Clubszene:"Professionelle Begleitung während des Drogenkonsums wird immer gefragter"

Clubszene: Beim Feiern nach wie vor beliebt: Ecstasy, inzwischen mit vielfach erhöhtem Wirkspiegel.

Beim Feiern nach wie vor beliebt: Ecstasy, inzwischen mit vielfach erhöhtem Wirkspiegel.

(Foto: Alexander Popov/Unsplash)

Daniel Graubaum kämpft als "Drugscout" für mehr Sicherheit im Nachtleben. Er ist gegen Moralpredigten und für Wirkstoff-Tests.

Von Franca Wittenbrink

Hätte die junge Frau gerettet werden können? Die Berliner Party-Szene diskutiert derzeit über den Tod einer Clubgängerin. Nach einem Besuch im Berliner Club Berghain war sie an den Folgen einer Überdosis Ecstasy gestorben. Das wirft weitere Fragen auf: Wer trägt in Notfällen dieser Art die Verantwortung? Und wie lassen sich die Risiken, die mit dem Konsum illegaler Substanzen einhergehen, verringern? Der Leipziger Daniel Graubaum setzt sich als "Drugscout" seit mehr als zehn Jahren für mehr Sicherheit in der Partyszene ein. Bei Veranstaltungen leistet er mit seinem Team Aufklärungsarbeit und kümmert sich um Notfälle.

SZ: Herr Graubaum, wer trägt denn grundsätzlich die Verantwortung, wenn es zu Problemen mit Drogen in Clubs oder auf Festivals kommt?

Daniel Graubaum: Wenn ein erwachsener Mensch Drogen konsumiert, dann trägt er für die Folgen seiner Entscheidung zunächst einmal selbst die Verantwortung. Dennoch ist jeder Mensch, der eine Person in einer hilflosen Situation auffindet, zum Eingreifen verpflichtet. Nicht umsonst ist der Tatbestand der unterlassenen Hilfeleistung gesetzlich geregelt.

Es gilt als offenes Geheimnis, dass viele Clubbetreiber über den Drogenkonsum in ihren Läden Bescheid wissen. Müssten sie dann nicht auch stärker in die Pflicht genommen werden, wenn es zu Notfällen kommt?

Vor allem in der elektronischen Musikszene entwickelt sich gerade durchaus ein Bewusstsein für das Thema Risikominimierung. Immer mehr Menschen - sowohl Veranstalter und Veranstalterinnen als auch Partygäste selbst - stellen sich die Frage, wie man ein gewisses Maß an Sicherheit auch beim Feiern ermöglichen kann. Da geht es um Themen wie Sexismus und Rassismus - aber eben auch um einen verantwortungsvollen Umgang mit Drogen. Das fängt damit an, dass man Gästen ab einem gewissen Pegel keinen Alkohol mehr ausschenkt. Immer häufiger wird das Personal auch im Umgang mit Drogennotfällen geschult. Auch der Austausch untereinander wird stärker: Clubbetreiber und - betreiberinnen müssen darüber Bescheid wissen, welche Substanzen im Umlauf sind. Nur so können sie mit potenziellen Notfällen umgehen. Dass die Frage der Sicherheit im Nachtleben an Bedeutung gewinnt, sehen wir nicht zuletzt auch an den zahlreichen Buchungsanfragen, die uns als Drugscouts zurzeit erreichen.

Was machen sie als Drugscouts auf Partys?

Wir haben einen Infostand, an dem wir Aufklärungsbroschüren, kostenloses Wasser, Obst und verschiedene "Safer Use Materialien" verteilen, um Überdosierungen und Infektionen beim Drogenkonsum zu vermeiden. Außerdem stehen wir für alle Fragen zum Thema Drogen zur Verfügung. Die meisten Gäste zeigen da einen enormen Informationsbedarf - die Berührungsängste haben sich größtenteils aufgelöst: Früher wurden wir oft kritisch beäugt und als Drogenberater oder Moralapostel abgestempelt. Wenn wir als Team gut aufgestellt sind, kümmern wir uns außerdem um Leute, denen es unter Drogeneinfluss schlecht geht. "Psychedelische Ambulanzen", also die professionelle Begleitung während der Drogenerfahrung, werden immer gefragter. Die Notfälle, die wir dabei betreuen, sind häufig psychischer Art. Wenn es in den medizinischen Bereich geht, versuchen wir auf Festivals eng mit den Sanitätern zusammen zu arbeiten. Immer wieder entscheiden wir uns aber auch dazu, einen Notarzt zu rufen.

Für viele Konsumenten ist der Notruf ein heikles Thema.

Vor allem die Angst vor rechtlichen Konsequenzen ist groß: Das gilt sowohl für denjenigen, der den Notarzt rufen will - weil er zum Beispiel noch illegale Substanzen in der Tasche hat. Es gilt aber auch für den "Notfall-Patienten" selbst, der möglicherweise mit einem Verfahren wegen Drogenbesitzes rechnen müsste. In der Tat wird in manchen Regionen die Polizei direkt mit dem Krankenwagen mitgeschickt.

Wie bauen Sie da Hemmschwellen ab?

Damit der - möglicherweise lebensrettende - Notarzt trotzdem kommt, raten wir verunsicherten Personen meistens davon ab, schon am Telefon von illegalen Substanzen zu sprechen. Sobald ein Arzt dann da ist, sind diese Informationen natürlich enorm wichtig, um beispielsweise Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten zu verhindern. Aber zu diesem Zeitpunkt gilt dann bereits die ärztliche Schweigepflicht. Als Drugscouts kämpfen wir aber vor allem dafür, solche Situationen bereits im Voraus zu vermeiden. Wir hoffen sehr, in Zukunft auch das sogenannte "Drug Checking" anbieten zu können, bei dem Konsumenten ihre Rauschmittel vor dem Konsum auf Wirkstoffgehalt und möglicherweise giftige Substanzen testen lassen können. Noch ist das in Deutschland aber nicht erlaubt.

Anders als in Österreich oder der Schweiz. Wo liegt in Deutschland das Problem?

Der Umgang mit verbotenen und verschreibungspflichtigen Substanzen im Betäubungsmittelgesetz ist sehr streng geregelt. Auch wenn das "Drug Checking" in Deutschland gesetzlich nicht ausdrücklich verboten ist, gibt es Hürden, über die bis jetzt niemand hinweggeht. Mitte der Neunzigerjahre gab es in Hannover und Berlin verschiedene "Drug Checkings". Die Staatsanwaltschaft ging damals gegen die Kollegen vor, die die Drogen entgegengenommen und zum Testen gebracht hatten. Die Verfahren wegen Drogenbesitzes wurden zwar immer eingestellt, weil eine Besitzabsicht nicht festgestellt werden konnte, die Abschreckung hat aber trotzdem gewirkt: Das Risiko traut sich seitdem keiner mehr einzugehen. Es gibt aber nach wie vor zahlreiche Gruppierungen und Initiativen - etwa aus der Suchthilfe -, die sich für die Legalisierung des "Drug Checking" einsetzen. Politisch scheint das leider nicht ausreichend gewollt.

Ein häufiges Argument der Gegenseite lautet, der Drogenkonsum würde durch die Etablierung legaler "Qualitätskontrollen" verharmlost, eventuell sogar gefördert.

Das halte ich für Unsinn. Beim "Drug Checking" geht es um eine Risikominimierung für Menschen, die sich bereits für den Drogenkonsum entschlossen haben. In den Ländern, in denen es dieses Instrument gibt, werden keinesfalls mehr Drogen konsumiert. Im Gegenteil: Zahlen belegen, dass Leute sich auf Partys mit "Drug Checking" häufiger dagegen entscheiden, bestimmte Drogen zu nehmen - oder sie zumindest geringer dosieren. Auf die eine oder andere Person hat man also durchaus auch pädagogischen Einfluss. Das ist das Konzept der akzeptierenden Drogenarbeit: Aufklärung funktioniert besser als Belehrung.

Wie hat sich die Feier- und Drogenszene in den vergangenen Jahren denn grundsätzlich verändert?

Das ist je nach Stadt und Party-Szene unterschiedlich. Ketamin, eigentlich ein Narkosemittel, das vor allem in der Tiermedizin eingesetzt wird, und GBL, also Liquid Ecstasy, sind vor allem in der Berliner und Leipziger Feierszene ein großes Thema - vor acht Jahren hat man darüber noch kaum gesprochen. Der Ecstasy-Pillenmarkt hält sich dagegen konstant. Vor einigen Jahren waren vor allem Verunreinigungen ein großes Problem: Um den Stoff zu strecken, wurden den Pillen immer wieder Halluzinogene und andere, schwer zu dosierende Substanzen mit starken Neben- und Wechselwirkungen beigemischt. Heute besteht das größere Problem darin, dass MDMA, also der Wirkstoff von Ecstasy, sehr günstig und in großen Mengen herstellbar ist. Dadurch sind viele Pillen auf dem Markt, die das Drei- bis Fünffache einer halbwegs risikoarmen Pille enthalten. Die Leute dosieren sich dadurch regelmäßig über. In der Folge kann es zu schweren Krämpfen durch das sogenannte Serotonin-Syndrom kommen - verbunden mit Unterzuckerung und Flüssigkeitsverlust führt das wiederum schnell zu einem Multiorganversagen.

Das scheint nur wenige abzuschrecken: Etwa die Hälfte der Clubgänger greift laut einer aktuellen Umfrage der Berliner Charité beim Feiern auf illegale, harte Drogen zurück. Sollte man die Clubszene stärker kontrollieren?

Der Effekt von strengeren Kontrollmaßnahmen ist schwer einzuschätzen. Meine Vermutung ist allerdings: Wenn man auf einer Party stärker kontrolliert, dann gehen diejenigen, die Drogen konsumieren wollen, eben woanders hin. Wer sich berauschen will, der tut es auch - das gehört zur Realität des Nachtlebens.

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