Soziale Netzwerke:Die engen Grenzen der Facebook-Fahndung

Facebook

Täter suchen per Facebook: In Deutschland ist das für Privatpersonen verboten.

(Foto: dpa)

Die Fahndung über soziale Netzwerke ist für die Polizei gängige Praxis. Doch auch manche Opfer suchen online nach dem Täter. Was ist erlaubt?

Von Sara Weber und Lars Langenau

Internet-Pranger oder effektive Fahndung? Als die Polizei Hannover im März 2011 ein Pilotprojekt zur regionalen Facebook-Fahndung startete, reagierten Datenschützer empört. Doch an einen modernen Pranger dachte dabei kaum jemand. Die Kritik entzündete sich vor allem daran, dass personenbezogene Daten über Gesuchte auf amerikanischen Servern lagen, auf die die Polizei selbst keinen Zugriff hat. Die Hannoveraner reagierten schnell. Seitdem schreiben sie nur kurze Texte bei Facebook und verlinken auf eigene Seiten. Die Kritik verstummte weitgehend.

Das Projekt wurde vom Landeskriminalamt Niedersachsen übernommen und auf das gesamte Bundesland ausgedehnt. Für Polizei-Sprecher Frank Federau ist das eine Erfolgsgeschichte: "Wir erreichen insbesondere junge Menschen mit unserer Arbeit in den sozialen Netzwerken. Die Rückmeldungen erfolgen schnell und tragen zum Fahndungserfolg bei."

Genaue Zahlen, wie erfolgreich diese Form der Öffentlichkeitsfahndung ist, könne er allerdings nicht nennen, sagt Federau. Schließlich gehe die Facebook-Fahndung der Polizei mit der örtlichen Berichterstattung über entsprechende Fälle einher. Wenn Hinweise entgegengenommen werden, gehe es nicht darum, wie, wo und wann jemand darauf aufmerksam wurde. Die Fahndung mit Hilfe sozialer Netzwerke ist für die Polizei in vielen Bundesländern inzwischen so normal wie die Veröffentlichung des Aufrufs in Zeitungen oder auf Online-Nachrichtenportalen.

Auch das Bundeskriminalamt (BKA) setzt die Facebook-Fahndung seit Anfang Juli verstärkt ein: Weg von einer statischen Seite hin zu mehr Interaktion. Erster Erfolg: Die Fahndung nach Hooligans bei Ausschreitungen während der Fußball-Europameisterschaft in Lille, bei der sechs Tatverdächtige identifiziert werden konnten. Aber über Gesamtzahlen zum Fahndungserfolg kann auch hier niemand Auskunft geben.

Klare Vorgaben

"Es gibt genaue Regularien für die Öffentlichkeitsfahndung mit Bild", erläutert Thomas Baumann, Sprecher der Polizei München. Diese darf erst genutzt werden, wenn alle anderen Ermittlungsmethoden ausgeschöpft sind.

Außerdem muss die Polizei über die Staatsanwaltschaft einen Antrag bei Gericht stellen. Erst wenn der Richter der Öffentlichkeitsfahndung zugestimmt hat, darf das Bild des mutmaßlichen Täters veröffentlicht werden.

"Digitales Flyerverteilen"

Genau das passierte auch im Fall Jasmin, einer jungen Frau, die vor elf Jahren vergewaltigt wurde. Bis heute ist das Verbrechen nicht aufgeklärt, der Täter läuft wahrscheinlich noch frei herum (ihre Sicht auf den Fall und die Folgen für ihr Leben beschreibt sie hier).

Die Ermittlungsakten liegen bei der Staatsanwaltschaft Kassel auf einem Stapel für ungeklärte Fälle. Ein Zustand, mit dem sich Jasmin nicht abfinden wollte. Deshalb gründete sie Jahre nach der Tat eine eigene Facebook-Gruppe: "Suche nach unbekanntem Vergewaltiger" heißt sie und hat mehr als 30 000 Mitglieder. Als Titelbild: die Fahndungszeichnung des Täters sowie Fotos der Gegenstände, die er am Tatort verloren hat.

All das war im Januar 2005 auf den Onlineseiten der Polizei zu sehen. Jasmin vergrößerte mit ihrer Aktion den Radius der Suche und verlängerte sie zeitlich. "Das ist nichts anderes als digitales Flyerverteilen mit Material, welches damals von den zuständigen Behörden freigegeben wurde", sagt sie. Dies sei "kein privater Fahndungsaufruf", sondern sie "erinnere an eine bestehende Fahndung".

Tatsächlich bewegt sie sich mit der Weiterverbreitung nach Einschätzung des Düsseldorfer Rechtsanwalts Udo Vetter in einem Graubereich. Ihre Aktion erfülle "sicherlich keine Straftat". "Das größte Risiko liegt für die junge Frau darin, dass sie der tatsächliche Täter wegen der Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte verklagen könnte." Allerdings sei dies rein hypothetisch und dem Opfer wohl auch herzlich egal, wenn es auf diesem Weg des Täters habhaft werden könnte.

Bevor Jasmin ihre Facebookseite startete, machte sie sich juristisch kundig und stellt auf ihrer Seite expliziert klar, dass sie "keine Beleidigungen, Unterstellungen, Anfeindungen und Aufrufe zu Lynchjustiz und Hetzjagden sowie die Veröffentlichung irgendwelcher personenbezogenen Daten" dulde. Auch Hinweise sollen hier nicht gepostet werden - sondern direkt an die Polizei Korbach gehen.

Die Sprecher der Polizei und der Staatsanwaltschaft weisen jedoch darauf hin, dass das Phantombild, welches direkt nach der Tat erstellt wurde, inzwischen veraltet ist und falsche Verdächtigungen ermöglichen würde. Allerdings, so der Tenor der beiden, habe man Verständnis für ihre Aktion. Es sei ihr unbenommen, über den Fall zu berichten, um des Täters habhaft zu werden. Und genau das will Jasmin erreichen. Für sie ist die Suche auch ein Schritt heraus aus der Opferrolle.

Private Fahndungsaufrufe verboten

Gegen diese Art der Weiterverbreitung hat auch der Mainzer Fachanwalt für Medien, Karsten Gulden, nichts einzuwenden. Doch wer jemals selbst eine Fahndung im Netz mit Bild erwogen hat, sollte wissen: "In Deutschland gilt die Unschuldsvermutung, und das ist ein Grund dafür, dass private Fahndungsaufrufe verboten sind," sagt Gulden.

Das gelte auch für Beleidigungen oder Morddrohungen, die bei einem Opfer eingegangen sind - etwa per Mail. Diese dürfen nicht mit dem Profilbild der Person oder ihrem Klarnamen publik gemacht werden. "Das ist nicht zulässig", sagt Gulden.

Es gibt auch weitere juristische Einschränkungen: "Das Gesetz sagt, dass niemand dulden muss, dass sein Bildnis ohne seine Einwilligung verbreitet wird", sagt Gulden. Dies ist im Kunsturhebergesetz festgeschrieben. Ausnahmen gelten etwa für Personen der Zeitgeschichte und auch für Fahndungsfotos der Polizei, bei Verstoß gegen das Gesetz droht eine Geld- oder Freiheitsstrafe.

Doch das ist nicht alles: "Wenn die Person, die das Bild verbreitet, weiß, dass der Verdächtige nicht schuldig ist, droht eine Anzeige wegen Verleumdung." Habe die Person sich in ihrem Vorwurf geirrt, könne es zu einer Anzeige wegen übler Nachrede kommen - und zu einer Geld- oder Freiheitsstrafe führen, sagt Anwalt Gulden.

Viele private Fahndungsaufrufe würden sich im Nachhinein als falsch herausstellen, so seine Erfahrung. Und dann kann nicht nur die Person belangt werden, die den Fahndungsaufruf gestartet hat, sondern auch alle Personen, die ihn geteilt haben. "Ist man Opfer einer Straftat geworden, sollte man zur Polizei gehen und gegebenenfalls dort anregen, soziale Medien für die Fahndung zu nutzen."

Die Fahndung auf Facebook kann also auch gründlich schiefgehen - vor allem, wenn Unschuldige als vermeintliche Täter ausgemacht werden. Nach dem Bombenattentat auf den Boston-Marathon wurde online nach den Tätern gefahndet - am intensivsten über die Plattform Reddit. Dort wurde aus einem 22-jährigen Studenten schnell der vermeintliche Bombenleger. Die Wirklichkeit sah jedoch ganz anders aus: Der verdächtigte Student, der zum Zeitpunkt des Marathons als vermisst galt, war bereits tot, als er das Attentat begangen haben sollte. Seine Familie, die sich ohnehin um das Leben des Studenten sorgte, musste ihn und sich selbst nun auch noch gegen Terror-Vorwürfe verteidigen. Reddit wurde für die öffentliche Fahndung scharf kritisiert.

Doch davon ist der Fall Jasmin weit entfernt. Hier geht es um eine junge Frau, die alles versucht, ihren Peiniger zu finden. Und dabei an die Grenzen der Rechtsstaatlichkeit geht.

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