aufgewachsen ist, der erinnert sich wahrscheinlich an ein Gastspiel von Alfred Brendel oder Yo-Yo Ma, an Symphoniekonzerte mit Sergiu Celibidache oder mit Christian Thielemann. Das werden jedenfalls Abende gewesen sein, die auch nach dreißig Jahren noch wirken, denn den emotionalen Bogen, den eine Symphonie, ein Klavierwerk spannen kann, erreicht keine andere Kunstform. Und warum soll man sich in einer Stadt mit einem solchen Barockhimmel und den Alpen als Kulisse nicht dem Pathos hingeben?

Wer Kinder hat, der wird entdecken, dass sich solche Erlebnisse immer noch durchsetzen können gegen eine digitale Kultur, die enormen Sog entwickelt. Es müssen auch nicht gleich Kinderkonzerte sein. Spätestens dann, wenn es günstige Karten gibt, senkt sich der Altersschnitt des Publikums in Opern und Konzerten gewaltig. Es geht in der Konzertstadt München aber nicht nur um große Momente. Es geht auch darum, dass man seinen musikalischen Horizont hier so weit öffnen kann wie sonst nur in den Metropolen Berlin, Paris oder New York.

Einer der schärfsten Proteste gegen die Sanierungslösung kam vom Verband der Münchner Kulturveranstalter. Das sind freie Unternehmer, die all das, was sich im Rest der Stadt, aber auch im Gasteig sonst noch abspielt, ausrichten - Jazzfestivals, Filmvorführungen mit Orchesterbegleitung, Pop- und Kinderkonzerte. Die müssten wegen der Sanierung auf all die Hallen ausweichen, mit denen in München die Popkultur an die Peripherie ausgelagert wird. Man muss nur Bob Dylans Miene gesehen haben, als sich sein Wagen nach dem Konzert im Betonschlauch den Weg durch die Industriebrache bahnte. Nein, es fehlt in München nicht nur an Platz für die Orchester.

Muss es der Finanzgarten sein? Das bliebe eine Frage für die Lokalpolitik. Ein Gutes hat die Entscheidung für die Sanierung des Kulturzentrums Gasteig zwar - Freistaat und Rathaus sind sich endlich mal einig. Nur sollten sie die Kultur nicht der politischen Harmonie opfern. Was fehlt, sieht man ja auch im Vergleich zu Berlin mit seinen vielen Häusern. Und was nicht passieren darf, zeigt die Elbphilharmonie in Hamburg. Neue Säle in Paris und Los Angeles demonstrieren aber auch, dass sie viel mehr sein können als nur Veranstaltungs- und Probenorte. Sie sind Motoren der Stadtentwicklung.

Im besten Falle setzt man ein architektonisches Zeichen

Im 18. und 19. Jahrhundert waren Konzertsäle, Opernhäuser und Museen die Brückenköpfe einer neuen bürgerlichen, weltoffenen Kultur. Das ist heute wieder ähnlich. In einer Zeit, in der man die Strukturwandelprozesse kaum noch zählen kann, die auf die Städte hereinbrechen, schaffen solche Orte Ankerpunkte, die nicht von Bauträgergemeinschaften kalkuliert werden, sondern die eine ganze Stadt will und feiert. Im besten Falle setzt man sogar ein architektonisches Zeichen.

In Los Angeles war Frank Gehrys Walt Disney Concert Hall eine Speerspitze für die Rettung der ausgebrannten Innenstadt. In Paris erhofft man sich von Jean Nouvels neuer Philharmonie Ähnliches für den Nordostrand der Stadt. München hätte die Chance, mit einem wirklich neuen Konzertsaal nicht nur die Orchesterlandschaft und die Bürger zu beglücken, sondern auch die architektonisch so zögerliche, mit Sälen unterversorgte Metropole entscheidend zu verändern. Das wäre die beste Lösung einer langen Debatte gewesen, vor allem aber ein Bekenntnis für die Kultur.

© SZ vom 03.02.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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