Karriere mit Doktortitel:Das große Wettrüsten

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Eitle Titel-Tröpfe: Längst nicht alle Doktoranden wollen in die Wissenschaft. Oft ist die Promotion eine Verlegenheitslösung - oder reines Karriere-Kalkül.

Dominik Stawski

Tobias Wehner ist ein vorbildlicher Jura-Absolvent. An der Universität Bayreuth hat der 26-Jährige gerade sein Examen bestanden: voll befriedigend. Unter Juristen ist das eine Note, auf die man stolz sein kann. Jetzt könnte die Büffelei ein Ende haben, jetzt könnte Wehner ein Referendariat beginnen, danach eine Anwaltskarriere starten. Doch er tut es nicht, denn er ist sich sicher, dass ihm noch etwas fehlt: der Doktortitel.

Eine Qual

"Eine Qual" sei die Promotion, sagt Wehner. Weil er fürchtet, dass sein Doktorvater erfährt, wie er über die Promotion denkt, will er nicht mit seinem richtigen Namen in der Zeitung stehen. Ihm graut es vor den trostlosen Tagen in der Bibliothek, den trockenen Texten in den dicken Büchern. Er werde sich wieder von Kaffeepause zu Kaffeepause schleppen. Aber er habe keine Wahl: "Manche Kanzleien nehmen nur Promovierte", sagt er. Und den Weg in eben diese Kanzleien will sich Wehner nicht verbauen.

Was um ihn herum passiert, nennt der Jurist ein "Titel-Wettrüsten". Eine gute Examensnote alleine reicht nicht mehr, viele seiner Kommilitonen hätten auch noch einen ausländischen Abschluss, einen Master of Laws oder einen Maîtrise, und sie versuchen alles, um im Anschluss an ihr Studium zu promovieren. Das Thema spielt dabei keine große Rolle. Was zählt, ist der Titel.

Werbemaßnahme in eigener Sache

Es gibt verschiedene Arten von Doktortiteln in Deutschland: die ernsthafte Promotion, beispielsweise als Start in die wissenschaftliche Laufbahn; die Verlegenheitspromotion, weil es gerade keine andere sinnvolle Beschäftigung gibt; die erzwungene Promotion, weil sonst nur schwer ein Job zu bekommen ist; und eben die Statuspromotion wie bei Tobias Wehner, bei der Anerkennung, Geld und gute Positionen locken.

Nach einer Studie der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi entscheiden sich 90 Prozent der Promovenden gegen eine Wissenschaftlerkarriere - die Chancen auf eine Professur sind schlecht, aber viele Doktoranden treibt ohnehin nicht die Forscher-Neugier. Sie verstehen die Promotion im englischen Wortsinn: als Werbemaßnahme in eigener Sache.

Hierarchie der Titel

"In Deutschland haben wir eine Hierarchie der Titel", sagt der Darmstädter Soziologe Michael Hartmann, der über Eliten in der Gesellschaft forscht. In Ländern wie den USA sei es dagegen wichtiger, an welcher Uni man studiert habe. Von den amerikanischen CEOs ist jeder achte ein Absolvent der Harvard University. In Deutschland zählt der Doktortitel: Mehr als die Hälfte der deutschen Spitzenmanager ist promoviert, so Hartmann.

Überhaupt wird in fast keinem Land der Welt so eifrig promoviert wie in Deutschland. Nach OECD-Angaben absolvieren hierzulande 2,3Prozent eines Jahrgangs ein Forschungsprogramm, meist eine Doktorarbeit. Im OECD-Schnitt sind es gerade mal 1,5 Prozent.

10.000 Euro weniger Gehalt

Es gibt Fächer in Deutschland, in denen der Doktortitel beinahe Pflicht ist, die Chemie gehört dazu. "Fast alle großen Unternehmen nehmen nur Promovierte", sagt Gerhard Kronisch, Hauptgeschäftsführer des Verbands angestellter Akademiker und leitender Angestellter der chemischen Industrie (VAA). Eine VAA-Umfrage unter Chemie-Studenten ergab, dass 86 Prozent der mehr als 500 Befragten promovieren wollen. "Weil es mehr Knete gibt und die interessanteren Positionen", sagt Kronisch.

Wer nicht promoviert, bekommt laut Tarifvertrag als Einstiegsgehalt etwa 54.000Euro und damit knapp 10.000 Euro weniger als der Kollege mit Doktortitel. Auch für die Betriebe rechnet sich das: "Die Unternehmen wollen das Wissen absaugen", sagt Kronisch. Das gehe so weit, dass die Firmen untereinander im harten Wettbewerb um Doktoranden stehen.

Der Doktor bringt nicht nur für Chemiker mehr Geld: Die Managementberatung Kienbaum hat etwa 190 Unternehmen aus allen Branchen befragt und ermittelt, dass hochqualifizierte Einsteiger mit Doktortitel zu Berufsbeginn ungefähr 15.000 Euro mehr geboten bekommen als ihre nicht promovierten Kollegen. Und obendrein verschafft der akademische Titel Respekt, sagt Elitenforscher Hartmann. Das sei ein ganz einfacher Effekt, der sich da einstelle: "Ein Doktor? Oh ja, das muss ein Besserer sein." Und gerade bei Freiberuflern sei der Titel schlicht Werbung: "Ein Arzt ist einfach ein Doktor. Wer das nicht auf seinem Schild stehen hat, hat ein Legitimationsproblem."

Anders ist das in vielen geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern. Dort lässt sich ohnehin nicht schnell promovieren, um mal eben den Status zu heben. "Es gibt gewaltige Unterschiede zwischen den Disziplinen", sagt Manuel Theisen, Professor für Betriebswirtschaftslehre aus München. Er kämpft seit Jahren gegen das Geschacher mit gekauften Doktortiteln in Deutschland. Theisen schätzt, dass pro Jahr etwa 600 Doktortitel aus Titelsucht unrechtmäßig erworben werden.

Eitle Titel-Tröpfe

"Der glänzende Ruf des Doktors hat darunter gelitten", sagt Theisen. Er versucht alles, ihn wieder sauber zu bekommen: "Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass den Doktortitel nur zwei Buchstaben ausmachen." Und dass alle, die einen Doktor machen, nur eitle Titel-Tröpfe seien. Die Promovenden müssen sich doch den Titel verdienen. Zwar gäbe es Fächer wie Medizin, in denen die Dissertation "eher Diplomarbeits-Charakter" habe, aber in den Wirtschafts- und Ingenieurwissenschaften beispielsweise sei die Doktorarbeit "happig".

Happig - das ist das richtige Wort, findet auch Bernhard Lutz. Der 28 Jahre alte Ingenieur promoviert im Fach Elektrotechnik an der Technischen Universität München. Ihm gehe es nicht um Statusgewinn, sagt er. "Bei uns Ingenieuren ist das anders." Er hätte auch gleich in ein Unternehmen wechseln können, dort lockt das Geld. Aber Lutz wollte forschen, wollte noch ein paar Jahre selbständig bleiben und nicht nur im Unternehmen ausführen, was der Chef sagt. "Mich reizen der Anspruch und die Begeisterung für das Thema."

"Richtig spannend"

In seinem Projekt geht es um Hochspannungstechnik, um Transformatoren, um die Wahl der richtigen Werkstoffe, damit diese zuverlässig funktionieren. "Das ist richtig spannend", sagt Lutz. Jedes Mal, wenn er ins Labor geht, erfährt er etwas Neues.

Im Sommer will er die Dissertation beenden. Drei Jahre hat er dann geforscht, 50 Stunden in der Woche gearbeitet. Alle drei Monate hat er Rechenschaft ablegen müssen, denn die Arbeit hat Siemens als Industriepartner finanziert. Der Konzern erhofft sich wichtige Erkenntnisse und will sichergehen, dass das Forschungsprojekt auch vorankommt.

"Projekt der Selbstdisziplin"

Für Jura-Absolvent Tobias Wehner ist die Promotion dagegen ein "Projekt der Selbstdisziplin". Eineinhalb Jahre will er sich dafür geben, mehr nicht. Was ihn antreibt, ist nicht die Aussicht auf spannende Erkenntnisse in den vielen juristischen Abhandlungen, die er in den nächsten Monaten lesen wird. Ihn motiviert die Aussicht auf einen guten Job. Den Doktor verlangten manche Kanzleien nur wegen der hohen Honorarforderungen. "Irgendwie müssen sie die ja rechtfertigen", sagt er. "Und wenn ein Doktor auf der Rechnung steht, ist das einfacher." Irgendwann soll auch Wehners Name im Briefkopf stehen, und dafür muss er mithalten beim Titel-Wettrüsten.

© SZ vom 13.03.2010/holz - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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