Filterblasen bei Facebook:Kündigt den AfD-Fans nicht die Freundschaft!

AfD Facebook

Die AfD hat 250 000 Facebook-Likes - deutlich mehr als SPD und CDU zusammen.

(Foto: Screenshot Facebook.com)

Facebook-Nutzer können überprüfen, welche ihrer Freunde die AfD gelikt haben - um sie dann auszusortieren. Das ist gefährlich.

Kommentar von Simon Hurtz

Das amtliche Endergebnis ist keine zwölf Stunden alt, und schon geht es wieder los. "In meinem Freundeskreis dulde ich keine Rassisten und Rechtsradikale", schreibt eine Freundin am Montagvormittag bei Facebook. "Ich gebe euch bis heute Abend Zeit. Wer dann noch die AfD gelikt hat, wird entfreundet. Kein Fußbreit den Faschisten!"

Drei weitere Facebook-Freunde drohen ebenfalls damit, ihre Freundesliste aufzuräumen. Sie verbreiten Links, mit denen man seinen eigenen Freundeskreis auf politische Korrektheit überprüfen kann. Bereits Ende 2014 gab es diese Aufrufe, damals waren Pegida-Sympathisanten das Ziel. Ein Blogeintrag von Testspiel.de mit entsprechenden Anleitungen hat bis heute rund 38 000 Likes, Shares und Kommentare bei Facebook gesammelt.

Die AfD verpackt völkische, rassistische und anti-soziale Forderungen in ein bürgerliches Gewand. Für manche ist sie deshalb gefährlicher, als die NPD es in ihren Hochzeiten war. Das neue Parteiprogramm bietet auf 72 Seiten viele gute Gründe, mit Anhängern dieser Partei möglichst wenig zu tun haben zu wollen. So nachvollziehbar der Reflex zum Entfreunden für Verfechter einer humanen Flüchtlingspolitik sein mag, es ist und bleibt ein Reflex - nicht nur zu kurz gedacht, sondern die wohl dümmste aller möglichen Reaktionen.

Dafür gibt es drei Gründe. Die ersten beiden sind in wenigen Sätzen beschrieben:

Nicht jeder Like ist ein Like

Der Begriff ist irreführend. Wer auf einer Facebook-Seite "gefällt mir" klickt, sympathisiert nicht automatisch mit deren Inhalten. Manchmal ist sogar das Gegenteil der Fall: Linke wollen die Beiträge der Seite ihrer politischen Gegner im Auge behalten, Feindbeobachtung quasi. Häufiger sind Likes aus Interesse oder zu Recherchezwecken: Viele Journalisten folgen sämtlichen politischen Parteien, ohne sich mit ihnen zu identifizieren.

Facebook macht Fehler

Das Mittel der Wahl, um andersdenkende Freunde zu finden, ist die Facebook Graph Search - leider mit dem Risiko von Fehlalarmen. Der Blogger Caschy hat bereits vor zwei Jahren entdeckt, dass einer seine Freunde als AfD-Sympathisant in den Ergebnissen auftauchte, ohne die Seite jemals gelikt zu haben. Im vergangenen November waren 24 000 Facebook-Nutzer plötzlich Fans einer Facebook-Seite, die wirkte, als sei sie vom sogenannten IS - Facebook löschte die Seite kurz darauf und sprach von einem technischen Fehler.

Was nicht passt, wird passend gemacht

Der dritte Grund ist komplexer und ungleich wichtiger. Stichwort: Filterblase. Der Autor Eli Pariser beschrieb damit 2011 das Phänomen, dass Internetnutzer hauptsächlich Meinungen zu Gesicht bekommen, die ihrer eigenen entsprechen. Er machte dafür vor allem die Algorithmen von Google und Facebook verantwortlich, die Nutzern bevorzugt jene Informationen vorsetzen, die in deren Weltbild passen.

Diese technische Filterblase reicht vielen offenbar nicht. Sie sortieren missliebige Meinungen auch noch manuell aus und machen es sich in ihrer links-alternativen oder bürgerlichen Welt bequem. Was nicht passt, wird passend gemacht - sprich: entfreundet.

In Sachsen-Anhalt ist die AfD bei den Unter-60-Jährigen mit Abstand stärkste Kraft. Alles Nazis? Die AfD spielt mit Ängsten und bietet einfache Lösungen für komplexe Probleme an. Es ist traurig, dass das bei so vielen verfängt. Doch wer ausgrenzt und schimpft, erreicht gar nichts. Kein Dialog ist auch keine Lösung.

Im Internet überwiegen Spott und Häme

Viele derjenigen, die zum massenhaften Ausmisten aufrufen, haben außerhalb von Facebook keinerlei Kontakt zu potentiellen AfD-Anhängern. An der Uni oder am Arbeitsplatz umgeben sie sich mit Menschen, die ähnlich denken wie sie selbst. Das ist verständlich: Freundschaften basieren auf gemeinsamen Werten, und bei Grünen und AfD-Wählern dürfte die Schnittmenge gering sein.

Im Internet gibt es dennoch die Möglichkeit, mit Andersdenkenden zu reden, zu diskutieren, zu streiten. Stattdessen wird übereinander gelästert und gespottet, in sozialen Netzwerken machen sich Altparteienwähler über AfD-Wähler lustig und bestätigen sich selbst in ihrer vermeintlichen kognitiven Überlegenheit.

Gerade von rechter Seite fällt häufig der Begriff "Gesinnungsterror". Die "Gutmenschen" würden mit Hilfe der "Systempresse" alle abweichenden Stimmen mundtot machen. Es wäre fahrlässig, den "Linksfaschismus"-Rufern auch nur den geringsten Anhaltspunkt zu liefern, dass ihre Behauptungen eine wahre Grundlage haben könnten. Wer zum Entfreunden aufruft, tut genau das.

Facebook aus den Augen eines AfD-Anhängers

Der Zeit-Reporter Malte Henk machte kürzlich einen Selbstversuch. Er legte sich ein Fake-Profil bei Facebook zu und versuchte, die Welt aus dem Blickwinkel eines AfD-Wählers zu sehen. Facebook von rechts habe auf ihn gewirkt wie eine "tägliche Strahlentherapie", alles sei voller Meldungen über gewaltsame Übergriffe durch Flüchtlinge gewesen. Obwohl er wusste, dass er Opfer selektiver Wahrnehmung war, fragte er sich "ob diese Fremden vielleicht doch gefährlich sind". Und was mit ihm passieren würde, wenn dieser Teil von Facebook samt seiner Filterbubble seine einzige Nachrichtenquelle wäre.

Das zeigt, wie gefährlich Filterblasen sein können. Natürlich muss niemand mit Menschen diskutieren, denen er nichts zu sagen hat. Wenn sich ein entfernter Bekannter als AfD-Sympathisant herausstellt, ist es vermutlich wenig zielführend, den seit Jahren eingeschlafenen Kontakt mit einer konfrontativen Frage wiederzubeleben.

Mit Menschen, die einem näher stehen, sollte man reden. Oder es zumindest versuchen. Wie ein solches Gesprächsangebot aussehen könnte, hat Friedemann Karig hier beschrieben.

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