Lesergeschichten:Wenn Umwege zum Traumjob führen

Lesergeschichten: Die Zickzack-Lebensläufe zeugen von Mut. Dem Mut, sich auf unsichere Branchen einzulassen, unerreichbar scheinende Ziele anzustreben und nochmal von vorn anzufangen.

Die Zickzack-Lebensläufe zeugen von Mut. Dem Mut, sich auf unsichere Branchen einzulassen, unerreichbar scheinende Ziele anzustreben und nochmal von vorn anzufangen.

(Foto: dpa/Reuters)

Eine Reporterin schlägt Buttercreme, eine Schulversagerin heilt Kranke, ein Kurier gibt Sicherheitstipps. Die Berufswege von Lesern zeigen, dass es oft anders kommt, als man denkt.

Wer sein Studium mit guten Noten abschließt, wird einen adäquaten Arbeitsplatz finden. Schüler, die an der Mittleren Reife scheitern, können nicht Mediziner werden. Studenten die sich nicht auf die Uni konzentrieren können, haben schlechte Chancen beim Berufseinstieg. Binsenweisheiten? Nein, Quatsch, zeigen die Biografien unserer Leser.

Wir haben nach Karrierewegen mit Schlangenlinien und Zickzack gefragt. Nicht jeder Leser, der uns seine Geschichte geschrieben hat, möchte sie unter seinem Namen im Netz veröffentlichen. Denn manchmal stecken auch Schuldzuschreibungen an Arbeitgeber und Eltern darin.

Die Reporterin: "Das Einzige, was mir nicht so recht gelingen wollte, war die Buttercreme"

Sabrina D. legte mehr Wert auf Fakten und Recherche als ihr Chefredakteur. Der einzige Ausweg führte sie in die Küche.

"Schreiben ist meine große Leidenschaft. Fakten, Daten, Recherche, Interviews. Seit ich denken kann, wollte ich Journalistin werden. Nach dem Abitur ging ich nach Neuseeland, sammelte dort erste Arbeitserfahrung und begann ein Journalismus-Studium an einer der renommiertesten Hochschulen des Landes. Nach erfolgreichem Abschluss fand ich einen Job bei einem Arbeitgeber in London, der nach einem Reporter mit Deutschkenntnissen suchte.

Was für mich wie der Traumjob schlechthin klang, entpuppte sich bald als Flop. Auf Fakten wurde nur wenig Wert gelegt, so etwas wie Recherche gab es nicht. Desillusioniert kehrte ich als 23-Jährige in meinen Heimatort zurück.

Nachdem ich vergeblich versucht hatte, einen Job bei einer renommierten Zeitung zu bekommen, beschloss ich spontan, mich bei einer Konditorei für ein Berufspraktikum zu bewerben. Den ganzen Tag auf den Beinen zu sein, eine praktische Tätigkeit auszuüben und am Ende des Tages auf all die süßen Köstlichkeiten zu blicken, die ich geschaffen hatte, erfüllte mich und ich entschloss mich zu einer Berufsausbildung im Handwerk.

Gebacken hatte ich schon immer gerne. Das Einzige, was mir in der Küche nicht so recht gelingen wollte, war die Buttercreme. In den folgenden zwei Jahren lernte ich, beim Aufschlagen der Creme geduldig zu sein. Ich schloss meine Ausbildung als Kammersiegerin ab. Sollte ich dem Journalismus noch eine Chance geben?

Ich habe mich - vorerst - für die Gastronomie entschieden. Mein Weg führte mich in Luxushotels in München und Hamburg und damit in die illustre Welt der Profi-Küchen. Ich absolvierte die Meisterschule, um mich weiterzubilden.

Der Journalismus ist noch immer irgendwo im Hinterkopf. Aber jetzt übe ich erst mal meinen zweiten Traumberuf aus: Pâtissière. Wenn ich zur Arbeit komme, umfängt mich diese besondere Atmosphäre, die man nur in Großküchen findet: das Klappern der Töpfe, wabernde Dämpfe, der kurze Adrenalin-Kick, wenn der Stress beginnt... Es ist ein Glücksgefühl, wenn ein Tag vorbei ist und ich weiß, dass ich mit meinen Desserts den Gästen ein Lächeln aufs Gesicht gezaubert habe." (Sabrina D.)

Die EU-Sekretärin: Arbeiterkind und Politikstudentin

"Als Kind einer Arbeiterfamilie habe ich in den 90er Jahren Politische Wissenschaften und Literatur studiert. Das war immer mein Traum. Aber nach dem Abschluss hatte ich keine Idee, was ich damit anfangen will. Ich hatte keine Praktika gemacht, sondern Putz- und Kellnerjobs und vor allem Sekretariatstätigkeiten bei einer Versicherung, mit denen ich mein Studium finanzieren konnte.

Ich nahm dann auch als ersten Job eine Stelle als Sekretärin eines Senior Managers bei einer großen Firma an. Das hat mir gar nicht schlecht gefallen, aber ich war unzufrieden, von meinem Studium beruflich nicht zu profitieren. Eineinhalb Jahre nach der Uni gab es dann einen persönlichen Einschnitt, der mich dazu brachte, nach Brüssel zu gehen. Ich hatte zwar keinen Job dort, aber eine Unterkunft bei einem Bekannten und genug Geld für ein paar Wochen.

Mit meiner Erfahrung als Sekretärin sowie Englisch- und Französischkenntnissen stellte ich mich bei Zeitarbeitsfirmen vor und fing tatsächlich drei Wochen nach meiner Ankunft als Sekretärin bei der Europäischen Kommission an. Nach drei Jahren bestand ich ein Auswahlverfahren für Beamte der EU und wurde eingestellt.

Seit 2001 bin ich jetzt bei der EU-Kommission in verschiedenen Dienststellen vor allem im Projektbereich Entwicklungszusammenarbeit tätig. Ich arbeite sehr gerne dort und bin sicherlich ein gutes Beispiel dafür, wie ein Arbeiterkind von Bildung profitiert hat." (Anonym)

Der Marketingexperte: "Von Musik alleine kann man eben schon leben"

Über die Generation Y wird häufig gesagt, dass sie Erfüllung sucht und Sicherheit wählt. Philip Röder wäre beinahe zum Musterbeispiel geworden. Doch dann hat der 29-jährige Musikproduzent sein sicheres Standbein einfach weggekickt - seitdem sind die Ängste weg.

"Dass Musik in meinem Leben eine wahnsinnig wichtige Rolle spielt, war ziemlich früh klar. Aber erstmal musste ich natürlich dringend etwas studieren, das nach "normalem" Berufsweg klang: Kommunikationswissenschaft. Das wirkte modern, führte in kreative Berufe und ließ Zeit für Musik.

Während meine Kommilitonen in Heulkrämpfe ausbrachen - aufgrund des Bologna-Leistungsdrucks und der Angst, keine Eins vor dem Komma nach Hause zu bringen - plante ich die nächste Tour mit meiner Band. Irgendwie funktionierte es, 200 Shows in Europa zu spielen, zwei Alben zu veröffentlichen und mir ein Studio im Keller meines Elternhauses in München aufzubauen. Aber anstatt zu merken, dass die Musik das ist, wofür ich brenne, ging ich zum Auslandssemester nach Mexiko und schrieb eine Masterarbeit.

Das Studium interessierte mich wirklich. Aber wenn ich die Texte meiner damaligen Band heute lese, fällt mir auf, dass sie großenteils vom Thema "gefangen im falschen Leben" handeln. Am Ende des Studiums war ich eigentlich perfekt geformt für kapitalistische Großtaten. Musterabsolvent, obwohl ich in stressigen Prüfungsphasen nicht einschlafen konnte, weil Orchester in meinem Kopf wilde Symphonien komponierten.

Der Berufseinstieg klappte sofort: Ich durfte in einer Münchner Werbeagentur in die Strategie- und Kreativ-Konzeption einsteigen - auf meinen Wunsch in Teilzeit. Den Rest wollte ich der Musik widmen. Der Job machte Spaß, ich durfte große Konzepte mitschreiben und vor den Entscheidern weltweit bekannter Marken präsentieren. Aber ich fühlte mich mehr denn je hin- und hergerissen. Ich konnte weder eine wirkliche Karriere in der Werbung starten noch meine Studioarbeit als Musikproduzent voll ausbauen.

Mehr als zwei Jahre lang spielte ich mit dem Gedanken, in Berlin ein Studio zu eröffnen. Aber mein Kopf spielte Ausreden ab: "Eigentlich bist du doch ganz happy", "von Musik alleine zu leben, ist eh unrealistisch", "das kannst du später immer noch ausprobieren". Ende letzten Jahres merkte ich: Nein, wirklich happy war ich nicht mit der Situation.

Ich habe mein Studio in Berlin gegründet, ohne Ausflüchte und zweites Standbein. München, mein Studium, die Agentur, diese Erfahrungen möchte ich nicht missen. Vielleicht habe ich die Umwege gebraucht. Aber erst jetzt habe ich zum ersten Mal seit sehr langer Zeit das Gefühl, mit meinem Berufsweg wirklich im Einklang zu sein. Und komischerweise sind all die Ängste weg, sobald man ins kalte Wasser gesprungen ist. Dann schwimmt man einfach und merkt, wie einem langsam warm wird. Von Musik allein kann man eben schon leben." (Philip Röder, 29)

Die Medizinerin: "Mit Ach und Krach den Abschluss geschafft"

Manche Patienten würden sich ungern von einer Ärztin behandeln lassen, die in der Schule an der Mittleren Reife gescheitert ist. Wohl auch deshalb möchte unsere Leserin anonym bleiben. Ihr ungewöhnlicher Weg zeigt, dass schlechte Noten nichts über die Intelligenz aussagen müssen.

"Mein Zickzack-Kurs hat damit begonnen, dass meine Eltern ihre bis dato völlig unmusikalische Tochter auf ein musisches Gymnasium schickten. Drei qualvolle Jahre hielt ich durch am Klavier, dann streikte ich. Ich wollte nur noch raus, denn der nächste Wolfgang Amadeus Mozart würde ich nicht werden.

Meine nächste Etappe war also die Realschule (praktisch, da am Ort gelegen, "endlich hört es auf, dass wir dich überall hinfahren müssen") - ich war einverstanden. Mit Ach und Krach habe ich den Abschluss geschafft. Meine Eltern meinten, eine Berufsausbildung wäre jetzt angebracht. Ich wusste gar nichts, ließ mich lenken. Was auch sonst. Nach sechs Monaten hat es mich gelangweilt und ich wusste zumindest, dass ich das nicht mein Leben lang machen möchte. Ok, zumindest einen Schritt weiter!

Endlich kam ich in die Gänge, hatte plötzlich Träume und konkrete Vorstellungen: Medizin, ja genau, ich wollte Medizin studieren - na gut, ist jetzt nicht das einfachste Ziel, aber endlich ein Ziel. Abitur folgte auf der Berufsoberschule und dort ging es mir plötzlich besser, ich wurde richtig gefordert. Schule machte plötzlich Spaß. Der richtige Abischnitt war tatsächlich kein Problem. Und kurz darauf war er da: der erste Tag an der Uni. Ich war stolz und überglücklich. Das Studium ging mit links.

Es war ein toller und sehr lehrreicher Abschnitt meines bisherigen Lebens, es war einfach das Beste, was ich je gemacht habe. Endlich habe ich mich gefühlt, als sei ich angekommen. Und heute mache ich als Ärztin einen wunderbaren Job. Ich habe meinen Weg nie bereut." (Anonym)

Der Kurier: "Ich war bei drei nicht auf dem Baum"

Es gibt diese Situationen im Büro, in denen sich die Mitarbeiter am liebsten unter dem Tisch verstecken würden. Ein Sicherheitsberater erzählt, was ihnen dabei entgehen kann.

"Ich war sozusagen bei drei nicht auf dem Baum, als bei meinem Job im Kurierdienst gefragt wurde, 'Wer will denn bei uns Sicherheitsbeauftragter werden?'. Knapp 25 Jahre später bin ich Sicherheitsberater und Dozent und versuche, den MitarbeiterInnen den richtigen Umgang mit Gefahrgut und/oder Ladungssicherung beizubringen. Und ich bereue keinen Tag, dass ich vor knapp 25 Jahren eben nicht bei drei auf dem Baum war." (Jens)

Die Chirurgin: Eine Ausbildungsstelle in der Chirurgie? Keine Chance

Dass Frauen mindestens genauso gut operieren können wie Männer, konnte sich in Deutschland niemand vorstellen, als diese Leserin ihr Medizinstudium abgeschlossen hat. Heute ist sie froh, dass ihr niemand gesagt hat, wie hart es werden würde, den Gegenbeweis zu erbringen.

"Während des Medizinstudiums machte ich zwei Praktika in New Orleans und an der Stanford Uni. Ich hatte keine Aussichten, in den 70ern eine Ausbildungsstelle als Frau in der Chirurgie in Deutschland zu bekommen. Nach drei Jahren Wartezeit nach dem Studium und zwei verschiedenen Qualifikationsprüfungen gab es die grüne Karte.

Als erste Frau schaffte ich die sechsjährige Facharztausbildung an einem Klinikum in New Orleans. Danach bekam ich ein zweijähriges Fellowship für Unfallchirurgie an der Emory Universität, als zweite Frau. Ich machte das Board Certification in Chirurgie und chirurgischer Intensivmedizin, und arbeitete anschließend in der Unfallchirurgie und Intensivmedizin, später wurde ich unter anderem Associate Professor of Surgery an zwei US-Unis. Beharrlichkeit zahlt sich aus.

Einfach war es nicht, ich habe auch als Fachärztin 24-Stunden-Schichten im Krankenhaus gearbeitet. Ich würde alles wieder so machen, bin aber froh, dass ich nicht wusste, wie hart der Weg zum Traumberuf war." (Anonym)

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