Frauenkunstverein "Gedok":Fenster zur Finsternis

Ida Dehmel

Ida Dehmel als junge Frau: Sie wollte eine neue Welt erschaffen - und zerbrach schlussendlich an der alten.

(Foto: Gedok)

Als Ida Dehmel einen Verein zur Förderung weiblicher Kunst gründet, dürfen Frauen gerade erst wählen. Die Nazis entmachten sie auf der Stelle, später bringt sie sich um. Mit ihr verlassen 5000 Frauen den Kunstverein - freiwillig?

Von Ruth Schneeberger, Berlin

Ida Dehmel war das, was man eine Muse nennt. Die dunkelhaarige Schönheit hatte früh gemerkt, dass sie zwar selbst kein musisches Talent besaß - aber umso besser darin war, das Talent anderer zu erkennen und zu fördern.

In ihr Haus am Tiergarten in Berlin lud Ida deshalb die Künstler, Literaten und Musiker der Stadt, veranstaltete Salons und Konzerte. Und lernte dabei den Dichter Richard Dehmel kennen. Beide waren zu diesem Zeitpunkt anderweitig liiert, doch die Anziehung war zu groß, um ihr zu widerstehen. Richard Dehmel hat auch darüber ein Gedicht geschrieben:

Wie dein Ohr brennt! wie dein Mieder drückt! rasch, reiß auf, du atmest mit Beschwerde; o, wie hüpft dein Herzchen nun beglückt! Komm, ich trage dich, du wildes Wunder: wie dich Gott gemacht hat! weg den Plunder! und dein Brautbett ist die ganze Erde.

Die beiden heirateten, zogen nach Hamburg-Blankenese - und Ida Dehmel schrieb beschwingt: "Ich möchte einen neuen Himmel kreieren und eine neue Erde." Das war 1901. Der Beginn eines Jahrhunderts voller Hoffnung und Aufbruch - aber auch voller Hass und Zerstörung. Für Ida Dehmel wird all das sehr nahe beieinanderliegen.

Die feine Gesellschaft rennt "Frau Isi" die Bude ein - bis die Nazis kommen

Zu Beginn ist alles Glück. Ida lädt wieder die Künstler der Stadt in ihr Haus, veranstaltet Lesungen, Salons, Konzerte. Die feine Gesellschaft Hamburgs gibt sich die Klinke in die Hand in der frisch erbauten Jugendstil-Villa der Dehmels in Blankenese, aus ganz Deutschland reisen Gäste an. "Frau Isi", wie sie genannt wird, ist nicht nur Muse und Kunstmäzenin, sie ist politisch engagiert. Vor allem für das Frauenwahlrecht setzt sie sich ein, und sobald dies in Deutschland errungen ist, gründet sie einen Künstlerinnenbund, um Frauen bei ihrer künstlerischen Arbeit zu unterstützen. Inzwischen ist sowohl ihr Sohn Heinz aus erster Ehe in Frankreich gefallen als auch ihr Mann Richard an den Kriegsfolgen 1920 gestorben. Umsomehr stürzt sich Ida in die Kunst.

Der Bund ist erfolgreich, wird schließlich zur "Gedok" (Gemeinschaft Deutscher und Oesterreichischer Künstlerinnenvereine aller Kunstgattungen) und hat 7000 Mitglieder. Doch auf der Höhe ihres Erfolges - Ida Dehmel ist Vorsitzende - kommen die Nazis in Deutschland an die Macht. Ida hat zwar Einfluss, ist aber Jüdin. Und so kommt es, dass sie im April 1933 bei einer Gedok-Sitzung im Hamburger Hof von mit Knüppeln bewaffneten SA-Leuten gezwungen wird, sofort den Vorsitz niederzulegen. Später wird sie ganz aus dem Verein ausgeschlossen, ein Mitglied der NSDAP aus München wird an ihrer Stelle als Vorsitzende eingesetzt.

Europaweit größtes Netzwerk für Künstlerinnen aller Art

Und nun steht da so lapidar bei Wikipedia:

"Im Zuge der nationalsozialistischen Machtergreifung wurde Ida Dehmel 1933 aufgrund ihrer jüdischen Herkunft zum Rücktritt aus dem Vorstand gezwungen ... Aus Solidarität mit Ida Dehmel traten 5000 Mitglieder aus."

Aus Solidarität? In diesen Zeiten? Ohne Repressionen befürchten zu müssen? Ida Dehmel war die treibende Kraft des Vereins, ohne sie wäre es nicht zur Gründung gekommen. Aber sind wirklich drei Viertel der Mitglieder damals selbständig ausgetreten, um ein politisches Zeichen zu setzen - in Zeiten starker politischer Repression und Angst? Das wäre ein starkes Stück - und durchaus wert, auch heute noch mehr darüber zu erfahren.

Unter diesem Motto lädt auch Kuratorin Sarah Frost zur aktuellen Ausstellung der Gedok Berlin. Denn der Verein blieb bestehen und will weiterhin Frauen fördern, ganz im Sinne von Ida Dehmel. Mit 2800 Mitgliedern in 23 deutschen Städten ist die Gedok heute das älteste und europaweit größte Netzwerk für Künstlerinnen aller Kunstgattungen. Ob Bildende Kunst, Literatur, Musik, Schauspiel oder Tanz - nur weiblich muss die Kunst sein, das ist geblieben.

Die Finsternis erleuchten

Die Berliner Sektion stellt gerade unter dem Namen "Finsternis" Arbeiten ihrer Mitglieder in ihren Ausstellungsräumen in Schöneberg aus, die sich mit dem Motiv des Unsichtbaren beschäftigen: Wie lässt sich Finsternis darstellen, wenn sie eine so undurchdringliche Dunkelheit ist, wie man landläufig meint? Dass man die Finsternis eben doch durchdringen kann, zeigt etwa Nadine Rennert mit der Skulptur "Dem Staub sein Gegengewicht". Eine Frau aus Staub kauert auf einem Kinderstuhl mit drei Beinen, auf dem Kopf ein Karton. Ist sie isoliert - oder nur in Gedanken? Jeanette Chavez' Videonstallation "Sonnenfinsternis" thematisiert Verdunkelung und Verdeckung. Das Video zeigt, wie ein Text erst geschrieben und dann sofort wieder durchgestrichen wird. Doch was bleibt, ist nicht wie vorher.

Nicht wie vorher ist auch die Gedok selbst. Anstelle der zu Hochzeiten 7000 Mitglieder unter Ida Dehmel sind heute nicht mal mehr die Hälfte an Mitgliedern aktiv. Hat sich die Arbeit erledigt, sind Künstlerinnen da, wo sie hinwollten, haben sie Parität erlangt?

Auf keinen Fall, betonen die Frauen in Berlin: "Frauen werden im Kunstbetrieb nach wie vor längst nicht so gefördert wie Männer", sagt Erika Grossmann als ehemalige Vorsitzende. Künstlerinnen würden oft immer noch in die Schublade der wohlhabenden Gattinnen gesteckt, die ab und zu mal ein bisschen malen würden, zur Therapie. Männer hingegen, so erzählen auch die hier anwesenden Künstlerinnen von der Universität der Künste, würden viel eher und schneller ernst genommen mit ihrer Kunst. Kuratorin Frost sagt: "Das ist auch in den Sammlungen so - obwohl die Jurys auch aus Frauen bestehen."

Eine typisch deutsche Geschichte

Seit also Ida Dehmel den Frauenkunstverein vor fast 90 Jahren gründete, scheint sich frauenpolitisch noch nicht allzu viel verändert zu haben - auch wenn es nach außen den Anschein macht.

Auch die Schrumpfung des Vereins geschah nicht nur freiwillig und nicht nur aus Solidarität - im Gegenteil. Genauer nachgefragt und hingeschaut, stellt sich durch Lektüre der alten Vereinstexte heraus, dass ein großer Teil der damaligen Gedok-Künstlerinnen Jüdinnen waren und ausgeschlossen wurden. "Die Gedok wurde zum Teil von den Nazis vereinnahmt und umgebaut, ihr Name wurde missbraucht", so Erika Grossmann. Eine typisch deutsche Geschichte - leider.

Vielleicht bringt der Bundesverband zum 90. Geburtstag Licht in das Dunkel um die angebliche Solidaritätswelle um Ida Dehmel und die 5000 Austritte, die es eigentlich nicht gab. 2016 wird nämlich Jubiläum gefeiert. Der aktuellen Ausstellung tut das allerdings keinen Abbruch: Die Künstlerinnen beschäftigen sich ja gerade mit dem Unsichtbaren.

Für Ida Dehmel kommt das alles zu spät. Sie nahm sich 1942 im Alter von 72 Jahren in Hamburg selbst das Leben - aus Einsamkeit und Angst vor Deportation.

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