Arbeitsalltag:Ein Whiskey auf die Firma

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Whiskey-Happy-Hours, Städtereisen umsonst oder Gutscheine für Hubschrauberflüge mit dem Chef - Unternehmen beweisen Kreativität, wenn es darum geht, Mitarbeiter an sich zu binden. (Foto: Robert Haas)

Technikunternehmen in den USA bieten ihren Mitarbeitern viele Vergünstigungen. Doch nicht aus reiner Nächstenliebe.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles, und Claus Hulverscheidt, New York, Los Angeles/New York

Neid, das muss an dieser Stelle klar und deutlich gesagt werden, ist eine ganz und gar schreckliche Eigenschaft. Was bringt es, dem Nachbarn einen juckenden Pilz an die Füße zu wünschen, nur weil sein Rasen grüner ist als der eigene? Und doch ist es nur zu verständlich, dass manch deutscher IT-Angestellte gelegentlich mit großen Augen in Richtung Silicon Valley schaut. Wahrscheinlich hat ihm sein schwäbischer Arbeitgeber gerade das Aufstellen eines Kickers untersagt, weil die Fluchtwege frei bleiben müssen. Und in der Kantine gibt es keine Pommes, weil der Betrieb einer Fritteuse wegen des Brandschutzes verboten ist.

Wie anders ergeht es da doch den Kollegen in den USA, dem scheinbar gelobten Land der Mitarbeiterzufriedenheit. Dabei sind die sechsstelligen Jahresgehälter und die Aktienpakete, die selbst Einsteiger erhalten, noch nicht einmal das Besondere. Was IT-Schmieden wie Google und Facebook zu den beliebtesten Arbeitgebern des Planeten macht, sind das Gefühl, Teil einer die Welt verändernden Elite zu sein - und die sogenannten Perks, jene teils verrückten Vergünstigungen, die alle Mitarbeiter erhalten: Kostenlose Mahlzeiten und Friseurbesuche rund um die Uhr gehören ebenso zum Standard wie Yoga-Unterricht am frühen Morgen oder eine Agentur, die auch private Angelegenheiten der Mitarbeiter übernimmt, etwa die Planung der Geburtstagsparty, das Bügeln von Hemden oder Telefonate mit Handwerkern.

"Es ist ein Spiel"

Allein das klingt nach einer Anstellung im Himmel, doch manche Firmen gehen noch viel, viel weiter. Beim Überwachungskamera-Hersteller Dropcam etwa erhalten Mitarbeiter Gutscheine für Hubschrauberflüge, bei denen Gründer Greg Duffy persönlich am Steuerknüppel sitzt. Die Cloud-Firma Dropbox offeriert an jedem Freitag eine Whiskey-Happy-Hour, der Crowdfunding-Klamottenhändler Betaband bezahlt bestimmte Städtereisen, bei Netflix dürfen Mitarbeiter nach der Geburt oder Adoption eines Kindes bis zu einem Jahr bei voller Bezahlung daheim bleiben. Und natürlich gibt es da noch die Angebote von Apple und Facebook an weibliche Mitarbeiter, bis zu 20 000 Dollar für das Einfrieren von Eizellen ganz oder teilweise zu übernehmen und damit Beihilfe zu einer zielgenauen Familienplanung zu leisten. Die Perks sind die Silicon-Valley-Variante des "Mein Haus, mein Auto, mein Boot"-Werbespots von vor 20 Jahren.

Amazon
:Wenn einem Unternehmen alles egal sein kann

Amazon mag als Arbeitgeber nicht den besten Ruf haben. Aber das Unternehmen muss sich nicht darum kümmern, denn das Geschäftsmodell fußt auf der immerwährenden Bequemlichkeit der Menschen.

Ein Kommentar von Annette Zoch

Ausgerechnet in diese so heile, kunterbunte Welt platzte zu Wochenbeginn eine groß angelegte Enthüllungsgeschichte der New York Times, die sich mit den Arbeitsbedingungen beim weltweit größten Onlinehändler Amazon befasst. Von beinahe unmenschlichem Druck auf die Mitarbeiter ist in dem Artikel die Rede, von Arbeit rund um die Uhr, von Beschäftigten, die nach Bekanntwerden ihrer Krebsdiagnose rausflogen, von übler Nachrede über das firmeneigene "Feedback"-Programm (siehe Artikel unten). Nirgendwo auf der Welt, das war das, was nach der Lektüre des Artikels haften blieb, kann das Arbeiten so grausam und unerträglich sein wie ausgerechnet beim Online-Giganten aus Seattle.

Amazon ist zweifellos ein Extremfall, und doch geben die Enthüllungen Anlass, auch bei anderen Internetfirmen einmal hinter die so glitzernde Fassade zu schauen. Denn so schön es ist, wenn eine Firma den neuen Mitarbeiter erst einmal mit einem Aktienpaket ausstattet, das bereits in den ersten Wochen nach Dienstantritt kräftig an Wert gewinnt - was ist der Preis? Warum tut der Arbeitgeber das? Nur weil er darauf aus ist, hochbegabte Arbeitskräfte anzulocken und ihnen das Leben so angenehm wie möglich zu gestalten?

Wer an seinem Unternehmen finanziell beteiligt ist, das lehrt die Erfahrung, fühlt sich ihm stärker verbunden - und arbeitet härter. "Es ist ein Spiel: Jeder macht diese Rechnung im Kopf, dass er soundso viel Geld verdient, wenn er noch ein Quartal bleibt", sagt Gregor Hochmuth, der beim Foto-Onlinedienst Instagram arbeitete, als die Firma von Facebook übernommen wurde: "Wenn du bei Facebook jemanden fragst, wie der Börsenkurs des Unternehmens ist, kann dir jeder Mitarbeiter genau den aktuellen Wert sagen." Hochmuth wollte dieses Spiel nach einiger Zeit nicht mehr mitmachen, er ging weg von Facebook und aus dem Silicon Valley.

Der Onlinehändler Amazon steht nicht nur wegen der Bedingungen in seinen Warenzentren in der Kritik. (Foto: Uwe Zucchi/dpa)

Auch bei vielen anderen Vergünstigungen lohnt es sich, genau zu lesen: Ein "rund um die Uhr" geöffneter Friseurladen etwa ist natürlich nur sinnvoll, wenn auch rund um die Uhr jemand in der Firma ist - sprich: arbeitet. Yoga-Klassen "bei Sonnenaufgang" wären überflüssig, wenn bei Sonnenaufgang niemand auf dem Campus wäre. Wenn eine Agentur private Angelegenheiten regelt, dann vielleicht auch deshalb, weil die Angestellten kein Privatleben mehr haben. Beim "Basketballturnier auf dem Firmengelände" spielen nicht Freunde miteinander, sondern Kollegen - und es ist keineswegs verboten, in den Pausen über das laufende gemeinsame Projekt zu diskutieren. Wer einen vom Unternehmen finanzierten Urlaub genießt, der muss danach auf der Firmen-Homepage darüber berichten oder gar währenddessen für die Kollegen eine digitale Schnitzeljagd veranstalten. Und natürlich kann eine Frau, die erst in fünf Jahren schwanger werden möchte, bis dahin voll arbeiten.

Bill Gates erzählte einst, dass er oft tagelang im Büro saß - ohne darüber nachzudenken

Frühmorgens ins Büro, spätabends nach Hause, immer und überall erreichbar - das scheint das Motiv zu sein, das die Firmen mit ihren so unfassbar erscheinenden Vergünstigungen verfolgen. Google etwa ermuntert seine Mitarbeiter dazu, an eigenen Projekten zu arbeiten. Scott Berkun schreibt dazu in seinem Buch " The Myths of Innovation": "Zur Kultur von Google gehört (. . .) eine ehrgeizige Arbeitsmoral, bei der Gruppendruck und Stolz die Antriebe sind. Wie bei vielen anderen Technologieunternehmen ist der Tenor bei Google: Ja, du darfst an einer Idee arbeiten - aber niemals zu Lasten der anderen Aufgaben." Übersetzt heißt das: Du kannst nach deinem Zwölf-Stunden-Tag gerne noch hier bleiben - und weiterarbeiten.

Gefördert wird die Selbstausbeutung auch durch die Geschichten über Gründer und Chefs, die beinahe mythisch verklärt werden. "Ich bin manchmal tagelang im Büro geblieben und habe noch nicht einmal darüber nachgedacht", sagte Bill Gates einmal über die ersten Jahre bei Microsoft. Es gibt Berichte über Yahoo-Chefin Marissa Mayer, wie sie während ihrer Zeit bei Google nächtelang durcharbeitete. Angeblich waren 130-Stunden-Wochen keine Seltenheit - und natürlich saß sie zwei Wochen nach der Geburt ihres Sohnes wieder im Büro. Die manische Arbeitsmoral des detailversessenen Steve Jobs wird im Oktober in einem Film von Danny Boyle erneut stilisiert werden, auch über Tesla-Gründer Elon Musk gibt es wilde Erzählungen.

Die Botschaft all dieser Geschichten: Niemand muss 130 Stunden in der Woche arbeiten. Wer aber zumindest ein bisschen so sein will wie Gates oder Mayer oder Jobs oder Musk, der sollte es tun!

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Vielleicht ist es dieser Korpsgeist, der jetzt dazu führte, dass sich viele prominente IT-Menschen über den Artikel in der New York Times erregten. Die Aussagen der Amazon-Mitarbeiter seien "aus dem Zusammenhang gerissen", schimpfte Ex-Twitter-Chef Dick Costolo. Marc Andreessen, Miterfinder des einstigen Standard-Web-Browsers Netscape, schrieb, er habe über die Jahre mit Hunderten Amazon-Angestellten gesprochen - und alle hätten die Firma toll gefunden. Auf den Punkt brachte es jedoch Josh Elman von der Beteiligungsgesellschaft Greylock Partners: Unternehmen, die etwas wirklich Neues schaffen wollten, so der Finanzier, hätten nun einmal eine "intensive Kultur". Anders ausgedrückt: Der Erfolg heiligt die Mittel.

Die meisten deutschen IT-Experten können sich angesichts solcher Debatten einigermaßen entspannt zurücklehnen, und vielleicht gönnt sich der ein oder andere sogar einen kurzen Moment der Schadenfreude über die kostenlos frisierten US-Kollegen. Schadenfreude allerdings ist eine genauso schreckliche Eigenschaft wie Neid.

© SZ vom 19.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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