Überwachungsskandal:Cyberwar der Regierungen gegen ihre Bürger

Demonstranten für Edward Snowden

Unterstützung für den Whistleblower: Demonstraten in Berlin

(Foto: dpa)

An der Massenausspähung durch die Geheimdienste ist die Politik schuld, klar. Wenn wir unseren Kindern einfach so einen hochgerüsteten Überwachungsstaat hinterlassen, tragen aber auch wir Verantwortung. Wir müssen jetzt aufstehen und für unsere Freiheit kämpfen.

Ein Gastbeitrag von Katharina Nocun, politische Geschäftsführerin der Piratenpartei

Katharina Nocun, 26, ist seit Mai politische Geschäftsführerin der Piratenpartei. In Niedersachsen kandidiert die Studentin und Redakteurin auf Listenplatz 2 für die Bundestagswahl. Zu Nocuns politischen Kernthemen zählt der Datenschutz. Vor dem Bundesverfassungsgericht klagt sie gegen die Bestandsdatenauskunft.

Es ist ein gigantischer Skandal, der in diesen Tagen aufgedeckt wird. Die Geheimdienste überwachen Millionen Menschen in ganz Europa. Zeit für die Politik zu intervenieren, könnte man meinen. Doch was machen unsere Volksvertreter? Sie schicken ein paar halbherzige diplomatische Floskeln in Richtung Großbritannien und USA. Das Freihandelsabkommen mit den USA wird hingegen nicht als Pfand für unsere Grundrechte ins Feld geführt. Was bleibt, sind Versprechungen. Die Botschaft der vergangenen Tage lautet: Bürger ausspionieren, ist vollkommen okay.

Finden Sie mal einen Monat, in dem kein verfassungswidriges Überwachungsgesetz verabschiedet, beraten oder von Karlsruhe zurückgepfiffen wird. Unter Kanzlerin Angela Merkel sind mehrere Dutzend Bundesgesetze für verfassungswidrig erklärt worden. Unter Gerhard Schröder und Rot-Grün war es nicht besser mit dem Grundrechtsraubbau: Präventive Ermittlungsbefugnisse für das BKA, ein Terrorismusabwehrzentrum hebelt die Trennung zwischen Geheimdiensten und Polizei aus und biometrische Datensammlungen erfassen uns ganz.

Immerhin, ließe sich zynisch einwerfen, ist die Bundesregierung nicht alleine. Überwachung hat international Konjunktur. Edward Snowden hat nicht nur einzelne Maßnahmen, sondern ein ganzes System entlarvt. Er macht öffentlich, was in einer Demokratie an die Öffentlichkeit gehört. Dafür schlagen die Regierenden nun die Tür vor ihm zu. Ein möglicher Grund für das Ablehnen seiner Asylanfragen ist neben den Drohgebärden der US-Regierung womöglich die Tatsache, dass viele westliche Demokratien eine Mitschuld oder Mitwisserschaft nicht glaubhaft von sich weisen können. Befreundete Staaten tauschen die Daten ihrer Geheimdienste untereinander aus. Bürgerrechte vor Ort werden so umgangen. Das ist ein organisierter krimineller Hackerangriff auf unsere Grundrechte. Das ist Cyberwar der Regierungen gegen die Bürger.

Die Geheimdienste sind ein rechtsfreier Raum

Wir in Deutschland sind der Angst-und-Terror-Rhetorik der Innenminister auf den Leim gegangen. Nicht das Internet ist ein rechtsfreier Raum, der überwacht gehört. Die Geheimdienste sind es. Nicht der Terrorismus ist die größte Bedrohung für die Demokratie. Es sind die Innenminister und Geheimdienst-Experten. Die Bürger haben sie damit durchkommen lassen. Regierungen haben Geheimdiensten weltweit die Hintertür aufgemacht und diese sind gleich mit dem Panzer in unsere Wohnzimmer bei Facebook und anderswo einmarschiert. Der Krieg gegen den internationalen Terrorismus wird heute längst nicht mehr am Hindukusch, sondern auf unseren Rechnern und Smartphones ausgetragen.

Der Staat schnüffelt sich durch unser Leben und was macht die Bevölkerung? "Ich habe doch nichts zu verbergen, das betrifft mich nicht", heißt es oft lethargisch. Nichts? Da wühlt sich jemand flächendeckend wie ein Stalker durch Ihr Leben und es interessiert Sie nicht? Wie steht es um Gesundheitsprobleme, Jugendsünden, Google-Suchen und Familienstreit? Haben Sie schon einmal eine E-Mail oder einen Brief geschrieben, von dem Sie nicht wollten, dass es der Nachbar mitliest oder anhört? Gratuliere, Sie haben etwas zu verbergen. NSA, der britische Geheimdienst und der Bundesnachrichtendienst können diese Email mitgelesen haben - und die Bundesregierung tut nichts dagegen. Vorschlag zur Güte: Wenn Ihnen das nichts ausmacht, können Sie ja einen wöchentlichen Bericht an einen Geheimdienst ihrer Wahl schicken, aber ziehen Sie nicht den Rest der Bevölkerung da mit rein. Haben Sie tatsächlich nichts dagegen, wenn Geheimdienste in den Mails von Journalisten oder Anwälten wühlen? Haben Ihre Freunde und geliebten Menschen kein Recht auf Geheimnisse?

Wer nichts zu verbergen hat, dem wird im Überwachungsstaat ein ewiger Prozess gemacht. Ohne das Recht zu schweigen. Ohne Anwalt. Ohne zu wissen, wie die Anklage lautet. Geheimdienste und Behörden, die ohne konkreten Verdacht in unserer Privatsphäre schnüffeln sind keine Ermittler, es sind Überwacher. Nur, weil sie Algorithmen nutzen, heißt das nicht, dass sie sich nicht genauso ihre Hände schmutzig machen. Niemand weiß, welche Schlagwörter oder Verbindungsdaten aus mir einen potentiellen Terroristen machen. Wer entscheidet eigentlich, was "normal" ist und was nicht? Und mit welchen Recht? Wir brauchen eine Renaissance des Rechtsstaates, in dem wieder ermittelt wird, statt präventiv überwacht.

Leichtfertig geben wir Freiheiten auf

Nur die konsequente Einhaltung des Trennungsgebots kann den ungezügelten und unkontrollierbaren Datentransfers zwischen Geheimdiensten und Strafverfolgungsbehörden ein Ende bereiten. Die Politik hat Mitschuld, aber die Verantwortung tragen wir als Gesellschaft. Leichtfertig geben wir Freiheiten auf, für die andere bereit wären, ihr Leben zu geben. Dass wir unseren Kindern einen hochgerüsteten Überwachungsstaat hinterlassen, sehen viele nicht. Die Regierungen der Zukunft kennen wir nicht. Überwachung aber funktioniert wie Radioaktivität. Wenn man sie bemerkt, ist es bereits zu spät.

Orwells "1984" ist keine Anleitung oder Zukunftsbeschreibung. Es warnt davor, den großen Bruder Staat ausgestattet mit neuer Technik von der Kette zu lassen. Was Orwell aber nicht ahnen konnte: Die massiven Mobilisierungskräfte, die eine vernetzte Gesellschaft birgt. Im Netz ist niemand allein, sondern Teil einer globalen Gemeinschaft. Das Internet ist die mächtigste Waffe der Zivilgesellschaft. Gegen Machtmissbrauch und für Solidarität. Man muss sie nur nutzen.

Wir müssen jetzt gemeinsam einfordern, dass alle Fakten auf den Tisch gelegt und Untersuchungsausschüsse eingerichtet werden. Ein gesetzlicher Schutz für Whistleblower muss her. Nur ein starkes Datenschutzrecht und wiederhergestellte Grundrechte können unsere Privatsphäre wahren. Lasst uns Geld in Zukunft in neue datenschutzfreundliche und abhörsichere Technologien stecken statt es im Überwachungswettrüsten zu versenken. Wir brauchen keinen Überwachungsstaatenverbund. Was wir brauchen ist ein internationales Bündnis für den Frieden und die Freiheit im Netz. Und genauso wie wir Chemiewaffen und Atombomben ächten, können wir Überwachungstechnologien ächten. Es wird ein beschwerlicher Weg werden, das durchzusetzen. Aber für die Freiheit lohnt es sich immer zu kämpfen. Das erwarten die Snowdens dieser Welt von uns. Das sind wir ihnen schuldig. Wir sollten aufstehen und wütend werden.

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