Weiterbildung:"Wer dort gelernt hat, ist auf die Arbeitswelt nicht vorbereitet"

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Die Jobcenter vergeben Gutscheine für Weiterbildungen an Arbeitslose. (Foto: dpa)

Zehntausende Arbeitslose absolvieren eine berufliche Weiterbildung, der Staat bezahlt. Doch was passiert, wenn alle Teilnehmer sich einig sind, dass ein Kurs nichts taugt?

Von Thomas Hahn

Die Beschwerde liegt über dem Raum wie eine Gewitterwolke. Sie drückt auf die Stimmung von Katrin Witte, Vorstandsmitglied des Instituts für Berufliche Bildung (IBB), und der Aufsichtsratsvorsitzenden Sigrid Baumann-Tornow. Gewitter kann keiner verhindern. Bei 1000 zertifizierten Qualifizierungsangeboten liegt es in der Natur der Sache, dass ein Kunde mal unzufrieden ist. Und wegen der Kritik an einem Grafik-Software-Kurs muss man nicht gleich das ganze Unternehmen infrage stellen, das einer der größten Weiterbildungsträger in Deutschland ist.

Aber die Beschwerde beschäftigt die beiden Frauen. Wer anderen etwas beibringen will, muss selber fähig sein zu lernen, das war Baumann-Tornow schon klar, als sie das IBB vor 32 Jahren gründete. Sie fürchtet die negativen Schwingungen nicht, die von dem Ärger ausgehen. Sie interessiert sich dafür. Der Fall zeigt die Schwierigkeit ihres Gewerbes: "Es sind unglaublich viele Facetten, die in einem solchen Bildungsprozess ineinandergreifen müssen, um alle zufriedenzustellen."

Firmen wie das IBB gehören zu den Säulen der staatlichen Arbeitslosenförderung. Matthias Thamling, Sprecher des Hamburger Jobcenters, sagt es so: "Aus- und Fortbildungsangebote haben sich als geeignetes Instrument erwiesen, um die Chancen unserer Kundinnen und Kunden auf nachhaltige Integration in den ersten Arbeitsmarkt zu erhöhen." Mit Kundinnen und Kunden sind Menschen gemeint, die sich arbeitslos gemeldet haben. In ihrem Jobcenter beraten sie mit einer Integrationsfachkraft, was ihnen zu einem neuen Job verhelfen könnte. Zum Beispiel eine Fortbildung.

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Irgendwann geriet der Dozent so unter Druck, dass er mit einem Wutanfall ausstieg

Arbeitsvermittler helfen dabei herauszufinden, welche Fortbildung sowohl zum Arbeitsmarkt als auch zu den Talenten und Wünschen des Kunden passt. Sind dann die übrigen Voraussetzungen für eine Förderung erfüllt, bekommt der Kunde einen Bildungsgutschein, den er bei einem Anbieter seiner Wahl einlösen kann.

Das System ist deshalb nur so gut wie besagte Bildungsunternehmen, aber genau an denen hat Hans Gerber (Name geändert) Zweifel. Der Familienvater und selbständige Filmemacher aus Hamburg hatte im vergangenen Jahr eine so schlechte Auftragslage, dass er sich arbeitslos melden musste. Er kam zum Jobcenter. Dort entschied er mit seinem Berater, dass eine Fortbildung in der Grafik-Software Cinema 4-D seiner Karriere helfen könne.

Gerber bekam einen Gutschein und entschied sich für Module beim IBB. Bald saß er zu Hause im virtuellen Klassenzimmer mit anderen Teilnehmern - und fand schon den Basiskurs gar nicht gut. "Mir ist schnell aufgefallen, dass der Dozent sehr umständlich ist, sich ständig verhaspelt und einiges ganz falsch erklärt", sagt Gerber. Am Anfang dachten er und die anderen Kursteilnehmer sich nicht viel dabei. Aber es wurde nicht besser. Launisch sei der Dozent gewesen, sagt Gerber, auf Fragen habe er oft keine oder falsche Antworten gehabt. Mit der Zeit stellten Teilnehmer fest, dass der Dozent Lehrinhalte ohne Quellenangaben aus dem Internet übernahm. Irgendwann geriet er so unter Druck, dass er mit einem Wutanfall ausstieg.

"Er wusste nicht, was er zeigen sollte", sagt Oskar Babuk (Name geändert), ein weiterer Kursteilnehmer, "wer dort gelernt hat, ist auf die Arbeitswelt nicht vorbereitet." Babuk glaubt, das beurteilen zu können: Bevor eine Krankheit sein Berufsleben unterbrach, war er Chefdozent für 3-D-Art an einem privaten Institut. Er und Gerber beschwerten sich beim IBB. Der zuständige Fachbereichsleiter entspannte die Lage zunächst, trotzdem lief das Krisenmanagement ins Leere. In einem Brief, der von allen sechs Kursteilnehmern unterschrieben ist, heißt es: "Für uns ist eine konsistente Haltung des IBB zu den Vorfällen oder ein verantwortungsvoller Umgang mit selbigen nicht erkennbar."

Ein Einzelfall? Ein Fehler im System? Das Hamburger Kursportal Wisy weist 28 000 Angebote von mehr als 1100 Anbietern aus. Bei dieser Masse liegt es nahe, dass die Qualität mitunter leidet. Gut möglich, dass manch Arbeitsloser seinen Ärger über ein Seminar herunterschluckt, weil er andere Probleme hat. Aber den Steuerzahlern kann es nicht egal sein, was bei den freien Anbietern passiert. Der Staat steckt viel Geld ins Gutscheinsystem. Im Jahr 2016 gab allein Hamburg 29,2 Millionen Euro dafür aus. Die Beschwerde veranlasste das Jobcenter deshalb zu einer Prüfung beim IBB.

Das Institut entstand vor 32 Jahren im Grunde auch aus einer Kritik an der Erwachsenenbildung. Die Diplompädagogin Sigrid Baumann-Tornow, damals 28, dachte sich nach einem Vorstellungsgespräch bei einem Bildungsträger: "So ein Unternehmen kann ich besser aufbauen." Sie gründete mit einem Partner in Buxtehude das IBB. Heute hat die Firma etwa 180 Standorte und 750 Mitarbeiter. Eine Onlineakademie ermöglicht es Arbeitslosen, sich von einer Niederlassung oder von zu Hause aus fortzubilden. Die AG, deren Mehrheitseignerin Baumann-Tornow ist, machte 2015 einen Umsatz von fast 36 Millionen Euro. Die meisten Kunden kommen vom Jobcenter und der Bundesagentur für Arbeit (BA). Und ein wichtiger Baustein des Erfolgs ist für die Gründerin das, was Gerber und Babuk anzweifeln: öffentliche Qualitätsstandards. "Wir sind das erste Unternehmen in der Bildungsbranche, das sich nach ISO 9000 hat zertifizieren lassen."

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Fernstudium, E-Learning, Bildungsurlaub oder Lehrgänge: Die Möglichkeiten zur beruflichen Weiterbildung sind vielfältig. Wer sich neben dem Job für höhere oder andere Aufgaben qualifizieren will, sollte seine Voraussetzungen und Chancen einschätzen können, aber auch darüber Bescheid wissen, welchen Abschluss er mit der Weiterbildung erreichen kann und ob er mit finanzieller Unterstützung durch Bafög, Meister-Bafög oder sogar Zuschüssen vom Arbeitgeber rechnen kann.

ISO 9000 ist eine international anerkannte Norm für das Qualitätsmanagement einer Firma. Die BA verlangt als Mindestanforderung staatliche Prüfungen nach der Akkreditierungs- und Zulassungsverordnung AZAV. Dazu kommen Prüfungen von diversen Stellen der BA oder Jobcenter. Die Prüfer kommen unangekündigt in die Firmen, sprechen mit Mitarbeitern und Kunden, kontrollieren unter anderem Arbeitsmittel, Räumlichkeiten und die Eignung der Lehrkräfte. Das Hamburger Jobcenter prüfte das IBB 2012, 2013 und 2015. Ergebnis laut Sprecher Thamling: "Bisher keine Beanstandungen."

Das Jobcenter hat keine Mängel gefunden. Hans Gerber findet das "traurig und merkwürdig"

Katrin Witte und Sigrid Baumann-Tornow erzählen von der IBB-Welt. Der Fachbereich Grafik ist nur einer von vielen. Das Unternehmen bietet Kurse über IT-Systeme, Sprachen, Aspekte medizinischer Berufe, Weiterentwicklungen in Energietechnik und so weiter. Für jeden Fachbereich gibt es einen Leiter, der die Dozenten prüft und begleitet. Um die Aktualität der Inhalte kümmern sich Fachgebietsleiter. Ein sechsköpfiges Recruiting-Team sucht im In- und Ausland nach Dozenten. Die Dozenten wiederum bekommen Unterstützung von Pädagogen. "Wir haben ein umfassendes Schulungsprogramm für unsere Lehrkräfte", sagt Katrin Witte. Und Sigrid Baumann-Tornow sagt: "Wir haben eine sehr, sehr hohe Zufriedenheitsquote. Wir messen das jeden Monat." Auch über den Dozenten, den Gerber und Babuk kritisierten, habe sich davor niemand beschwert.

Ist die Kritik überzogen? Sie deutet zumindest darauf hin, dass selbst offizielle Prüfmechanismen und verzweigte Firmenstrukturen kein ideales Angebot garantieren. Witte räumt ein: "Wir arbeiten mit Menschen zusammen, da passieren Fehler." Und der Jobcenter-Geschäftsführer Dirk Heyden sagt: "Wir sind dankbar für konkrete Hinweise auf Verbesserungspotenziale bei den Trägern." Aber das Jobcenter hat "keine valide Statistik" darüber, wie oft es Beschwerden gibt.

Eine Versöhnung im Beschwerdefall gibt es nicht. "Es ist schwer, auf einen Nenner zu kommen", sagt Katrin Witte. Die Prüfung durch das Jobcenter ergab keine Beanstandungen. Hans Gerber findet das "traurig und merkwürdig". Oskar Babuk sagt: "Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll." Der Unterricht im IBB muss weitergehen.

© SZ vom 10.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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