Italien in der Krise:La dolce vita auf Pump

Schon lange kämpft Bella Italia mit Problemen in der Wirtschaft, aber dem Land wurde stets viel verziehen. Zuletzt jedoch haben Spekulanten das Land aufs Korn genommen. Was passiert jetzt? Fragen und Antworten rund um die Krise in Italien.

Jannis Brühl

Anleger befürchten, dass die wirtschaftliche Lage in Italien außer Kontrolle geraten könnte. Doch wie geht es dem Land wirklich?

Warum hat Italien so viele Schulden?

In absoluten Zahlen hat Italien mit 1,8 Billionen Euro kaum weniger Schulden als Deutschland mit rund zwei Billionen Euro.

Wenn aber die Summe ins Verhältnis zur Wirtschaftsleistung gesetzt wird, befindet sich das Land in einer Liga mit Griechenland: Die Schulden machen rund 120 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus - weltweit haben nur die notorischen Schuldner aus Athen sowie Japan eine höhere Quote.

Die Ursachen des Schuldenberges gehen weit in die Vor-Berlusconi-Ära zurück. Regiert von einer korrupten politischen Klasse lebte das Land vor allem seit den achtziger Jahren deutlich über seine Verhältnisse.

Ein gutes Beispiel dafür ist das Rentensystem: Lange gingen viele Menschen ungewöhnlich früh in Rente: In den Achtzigern machten das viele Italiener schon vor dem 50. Lebensjahr, noch 2007 konnten sich viele mit 57 zur Ruhe setzen - in der im Schnitt ältesten Gesellschaft Europas kostet das den Staat Jahr für Jahr Milliarden.

Italien gibt 14 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für die Rentner aus - das ist doppelt so viel wie der Durchschnitt der reichen OECD-Länder. Jedem Italiener, der älter als 65 ist, stehen nur 2,6 "Arbeitsfähige" zwischen 20 und 64 gegenüber. Bis 2050 sollen es laut OECD nur noch 1,5 sein.

In den vergangenen Jahren hat die Regierung nachgebessert - Männer sollen - zumindest auf dem Papier- erst mit 65 Jahren in Rente gehen. Mit dem neuen Sparpaket soll endlich auch das Eintrittsalter für Frauen auf 65 Jahre erhöht werden und das generelle Rentenalter mit der Lebenserwartung steigen. Alle drei Jahre soll die Grenze um drei Monate angehoben werden.

Warum gerät Italien gerade jetzt in die Bredouille?

Italien fällt - gemessen an der Wirtschaftsleistung - im Vergleich zu anderen EU-Ländern immer weiter ab. Im Herbst 2010 warnte der Internationale Währungsfonds, dass Italiens Wirtschaft im vergangenen Jahrzehnt jedes Jahr um fast ein Prozent weniger wuchs als der Durchschnitt der 15 "klassischen" EU-Staaten. Damit sind die Mitgliedsländer vor der Osterweiterung 2004 gemeint.

Anleger sind wegen des Hickhacks um Griechenlands Rettung ohnehin schon nervös, da kann ihnen Römer Polit-Theater den entscheidenden Impuls liefern, in scheinbar sichere Länder zu fliehen: Zwar hat Italiens Regierung ein Sparpaket von 47 Milliarden Euro verabschiedet, verschiebt aber die Umsetzung weit in die Zukunft.

Finanzminister Guido Tremonti war der Mann, von dem die Märkte glaubten, er könne den Schuldenberg abtragen. Doch jetzt hat er das Vertrauen verloren - wegen einer Korruptionsaffäre in seinem Umfeld und wegen seines eigenen Chefs.

Erst wurde einer seiner Berater wegen illegaler Machenschaften angeklagt, dann kam heraus, dass er dem Minister auch noch die Miete in Rom zahlte. Überdies sagte Premier Berlusconi in einem Interview sinngemäß, sein Minister habe eh nichts zu melden.

Da hilft es auch nichts, dass der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble das Finanzpaket "sehr überzeugend" nennt.

Ist Italien das neue Griechenland?

Jetzt ist viel von Ansteckung die Rede, dabei macht jedes Land seine Schulden selbst. Was Italiens Probleme mit der Griechenland-Krise verbindet, ist vor allem die Nervosität der Märkte. Bei aller Kritik an Berlusconi: Sein Italien ist nicht mehr das seiner Vorgänger Bettino Craxi und Giulio Andreotti.

Korruption existiert, dafür unterhält der Staat keine ins Absurde aufgeblähte Bürokratie wie in Griechenland, die Kosten für den italienischen Sozialstaat sind mit den deutschen vergleichbar: Sozialquote und Staatsausgaben fürs Soziale pro Kopf liegen in Italien etwas unter dem deutschen Niveau.

Von einem unmittelbar drohenden Zahlungsausfall für Italien sprechen nicht einmal die strikten Ratingagenturen. Auch die Struktur der Verschuldung Italiens unterscheidet sich von der Griechenlands. Italienische Schulden werden zu 55 Prozent auch von italienischen Gläubigern gehalten. Eine plötzliche Kapitalflucht ist deshalb unwahrscheinlich.

Italien kann im Gegensatz zu Griechenland auf eine Industrie von Weltformat setzen: Das Land ist die siebtgrößte Exportnation der Welt, weil es über eine Automobil- und eine prosperierende Textilindustrie verfügt.

Thomas Herrrmann, Ökonom bei der Bank Credit Suisse sieht einen großen Unterschied zwischen Italien und Griechenland: "Italien hat kein Problem mit der Haushaltsdiziplin mehr, sondern einfach in der Höhe der Schulden." Die Anleger würden schon bei einem kleinen Anstieg des Zinssatzes auf Staatspapiere nervös.

Italien wird niemals Pleite gehen, sagt auch EZB-Ratsmitglied Bini Smaghi. Es sei "ein reiches Land". Allerdings weist Smaghi auf die Gefahren der Schuldenkrise hin: "In Italien gibt es eine starke Korrelation zwischen Staatsrisiko und Bankenrisiko wegen der Höhe der Staatsschulden und weil die Banken eine bedeutende Menge an Staatsanleihen besitzen", sagte Smaghi.

Hat Europa den Italienern zu viel durchgehen lassen?

Italien ist Kerneuropa, nach dem Krieg war das Land eines der sechs Gründungsmitglieder der Europäischen Union. Das Land, das nach dem Krieg ein ähnliches Wirtschaftswunder wie Deutschland erlebte, ruft vor allem in den Köpfen der Nordeuropäer besondere Assoziationen hervor: Italien war das lockere, leichte Europa, wo die Menschen weniger protestantisch, weniger verbissen lebten.

Grund für die plötzliche Flucht der Anleger ist Italiens enormer Schuldenberg, unmittelbarer Auslöser aber war der Vertrauensverlust durch die politischen Streit in Rom. Europa muss sich die Frage stellen, ob es nicht früher Schritte gegen die Ego-Politik Silvio Berlusconis oder zumindest gegen sein Auftreten hätte unternehmen sollen.

Italien hat in erster Linie kein ökonomisches, sondern ein politisches Glaubwürdigkeitsproblem. Und damit hat Europa auch eins.

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