Ganztagsbetreuung:Vollzeit in die Schule

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Soll jedes Kind Hortbetreuung, Hausaufgabenhilfe oder gar einen Platz in einer Ganztagsschule bekommen? Zur Ganztagsbetreuung gibt es viele Konzepte.

(Foto: imago/JOKER)

Union, FDP und Grüne einigen sich auf einen Rechtsanspruch für die Ganztagsbetreuung von Grundschulkindern. Ob diese auch pädagogisch sinnvoll sein wird, bleibt offen.

Von Constanze von Bullion und Paul Munzinger, Berlin

Familien finanziell stärker fördern, Grundschüler bei Bedarf ganztags betreuen, Mütter unterstützen und benachteiligten Kindern mehr Aufstiegschancen ermöglichen: Zu diesen Zielen haben sich die Parteien bei den Jamaika-Sondierungen bekannt. Doch mit welchen Instrumenten Deutschland diese Ziele erreichen kann, ist zwischen CDU, CSU, FDP und Grünen umstritten. Immerhin, kurz vor Ende der Sondierungen in Berlin haben die Parteien sich beim Thema Familie in einigen Punkten verständigen können.

Konsens, so war am Dienstag in Berlin zu hören, gebe es darüber, das Kindergeld und den Kinderzuschlag zu erhöhen, der Familien davor bewahren soll, in Hartz-IV abzurutschen. Das Kindergeld soll um bis zu 25 Euro angehoben werden, hieß es am Dienstagabend aus Verhandlungskreisen. Zudem sollen der steuerliche Kinderfreibetrag sowie der Kinderzuschlag nach oben angepasst werden. Nur etwa ein Drittel der Eltern, die Anspruch auf Kinderzuschlag hätten, beantragt ihn auch - weil kaum jemand durchblickt, wie die Leistung funktioniert. Sie soll nun reformiert und die Zahlung vereinfacht werden.

Der Kampf gegen Kinderarmut und Bildungsdefizite aber dürfte damit allein noch nicht zu gewinnen sein. Die Jamaika-Parteien wollen deshalb ein Zehntel des Bruttosozialprodukts für Bildung ausgeben. Außerdem sollen Arbeitnehmer das Recht bekommen, von einem Teilzeit- in einen Vollzeitjob zurückzukehren. Das zielt insbesondere auf Mütter ab, die in Deutschland überdurchschnittlich lang in Teilzeitjobs bleiben. Das Armutsrisiko für Kinder steigt damit.

Rückkehrrecht auf Vollzeitstelle könnte nur wenigen nützen

Union und FDP stimmen dem Rückkehrecht in Vollzeit zu, aber erst ab einer Betriebsgröße von 200 Mitarbeitern. Die Grünen fordern es für Firmen ab 15 Mitarbeitern. "Ein Großteil der Frauen arbeitet in Betrieben mit weniger als 200 Mitarbeitern. Eine so hohe Betriebsgröße festzuschreiben, würde also für die meisten Frauen gar nichts bringen", sagte die Familienexpertin der Grünen, Katja Dörner. Eine Einigung war am Dienstag nicht in Sicht.

Zu Ärger führt bei den Jamaika-Sondierungen auch der Wunsch, das Kooperationsverbot abzuschaffen. Es verbietet dem Bund, die Schulpolitik der Länder zu finanzieren. Grüne und FDP fordern eine Abschaffung der Regelung, um Schulen bundesweit besser ausstatten zu können. Die Union aber hält dagegen; neben Bayern leistet auch das grün-schwarz regierte Baden-Württemberg Widerstand. Ein Kompromiss gilt als schwierig. Verständigt haben sich die Jamaika-Unterhändler aber darauf, Grundschülern einen Anspruch auf Ganztagsbetreuung zu gewähren. Die Finanzierung soll am Donnerstag geklärt werden.

Ganztagsschulen - Konzept für Eltern oder für Kinder?

Völlig unklar ist allerdings, welche Form von Ganztagsbetreuung ein entsprechender Rechtsanspruch umfassen soll. Einen Platz im Hort, in einer Mittags- oder Hausaufgabenbetreuung - oder aber einen Platz in einer Ganztagsschule? Hinter jeder dieser Möglichkeiten steckt ein unterschiedliches Konzept, mit völlig unterschiedlichem Kostenaufwand und Personalbedarf. "Dass es in der Betreuung eine Lücke zwischen Angebot und Nachfrage gibt, ist offensichtlich", sagt Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbands. "Doch die Einigung lässt alle wichtigen Fragen offen."

Ob Eltern Beruf und Familie vereinbaren können, hängt in vielen Fällen von der Frage ab, ob sich für die Kinder eine Betreuung am Nachmittag findet - gerade in der Grundschulzeit. Häufig gelingt das nicht, das ergab kürzlich eine Studie des Deutschen Jugendinstituts. Der Bedarf an Betreuungsangeboten für Grundschüler ist demnach bei weitem nicht gedeckt: Zwei Drittel der Eltern wünschten sich für ihre Kinder einen Platz im Hort oder in einer Ganztagsschule, doch nur knapp 40 Prozent fänden tatsächlich einen.

Massive Unterschiede zeigten sich dabei im regionalen Vergleich: Während in Westdeutschland die Hälfte der Grundschulkinder keinen Betreuungsplatz habt, sind es in Ostdeutschland nur 15 Prozent - was vor allem daran liegt, dass die Zahl der Hortkinder im Osten deutlich größer ist.

Kritiker halten Qualität der Betreuung für unzureichend

Eine große Kluft zwischen Angebot und Nachfrage gibt es nach Erhebungen der Bertelsmann-Stiftung insbesondere bei den Plätzen an Ganztagsschulen. Zwar ist ihre Zahl in den vergangenen 15 Jahren massiv gestiegen - der Ausbau war eine der Lehren, die die Politik aus dem "Pisa-Schock" zu Beginn des Jahrtausends zog -, doch noch immer lässt sich bei weitem nicht jeder Wunsch erfüllen: In der Grundschule haben nur 35 Prozent der Kinder einen Platz an der Ganztagsschule.

Allerdings, kritisiert Dirk Zorn von der Bertelsmann-Stiftung, habe die Qualität an den Ganztagsschulen nicht mit ihrem zahlenmäßigen Anstieg mitgehalten. Zu häufig gehe es nicht darum, die gewonnene Zeit am Nachmittag pädagogisch sinnvoll zu nutzen, sondern darum, die Schüler zu "verwahren". Wenn eine künftige Regierung sich nun nur auf Nachmittags-Betreuung verständige, drohe sie diese Entwicklung zu verschärfen.

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