Bräuche vor Ostern:Wer länger schläft, wird schnell zum Esel

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Aus den Zweigen der Salweide werden zum Palmsonntag die sogenannten Palmbuschen gebunden und dann im Gottesdienst geweiht - so wie hier auf dem Petersberg in Erdweg im Landkreis Dachau. (Foto: Toni Heigl)

Kinder, die Palmkätzchen schlucken müssen, Bauern, die die Statuen in der Kirche zerstören: Das Brauchtum am Palmsonntag hat auch dunkle Seiten.

Kolumne von Hans Kratzer

Die Huber Kathl aus dem oberen Rottal, Gott hab sie selig, war eine fleißige Friedhofsbesucherin. In der Karwoche pflegte sie Brennnesseln auf fremde Gräber zu pflanzen. Wenn sich eine Nachbarin beschwerte, konterte sie: "Ach du Rindviech, lass sie doch wachsen!" Die Frage, ob sich die Kathl mit ihrer Friedhofspolitik das Himmelreich verscherzte, blieb bis zu ihrem Tod ungeklärt. Auch dem im Orient wachsenden Palmbaum wohnt eine politische Symbolik inne, verheißt er doch Siege, Wiedergeburt und Unsterblichkeit. Als eine jubelnde Menge Jesus beim Einzug in Jerusalem mit Palmzweigen empfing, sah das aus wie die Huldigung eines siegreichen Königs. Es war eine Provokation der römischen Besatzungsmacht, die auch nördlich der Alpen Gefallen gefunden hat.

Weil dort aber nur in Spaßbädern Palmen wachsen, behalfen sich die Gläubigen mit der heimischen Salweide. Diese bringt die flauschigen Palmkätzchen (-katzl) hervor, die auch allerliebst Mauzerl genannt werden und ein zentrales Element des Brauchtums am Palmsonntag bilden. Wer drei geweihte Palmkatzl schluckt, der ist vor jeglichem Halsweh gefeit, das glaubten Eltern über Generationen hinweg. Deshalb mussten die Kinder diese pelzigen Mauzerl schlucken, obwohl die nur qualvoll den Hals hinunterrutschten. Der Palmsonntag hat also auch seine problematischen Seiten. Früher lag der Ehrgeiz der Bauern vor allem darin, den größten Palmbaum in die Kirche zu schleppen. Selbst die Schutzheiligen litten darunter, denn mit ihren buschigen Kronen fuchtelten die Burschen die größten Statuen von den Altären, wenn auch in der gerechtesten Notwehr.

Auch im Bett ist am Palmsonntag Wettkampfhärte gefragt. Jene Langschläfer, die der Bettzipfel erst ganz zuletzt loslässt, werden gerne als Palmesel verspottet. Die Theologen sagen, Jesus habe Jerusalem am Palmsonntag auf einer Eselin durchmessen. Lange Zeit gab es deshalb in Bayern Prozessionen, bei denen hölzerne Palmesel mit einer Jesus-Figur auf dem Rücken mitgeführt wurden. Dann arteten auch diese Prozessionen aus. Am Schluss, so heißt es, sei "außer Heiland und Esel" niemand mehr nüchtern gewesen. Verglichen damit waren die Brennnesseln der Huber Kathl durchaus ein friedlicher Karwochenbrauch.

Dieser Text ist am 8. April 2017 in der Süddeutschen Zeitung erschienen.

© SZ vom 08.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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