Schule:Je später der Schulbeginn, desto besser die Noten

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Nur noch fünf Minuten!? Für die meisten Schüler beginnt der Schultag zu früh. (Foto: dpa)

Ihrer inneren Uhr wegen können die meisten Kinder nicht schon um acht Uhr morgens konzentriert lernen. Die Schule muss endlich später anfangen.

Gastbeitrag von Till Roenneberg

Der Ruf nach einem späteren Anfang der Schule wird lauter und - ähnlich wie bei der Auseinandersetzung über die Sommerzeit - scheint der Graben zwischen Befürwortern und Gegnern tiefer zu werden. Ich komme gerade zurück von der WorldSleep-Konferenz in Prag, wo die Schulanfangszeiten in zahlreichen Vorträgen thematisiert wurden. Die Schlafforscher und ihre wissenschaftlichen Vettern, die Chronobiologen, die sich mit der inneren Uhr auskennen, mahnen seit Langem eine kritische Überprüfung des morgendlichen Schulbeginns an. Pauschale Aussagen sind in dieser Auseinandersetzung wenig hilfreich. Vielmehr muss man Anfangszeiten und Altersgruppe genau benennen und die wissenschaftlichen Hintergründe verstehen. Diese betreffen die innere Uhr, ein Forschungsgebiet, dem Anfang Oktober dieses Jahres der Nobelpreis verliehen wurde.

Alle Vorgänge in unserem Körper werden von einer biologischen Uhr orchestriert, Körpertemperatur, Herzschlag, Blutdruck, Hormone, wie schnell wir rechnen, wie viel wir lernen und erinnern und vor allem, wann wir am besten schlafen. Diese innere Uhr stellt sich ganz aktiv und allein mit Hilfe von Licht und Dunkelheit auf den 24-Stunden-Tag ein. Die Uhren der Gesellschaft interessieren dieses fundamentale biologische Programm dabei nicht. Es hat die Aufgabe, uns optimal an den äußeren Tagesrhythmus anzupassen. Und noch wichtiger: seine wechselnden Bedingungen, wie die besten Futter- und Ruhezeiten, die Gefahr von Feinden oder den Einbruch der kalten Nacht, exakt vorauszusagen - auch wenn diese Merkmale in unserer Gesellschaft nicht mehr so wichtig scheinen wie vor ein paar Hundert Jahren.

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Die innere Uhr hat keine Ahnung, dass wir mit den äußeren Uhren herumspielen, indem wir die Sommerzeit einführen oder die Einwohner von Nordwestspanien nach der Sonnenzeit von Prag leben lassen. Sie hat allerdings eine genaue Ahnung vom Licht, das uns umgibt, weil sie mit speziellen Lichtrezeptoren unsere Lichtumgebung genau misst und diese Information an bestimmte Zentren im Gehirn weitergibt. Sie hat über Millionen von Jahren "gelernt", dass es tagsüber bis zu 150 000 Lichteinheiten (Lux) gibt und nachts tiefe Dunkelheit bis auf Feuer, Mond und Sterne.

Nur gibt es für die meisten von uns diese Bedingungen nicht mehr. Tagsüber sehen wir vielleicht gerade mal 400 Einheiten, weil wir fast nie mehr draußen sind, und nachts verjagen wir die Dunkelheit mit elektrischem Licht. Mit diesen neuen Bedingungen kann die innere Uhr gerade so leben. Dafür muss sie sich aber gegenüber dem Tag-Nacht-Rhythmus verdrehen - bei den allermeisten Menschen wird sie später.

Ohne Wecker geht bei den meisten Menschen nichts

Da die sozialen Verpflichtungen im Laufe der Industrialisierung nicht später geworden sind, brauchen heutzutage mehr als 80 Prozent der Bevölkerung einen Wecker, um rechtzeitig aufzuwachen. Die innere Uhr bestimmt jedoch immer noch, wann wir einschlafen können - viel zu spät, um zur Weckerzeit ausgeschlafen zu sein. In manchen von uns hat es die innere Uhr sogar aufgegeben, sich mit dem 24-Stunden-Rhythmus zu synchronisieren, diese Menschen nennen Chronobiologen "non-24", sie müssen mit ihrem inneren Circa-25-Stundentag in einer 24-Stunden-Gesellschaft leben. Sie sind das Gegenstück zu Schichtarbeitern, deren innerem 24-Stundentag "non-24" Arbeitstage aufgezwungen werden.

Dass all diese drastischen Veränderungen am Licht liegen, hat mein Kollege Ken Wright an der Universität Colorado bewiesen. Er hat normale Industriemenschen mit ihren späten inneren Uhren eine Woche zum Campen in die Rocky Mountains mitgenommen und hat unter anderem ihr Melatonin gemessen. An diesem Hormon können wir die Innenzeit eines Menschen messen. Während das Hormon unter den Stadtbedingungen vor dem Campingtrip gegen Mitternacht das Einschlafsignal gab, verschob sich dieses unter den ursprünglichen Licht- und vor allem Dunkel-Bedingungen in den Bergen um viele Stunden nach vorne Richtung Sonnenuntergang.

Diese Lichtabhängigkeit führt dazu, dass die Menschen innerhalb einer Zeitzone in ihrem Schlaf-Wach-Rhythmus von Ost nach West pro Längengrad etwa vier Minuten später dran sind. Daher ist auch das soziale Leben in Ungarn früher als in Deutschland, im Osten der Bundesrepublik früher als im Westen (das hat nachweislich nichts mit der ehemaligen DDR zu tun), in Frankreich später als bei uns und in Spanien noch viel später. Unsere Blindheit gegenüber unseren eigenen Taten geht so weit, dass wir zum Beispiel meinen, die spanische Gesellschaft wäre aus rein kulturellen Gründen spät dran - vor 21.30 Uhr denkt dort doch keiner ans Abendessen; nur ist es dort im Sommer nach Sonnenzeit erst 19 Uhr!

Unsere Innenzeit hängt also vor allem von den Lichtbedingungen ab; sie ist nicht willentlich einstellbar oder mit Disziplin erlernbar. Mit mehr Licht tagsüber und mehr Dunkelheit nachts kann sie jedoch ohne weiteres rechtzeitig einschlafen und ohne Wecker aufwachen. Die Zeiten der inneren Uhr werden jedoch nicht nur durch Licht bestimmt, sondern auch vom Alter. Bei Kindern ist die Innenzeit gegenüber der Außenzeit früh dran, in der Pubertät wird sie dann rasant später, erreicht so im Alter von 20 Jahren ihren Gipfel im Nachgehen und wird ab dann wieder früher, bis wir im fortgeschrittnem Alter an seniler Bettflucht leiden. Diese Alterszusammenhänge konnten bisher in allen untersuchten Gesellschaften nachgewiesen werden, auch bei Menschen, die ohne Elektrizität leben.

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Wir untersuchen das Schlaf-Wach-Verhalten in einen Volksstamm in Brasilien, ich lebe manchmal für ein paar Tage mit diesen Quilombolas zusammen. Die einzigen Mitglieder der Gemeinschaft, die bis spät in die Nacht am Feuer sitzen und nach Sonnenaufgang von ihren Eltern geweckt werden müssen, sind die Teenager. Und dies ohne die Existenz von Handys, Fernsehern oder gar Discos! Gerade ältere Menschen sollten verstehen, dass man die inneren Uhren von Jugendlichen nicht einfach umprogrammieren kann. "Großvater, schlaf doch mal bis neun aus" ist genauso blödsinnig wie "Teenager, schlaf doch mal um neun ein". Die jeweiligen inneren Uhren lassen das nicht zu.

Wer diese Zusammenhänge versteht, muss nicht mehr über Schulanfangszeiten debattieren, sondern sollte lediglich Wege suchen, sie zu realisieren. Zu frühe Schulanfangszeiten schwächen die Lernmöglichkeiten von Jugendlichen drastisch. Sie sollen aktuell zu Zeiten, die ihrer inneren Mitternacht entsprechen, aufstehen und im Unterricht aufpassen und produzieren, zusätzlich wird ihnen genau jener Schlaf geraubt, der das Gelernte im Gedächtnis verankert.

Dies hat ernste Konsequenzen für besonders späte Jugendliche, da diese sogenannten "späten Chronotypen" nachweislich schlechtere Noten erzielen. So verwehren wir ihnen etwa den Medizinstudienplatz, obwohl sie nicht fauler oder dümmer sind als all die Einser-Abiturienten, denen wir dieses Recht zugestehen. Diese Situation ist völlig absurd und vergleichbar mit der Regel, Jugendliche, die unter einer wachstumsbedingten Rückgratverkrümmung leiden, nicht zum Jurastudium zuzulassen, weil sie die Prüfung am Reck nicht bestanden haben. Ich warte seit Langem auf die ersten Musterprozesse, die diese Diskriminierung rechtlich überprüfen.

Es gibt übrigens zahlreiche Studien, die die Wirkungen einer Verschiebung des Schulbeginns von acht auf neun Uhr untersuchten und sehr positive Ergebnisse berichten: Die Schüler waren nicht nur motivierter und hatten geringere Fehlzeiten, sie erzielten auch bessere Leistungen.

Professor Till Roenneberg ist Leiter der der Human Chronobiologie am Institut für Medizinische Psychologie der Münchner LMU.

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