Online-Gipfel:Von Riesen und "Raubrittern"

Die Sehnsucht der Ministerin Aigner nach Facebook: Beim gut besetzten "Online-Gipfel" in München diskutieren Politik, Presse, IT-Wirtschaft und Wissenschaft über die Regulierung des Internets.

Johannes Kuhn

Ilse Aigner hat Sehnsucht: "Schade, dass ich aus Facebook rausgehen musste", gibt die CSU-Bundesverbraucherschutzministerin gleich zu Beginn zu Protokoll, "das, was ich für privat gehalten habe, war plötzlich öffentlich."

Onlinegipfel Medientage München

Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger (links), Vertragsvertreter Schrotthofer, Bredow-Mann Schulz: Ende der Wählscheiben-Zeit.

(Foto: Medientage München oH)

Ihre Kabinettskollegin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) ist da pragmatischer: "Ich weiß gar nicht, welche Freunde ich da habe. Meine tatsächlichen Freunde aus dem echten Leben habe ich woanders", sagt sie. Facebook ist für die Justizministerin offenbar Referentenarbeit.

Wenn zwei Regierungsmitglieder über ihr Verhältnis zu einem Internet-Portal sprechen, noch dazu auf einer Veranstaltung mit Namen "Medientage", dann hat sich etwas gedreht: Längst hat sich das Internet zu einer Infrastruktur entwickelt, die aus unserem Leben ebenso wenig wegzudenken ist wie das Straßennetz oder Wasser aus der Leitung.

Darüber, nach welchen Regeln der digitale Straßenverkehr funktionieren soll, sollte der "Online-Gipfel" in München Aufschluss bringen. Und weil bei einem Gipfel offenbar wirklich alle zu Wort kommen sollen, versammelten sich sieben Diskutanten neben Moderator Hans-Jürgen Jakobs (sueddeutsche.de).

Neben den beiden Ministerinnen sollten Google-Europachef Philipp Schindler, Telekom-Manager Wolfgang Kopf, Microsoft-Managerin Dorothee Ritz, der thüringische Zeitungschef Klaus Schrotthofer sowie Wissenschaftler Wolfgang Schulz vom Hans-Bredow-Institut erklären, wie denn künftig nun die Leitplanken des Internets auszusehen hätten. Der achte Stuhl, eigentlich dem Piratenpartei-Vorsitzendem Jens Seipenbusch zugedacht, blieb leer.

sueddeutsche.de erklärt auf den kommenden Seiten, was dabei herausgekommen ist.

Datenschutz: Transparenz bleibt ein Wunsch

Datenschutz

Noch bis zum morgigen Freitag läuft die Widerspruchsfrist gegen die Abbildung der eigenen Hausfassade bei Google Street View - Berichten zufolge haben sich hunderttausende Deutsche gemeldet. Eine solches Widerspruchsrecht soll künftig die Regel werden: Bis zum 7. Dezember hat die Industrie Zeit, eine Selbstverpflichtung vorzulegen, die den Umgang mit Geodaten genau regelt und Nutzerrechte festschreibt.

Als "perfekt und richtig" lobte Google-Mann Schindler nicht ohne Schmeichelei die Herangehensweise der Regierung und versprach, die Selbstverpflichtung pünktlich abliefern zu wollen. Dennoch will die Regierung auch ein Gesetz vorlegen, das weniger eine "Lex Spezialis" für Google (Leutheusser-Schnarrenberger), als vielmehr eine Anpassung des Datenschutzes an das digitale Zeitalter sein soll.

"Das derzeitige Gesetz stammt aus einer Zeit, da Telefone noch Wählscheiben hatten", erinnerte Aigner und gab auch einen ersten kleinen Einblick in die Pläne: Offenbar soll künftig Gesichtserkennungssoftware, mit deren Hilfe beispielsweise Menschen per Handykamera auf der Straße identifizierbar wären, in Deutschland verboten werden.

Andere Forderungen der Verbraucherschutzministerin dürften schwerer umzusetzen sein. "Wenn ich mich mit einem Klick im Netz für etwas anmelden kann, muss das Verlassen auch mit einem Klick funktionieren", schlug sie vor und erhielt dabei Unterstützung von Telekom-Mann Kopf, der einheitliche Standards für kundenfreundliche Bedingungen bei der Datenkontrolle forderte.

Ob die US-Giganten hier auf Transparenz setzen, bleibt allerdings fraglich - ihr Geschäftsmodell beruht auf den Daten, die Nutzer ihnen überlassen. "Die Großen machen sich hier oft kleiner, als sie sind", merkte Internetrechtler Schulz kritisch an, "wenn sie den Nutzern mehr Datenautonomie geben, dann ziehen auch die Kleinen nach."

Ungelöst bleibt das Problem, wie ein Nutzer über seine prinzipiell unendlich oft kopierbaren Daten Kontrolle behalten soll: "Nationales und auch europäisches Recht stößt an seine Grenzen, wenn der Server ganz woanders steht", sagte Leutheusser-Schnarrenberger. Komplette Löschungen von Daten seien schwierig durchzusetzen, wenn Internetprovider in Afrika oder den USA säßen. Die Idee eines Verfallsdatums für Daten, wie sie Aigner wiederum ins Spiel brachte, steckt technisch noch in den Kinderschuhen und dürfte aufgrund der dezentralen Idee des Internets schwer zur Norm zu machen sein.

Netzneutralität: Streit um die Überholspur

Netzneutralität

In den USA preschten Google und Verizon mit umstrittenen Vorschlägen zur künftigen Regulierung des Internetverkehrs vor. Gegen die heftige Kritik, eine Art Datenüberholspur zu planen und damit das Prinzip der Netzneutralität zu verletzten, wehrte sich Google-Mann Schindler auch beim Online-Gipfel. "Wir werden für Vorrang im Netz kein Geld bezahlen", erklärte er.

Allerdings muss Google nicht unbedingt zahlen. So wäre es beispielsweise möglich, bei neuen datenschweren Diensten künftig die Erlöse mit den Providern zu teilen. Dies könnte sich auch Telekom-Mann Kopf vorstellen, zum Beispiel im Mobilbereich: "Die Datenmengen werden irgendwann zu einem Kostenproblem". Drei Prozent der T-Mobile-Kunden sorgten mit ihren Smartphones bereits heute für 50 Prozent des Datenverkehrs - "auch mit YouTube-Videos", so der kleine Seitenhieb auf Google.

Um ruckelfreie Fernsehübertragungen auf das Handy zu garantieren, könnten Kunden für die Qualität des Dienstes extra zahlen - aber auch der Dienstanbieter selbst, von dessen Servern aus die Datenmengen das UMTS-Netz überfluten, könnte einen Teil seiner so generierten Einnahmen abgeben. Für den Bereich Mobilfunk hatten Google und Verizon in ihrem US-Vorstoß eine Vorfahrtsregelung für Daten ausdrücklich nicht ausgeschlossen.

Die Idee eines Zwei-Klassen-Internets rief die Regierungsbank auf den Plan: FDP-Frau Leutheusser-Schnarrenberger erklärte, die Entstehung möglicher Zugangsmonopole künftig ganz genau zu beobachten. "Das Internet wurde von Nutzern geschaffen, wenn es jetzt eine teuer bezahlte Autobahn wird, habe ich etwas ganz anderes, als es einmal war."

Zumal, wie Bredow-Vertreter Schulz anmerkte, eine blitzschnelle Vorfahrtsstraße dazu führen könnte, dass die Schnelligkeit auf der normalen Autobahn leidet.

Leistungsschutzrecht: Kein Dukatenregen

Leistungsschutzrecht

Leistungsschutzrecht: Kein Dukatenregen

Beim Thema Leistungsschutzrecht sind die Fronten klar verteilt - Google und die Verleger werden hier keine Freunde mehr. "Wir wollen eine Lücke im Urheberrecht schließen", stellte Verlagsvertreter Schrotthofer, dessen Unternehmen zum WAZ-Konzern gehört, die Motive der Verlage dar. Er wandte sich dagegen, dass Dritte mit den Online-Texten der Pressehäuser Geld machen - und sprach von "Raubrittern".

Künftig, so die Idee, sollen Unternehmen, die über das Netz auf journalistische Inhalte zugreifen, diese auswerten (zum Beispiel für Presseclippings) oder mit ihnen Reichweite erzielen (Google), einen Obulus an die Verlage zahlen.

Das wiederum sorgt für eine seltene Allianz: Neben zahlreichen Unternehmensverbänden wehrt sich auch Google gegen ein Leistungsschutzrecht. Europa-Chef Schindler: "Das ist, als würden Sie bei BMW Gratiszeitungen vor die Tür legen, die nehmen die Mitarbeiter dann mit und sobald diese die Zeitung aufschlagen, kommt jemand und sagt 'Bezahl jetzt'".

Immerhin, so sein Argument, böten die Verlage ihre Online-Inhalte frei zugänglich im Netz an und verdienten sogar, wenn Google mit den Suchergebnissen neue Besucher auf die Seite bringt. Zudem habe das Unternehmen den Verlagen im vergangenen Jahr sechs Milliarden Dollar ausgezahlt, weil diese auf ihren Portalen Google-Anzeigen ausgespielt hätten. "Zeigen Sie mir einen Verlag, dem es besser gehen würde, wenn Google morgen nicht mehr existieren würde."

Leistungsschutzrecht: Kein Dukatenregen

Obwohl das Leistungsschutzrecht im Koalitionsvertrag steht, gab sich auch Leutheusser-Schnarrenberger reserviert. "Es wird keine Sonder-Gema für Verlage geben, die Dukaten regnen lässt." Es solle vielmehr darum gehen, dass es auch im Netz gewährleistet sei, die Produkte zu verwerten, an denen man ein Eigentumsrecht besitze.

Wie diese Verwertung aussieht, ist offenbar völlig unklar. Schrotthofer sprach in diesem Zusammenhang von einer "freiwilligen Abgabe" für Unternehmen, die diese dann mit den Verlagen auf Grundlage des Gesetzes aushandeln könnte. Wie der Gegensatz zwischen der "Freiwilligkeit" und der grundsätzlichen Rechtsverbindlichkeit eines Gesetzes aufgelöst werden soll, erklärte er nicht.

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