Interview mit Architekt Christoph Ingenhoven:"Beim Thema Eigentumswohnungen gibt es eine gewisse Scheinheiligkeit"

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In Berlin kann man beobachten, dass die Stadt in die Industriegebiete am Rande hineinwächst. (Foto: imago/Westend61)

330 neue Wohnungen mit Mietpreisbindung in Berlin - wie geht das? Architekt Ingenhoven über ein von ihm mitgestaltetes neues Viertel und die Vorteile von sozialer Ungleichheit in der Stadt.

Interview von Juliane Liebert, Berlin

Während die Stadtzentren überall in der Welt zu Spielplätzen für Reiche werden, plant der Werkbund in Berlin ein ungewöhnliches Projekt: ein neues Stadtquartier, gebaut ohne öffentliche Förderung, in dem trotzdem knapp ein Drittel der Wohnungen mietpreisgebunden sein sollen. Ein Baugrund für das ambitionierte Vorhaben ist bereits gefunden: das 2,8 Hektar große Tanklager am Spreebord in Charlottenburg-Nord. An der Konzeption der Werkbundstadt sind 33 Architekten beteiligt, darunter Christoph Ingenhoven, Architekt von Stuttgart 21. Ein Gespräch über profitorientieres Bauen und soziales Wohnen.

SZ.de: Herr Ingenhoven, in der WerkBundStadt sollen 330 Wohnungen mit Mietpreisbindung entstehen. Wird es am Ende nicht doch wieder so sein, dass vor allem das Wohlstandsbürgertum einzieht?

Jetzt könnte ich frech sein: Was ist schlecht am Wohlstandsbürgertum? Ich glaube, es kommt auf die Mischung an. Eine gewisse Vielfalt ist von allen Seiten in dieser Republik gewünscht. In den Sechzigerjahren gab es auch Vorhaben, wo man gesagt hat: Wir bauen zwanziggeschossige Wohnbunker, daneben Reihenhäuser, daneben Einfamilienhäuser. Dann gehen alle Kinder in die gleiche Schule, das schafft Chancengleichheit - ist doch wunderbar. Ich bin kein Zyniker in der Hinsicht, ich bin in genau so einer Siedlung aufgewachsen. Aber auf diese Art soziale Gleichheit herzustellen, war schon in den Sechzigern eine Illusion. Es gab auch da eine Ungleichheit, aber man hat in dieser Ungleichheit gelebt. Man ist ihr nicht ausgewichen ans jeweils andere Ende der Stadt.

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Was reizt Sie am Projekt WerkBundStadt?

Wir leben in einer Zeit, in der das Wohnen sehr stark in den Fokus unserer Aufmerksamkeit gerückt ist. Es gibt viel mehr Menschen auf der Welt: 7,2 Milliarden, im Jahr 2050 könnten es 9,2 Milliarden sein. Betrifft das Deutschland und Berlin? Ja, tut es. Weil insgesamt der Druck auf den Kessel steigt, ob das Flüchtlinge sind oder andere Bevölkerungsbewegungen. Dazu gibt es eine erhebliche Bewegung vom Land in die Stadt. Und die Menschen möchten mehr Raum haben zum Leben, das Flächenbedürfnis wächst. Das alles führt dazu, dass Wohnen eine ungeheure Relevanz gewonnen hat. In den vergangenen Jahren war das Hauptinteresse, luxuriöse Wohnungen zu bauen. Am oberen Ende ist fast unbegrenzt Geld da. Das führt wiederum zur vielzitierten Gentrifizierung. Die WerkBundStadt ist ganzheitlicher gedacht.

Es soll dort auch eine Kirche geben - steht der Plan noch?

Es wäre mir sehr recht. Es sollte auch spirituelle Räume geben, Räume, die nicht der Verwertung und dem Konsum anheimfallen.

Heute meiden viele Eltern aus dem bildungsbürgerlichen Milieu Schulen mit einem hohen Migrantenanteil: Sie haben Angst, dass das Leistungsniveau dort niedriger ist und ihre Kinder deswegen später Nachteile haben.

Wir sind nur noch einen kleinen Schritt von Gated Communities entfernt, von der Komplett-Gentrifizierung. Das ist natürlich sozial bedenklich, aber auch kulturell. Wenn ich mal ein egoistisches Argument gegen diese Art der Monokultur anbringen darf: Der Charakter, wegen dem man sich ursprünglich für ein bestimmtes Viertel entschieden hat, wird durch den Zuzug von Besserverdienern so verändert, dass es seine Besonderheit verliert.

Sozial bedenklich - Sie meinen die Reichen schotten sich zunehmend ab?

Ja, und das ist ein Problem. Denn relative Ungleichheit und die Konfrontation damit verhindern eine noch größere Ungleichheit. Was im Umkehrschluss die soziale Stabilität enorm befördert. In der Regel gibt es in Städten 25 Prozent mietpreisgedämpfte Wohnungen, in der WerkBundStadt sollen 30 Prozent angeboten werden. Das bedeutet, Quadratmeterpreise, die eigentlich zu niedrig sind, um damit eine Wohnung zu bauen. Aber für viele Leute ist es immer noch zu viel Geld, um es bezahlen zu können. Deswegen wird es sicher auch Eigentumswohnungen geben, um das zu finanzieren.

Um sich heutzutage in einer Großstadt eine Eigentumswohnung leisten zu können, braucht es schon ein kleines Privatvermögen.

Beim Thema Eigentumswohnungen gibt es eine gewisse Scheinheiligkeit. Eigentumswohnung heißt ja erst einmal nur, dass sie jemanden gehört. Oft wird diese auch vermietet. Egal, wo sie in das große Fass des Marktes eine Wohnung reinschmeißen, es ist eine Wohnung mehr - die Nachfrage wird befriedigt, also steigen die Preise nicht weiter. Insofern sind auch Eigentumswohnungen gut. Und man darf eben nicht außer Acht lassen: Wohnhochhäuser für die nötige Dichte zu bauen, ist teuer. In diesen Hochhäusern gibt es Wohnungen, die einen guten Blick haben und die man deswegen teuer verkaufen kann. Und das wird man auch tun, um in der Mischung das Preiswerte erlauben zu können.

Denken Sie, man müsste die geltenden Bauvorschriften reformieren, damit es wieder möglich wird, mutig und bezahlbar zu bauen?

Die heutigen rechtlichen Rahmenbedingungen sind eine Folge der Industrialisierung. Die Städte des 18. und 19. Jahrhunderts waren Ausgeburten des Ungesunden. Da wurde auf eine Art und Weise gelebt, die wir uns heute gar nicht mehr vorstellen wollen. Im 20. Jahrhundert setzte sich durch, das Wohnen vom Arbeiten zu trennen. Heute sind die Industrien weitgehend aus den Stadtzentren verschwunden. Allerdings kann man beispielsweise in Berlin beobachten, dass die Stadt in die Industriegebiete am Rande hineinwächst.

Das schafft neue Probleme?

Bleiben wir bei dem Berliner Fall, wo die Stadt der Industrie entgegenwächst. Natürlich möchte man die Menschen eigentlich vor schädlichen Einflüssen schützen. Aber viele Menschen finden es zunehmend gar nicht so schlimm. Sie wissen nicht mehr, wie das Gift riecht, gewissermaßen. Und für bezahlbaren Wohnraum in Stadtnähe sind sie bereit, gewisse Dinge zu tolerieren. Dazu kommt, dass sich die Industrie weiter entwickelt, mit Filtern, Lärmschutz und so weiter. Viel der tatsächlich genutzten Wohnfläche in Deutschland ist Wohnfläche, die heute nicht so ohne Weiteres gebaut werden dürfte. Das heißt, viele Menschen haben in ihrem Leben schon in Wohnungen gewohnt, in denen sie Schlimmerem ausgesetzt waren.

Haben Sie ein Beispiel?

Wenn wir beide uns in den Zug von München nach Hamburg setzen, würden wir rechts und links der Schiene Häuser sehen. Diese Häuser sind alle extrem lärmbetroffen. Heute wäre es unvorstellbar, so nah an Bahnlinien zu bauen. Es gibt Menschen, die sagen, die Lärmschutzvorschriften zu ändern, sei deutlich schwerer, als das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschlands zu ändern.

Wenn Sie vollkommen freie Hand hätten, was wäre Ihre Vision für Berlin?

Viele Gebiete in Berlin sind unterentwickelt, weil sie mit viel zu geringer Dichte bebaut sind. Ich würde mir wünschen, dass man jedes Mittel ergreift, um die vorhandene Struktur Berlins zu verdichten. Und ich würde den Umgang mit Verkehr komplett neu denken. Immer die Straßen zu bauen, die der Verkehr fordert, bedeutet, dass sie hinterher auch genutzt werden. Es muss eigentlich umgekehrt sein, man muss sich überlegen: Was kann die Stadt vertragen?

Weniger Geld für Straßen und mehr Geld für den Öffentlichen Nahverkehr?

Ja. Ich würde den Öffentlichen Nahverkehr so gut wie irgend möglich ausbauen. Von 2020 an dürfte in der Stadt nur noch mit Elektrofahrzeugen gefahren werden. Auf den Straßen wird eine Spur für Fahrräder und zusätzlichen Fußgängerverkehr freigehalten. Eine weitere Forderung von mir wäre, das Parken im öffentlichen Raum weitgehend einzuschränken. Es heißt immer, das geht nicht, aber ich sage: In Tokio parkt kein privates Auto im öffentlichen Raum. Eine der großen Städte der Welt ist so viel fußgängerfreundlicher als Berlin.

Muss die Stadt grüner werden?

Defintiv. Ich würde sehr gerne eine Milliarde Bäume in Berlin pflanzen. Ich glaube, das wäre eine der besten Maßnahmen überhaupt.

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