Qualität medizinischer Promotionen:Kommt ein Doktor zum Arzt ...

Arzt

Der Doktortitel gehört in Deutschland zum Arzt wie das Stethoskop.

(Foto: Sebastian Kahnert/dpa)
  • Zahlreiche medizinische Dissertationen genügen nicht den Qualitätsstandards, die in anderen Fächern gelten.
  • Seit Jahren kritisieren Gremien wie der Wissenschaftsrat die Promotionspraxis an Medizin-Fakultäten.
  • Ein Großteil der Arbeiten entsteht parallel zum Studium oder zur klinischen Ausbildung, wissenschaftliches Arbeiten wird im Fachbereich Medizin kaum systematisch gelehrt.

Von Sarah Schmidt

Seit Jahren scharfe Kritik an medizinischen Promotionen

Die Plagiatsvorwürfe gegen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen sind nicht nur deshalb so brisant, weil womöglich bald ein weiteres Mitglied der Bundesregierung über Fehlverhalten in der vorpolitischen Vergangenheit stolpert. Die Mängelliste, die das Plagiatejäger-Portal Vroniplag für die Dissertation der amtierenden Verteidigungsministerin erstellt hat, rückt ein Problemfeld des Wissenschaftsbetriebs in den Fokus: den Dr. med.

Seit Jahren gibt es immer wieder heftige Kritik am medizinischen "Schmalspur-Titel". Der Wissenschaftsrat, das höchste wissenschaftliche Beratungsgremium für die Bundesregierung, konstatierte bereits 2004: "Schon seit Langem wird - auch von Medizinern - die medizinische Promotion hinsichtlich akademischer und wissenschaftlicher Wertigkeit stark angezweifelt." In dem Grundsatzpapier (hier als PDF) ist von "pro-forma"-Forschung und schlechter Betreuung die Rede, die Arbeiten entsprächen nicht den in anderen Fächern üblichen Standards.

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) legte 2011 einen Bericht vor, der vor einer "Deprofessionalisierung" der Ärzteausbildung warnt (hier das Dokument als Pdf). Ein großer Teil der medizinischen Dissertationen sei wissenschaftlich wenig ergiebig.

Und auch im internationalen Vergleich hat der deutsche Mediziner-Doktor keinen guten Ruf. Der Europäische Wissenschaftsrat hat vor einigen Jahren beschlossen, den "Dr. med." nicht mit dem internationalen Ph.D. (Philosophiae Doctor) gleichzustellen. Damit sind die medizinischen Fakultäten in Deutschland de facto amtlich durchgefallen.

"Dr." gilt als Qualitätssiegel

Paradoxerweise ist jedoch gerade die hohe Bedeutung, die dem medizinischen Doktorgrad hierzulande beigemessen wird, größtenteils für dessen Qualitätsprobleme verantwortlich. Hängt mit dem "Dr. med." doch weit mehr zusammen als nur die fünf zusätzliche Buchstaben auf dem Klingelschild: Schon die Bezeichnung Arzt und Doktor werden im Deutschen synonym verwendet.

Wenn es um spätere Aufstiegs- und Karrieremöglichkeiten geht, ist der wissenschaftliche Titel noch immer Voraussetzung. Doch auch für den Hausarzt auf dem Land gilt das "Dr." weiterhin als Qualitätssiegel. "Es gibt tatsächlich immer noch diese Erwartungshaltung des Patienten", sagt Florian Horn, der 2004 zum Thema HIV promoviert hat und medizinische Fachbücher verfasst. "Und wenn die Leute einen eh das Leben lang als Herr Doktor ansprechen, will man dann immer antworten, man sei gar keiner, sondern 'nur' Arzt?"

Auch für Medizinstudentin Nina Müller (Name geändert) ist klar, dass sie promovieren möchte: "Letztlich wird der Doktortitel immer noch erwartet. Somit steigt dann die Sicherheit, nach dem langen Studium einen Job zu finden." So denkt weiterhin der Großteil der angehenden Ärzte. Von den insgesamt 16 361 Humanmedizinern, die im Jahr 2014 ihr Studium abgeschlossen haben, erhielten immerhin 6322 einen Doktortitel, wie das Statistische Bundesamt mitteilt. In Bereich Naturwissenschaften und Mathematik ist der Anteil im Vergleich deutlich geringer: Dort haben lediglich 9 521 von insgesamt 78 179 Absolventen mit einer Dissertation die Hochschule verlassen.

Sehr große Spannbreite bei den Arbeiten

Ein wesentlicher Unterschied im Vergleich zu anderen Fächern ist, dass die medizinischen Dissertationen in einem Großteil der Fälle begleitend zum Studium oder der Facharztausbildung erstellt werden. Während Ingenieure oder Naturwissenschaftler oft über Jahre und in Vollzeit ihre Arbeiten verfassen, geschieht dies bei Medizinern häufig innerhalb weniger Monate nebenbei.

"Allerdings ist das Studium selbst mit mindestens sechs Jahren bereits sehr lang, hinzu kommt oft noch einmal so viel Zeit für die Facharztausbildung", sagt Matthias Frosch, Medizinprofessor in Würzburg und Präsidiumsmitglied des Medizinischen Fakultätentags. "Da zu verlangen, dass eine Promotion erst nach dieser Zeit erfolgen soll, ist utopisch - da sind die Leute 40."

Letztlich ist die qualitative Spannbreite der medizinischen Arbeiten sehr groß. Zum einen gebe es auch im Bereich Medizin Doktoranden, die auf höchstem Niveau forschen und promovieren, sagt Fachbuchautor Horn. Es sei aber auch möglich, mit einer Arbeit den "Dr. med." zu erlangen, "die in anderen Fächern gerade mal als größere Hausarbeit" durchgehen würde. "Unter Medizinern ist das allgemein bekannt", so Horn. Auch Medizinprofessor Frosch räumt ein, "dass es sicher einen Anteil an Arbeiten gibt, die bei Anwendung höherer Qualitätskriterien wackelig sind".

Es verwundert daher nicht, dass die Plagiatsjäger von Vroniplag bei einer ganzen Reihe medizinischer Arbeiten fündig werden. Von 151 Arbeiten, in denen die Wissenschaftler Mängel entdeckten, haben 84, also mehr als 50 Prozent, Human- oder Zahnmediziner eingereicht.

Kaum eine wissenschaftliche Ausbildung

Eine weitere Besonderheit des Medizinstudiums schlägt sich auf die Qualität der Dissertationen nieder: Wissenschaftliches Arbeiten, also das Verfassen stringenter Texte und das korrekte Zitieren von Quellen, spielen in der Ausbildung praktisch keine Rolle. "Im seltensten Fall erhalten die Medizinerinnen und Mediziner während, vor oder begleitend zu ihrer Dissertation eine systematische wissenschaftliche Ausbildung", so die Einschätzung der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

Studentin Nina Müller, immerhin bereits im 9. Semester, bestätigt: "Ich musste in meinem ganzen Studium bislang keinen längeren Text schreiben. Die einzige Klausur, in der ich nicht nur etwas ankreuzen musste, war Ethik." Bei der ersten (und häufig letzten) wissenschaftlichen Arbeit, die angehende Ärzte verfassen, handelt es sich damit gleich um die Promotion.

Gerade deshalb sei die Dissertation eigentlich so wichtig, sagt Horn. "Erst in dieser Phase werden Standards des wissenschaftlichen Arbeitens vermittelt, bekommt man auch ein Gespür für die Schwierigkeiten - wenn denn eine gute Betreuung stattfindet."

"Ich kann nur jedem Medizinstudenten raten, eine anständige Doktorarbeit zu machen"

Seitens der Universitäten gibt es vereinzelt Bemühungen, den Qualitätsstandard zu heben. Matthias Frosch vom Fakultätentag verweist vor allem auf den Ausbau von Graduiertenkollegs, in denen Doktoranden intensiv betreut werden und sich in Vollzeit ihrer Promotion widmen. Von Vorschlägen, ähnlich wie in Österreich, automatisch mit dem Abschluss des Medizinstudiums ein Berufsdoktorat zu vergeben, hält er nichts.

Und auch Florian Horn spricht sich für das Verfassen einer Dissertation aus: "Ich kann nur jedem Medizinstudenten raten, eine anständige Doktorarbeit zu machen - dann wird man auch gut betreut, die Arbeit geht schnell. Und es kommt womöglich auch noch etwas Relevantes heraus, das die medizinische Forschung weiterbringt."

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