Nürnberg:AfD verzichtet auf Spitzenkandidaten

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Mehrere hundert Demonstranten gegen den Landesparteitag der AfD zogen durch die Nürnberger Innenstadt. (Foto: Daniel Karmann/dpa)

Nach dem Willen des Landtagsparteitags sollen die Listenführer der Regierungsbezirke die Rolle übernehmen. Parteichef Alexander Gauland bezeichnet seine "Vogelschiss"-Äußerung als "politisch unklug"

Von Johann Osel, Nürnberg

Ein weiß-blaues Brimborium, wie es die CSU kaum besser arrangieren könnte. Der bayerische Defiliermarsch erklingt bei der Eröffnung des Parteitags der AfD am Samstag, die Kandidaten für Landtag und Bezirkstage ziehen ein, schwenken bayerische und schwarz-rot-goldene Fahnen. Sie stoppen an der Bühne bei einem Banner mit Schloss Neuschwanstein und dem Slogan: "Unser Land, unsere Heimat." Landeschef Martin Sichert begrüßt: "Die Zeit ist reif, die Menschen haben es satt, von der CSU verarscht zu werden." Die Rechtspopulisten gehen mit dem Kurs in den Wahlkampf, mit dem sie im Freistaat schon zur Bundestagswahl mobilisieren konnten: Die AfD halte das, was die CSU verspreche, Franz Josef Strauß würde AfD wählen. Kurzum: Man sei die bessere CSU.

Dass der Parteitag am Wochenende in der Nürnberger Meistersingerhalle stattfindet, wertet die AfD als Triumph. 2017 hatte die Stadt Nürnberg einer Veranstaltung mit Alexander Gauland den Mietvertrag gekündigt. Der heutige AfD-Bundeschef hatte zuvor gefordert, die damalige SPD-Integrationsbeauftragte Aydan Özoguz "in Anatolien zu entsorgen", die Stadt wollte keine "Verletzung der Menschenwürde" in ihrem Haus dulden - verlor aber gegen die AfD vor Gericht. Jetzt erst recht! So heißt das Motto für den Mitgliederparteitag, bei dem das Wahlprogramm beschlossen und ein Spitzenkandidat gekürt werden soll. Wieder mit Gauland als Redner. Doch es kommt anders als erwartet.

Der Beschluss fällt blitzschnell: Die AfD wird ohne Spitzenkandidaten in die Landtagswahl gehen. Ein Mitglied beantragt, die Wahl zu streichen - die Mehrheit ist dafür. Man stehe für Inhalte, nicht für Köpfe, heißt es. Jetzt sollen die Listenführer der Bezirke die Aufgabe gemeinsam übernehmen. Zudem stärkt dies die Rolle und Präsenz des Landeschefs Sichert, der im Bundestag sitzt. Er stimmt ebenfalls dafür, keinen Kandidaten zu wählen. Was seltsam klingt, lässt sich erklären. In der AfD werden Führungsleute gern "gefressen", aus Wortmeldungen beim Parteitag hört man allenthalben Skepsis gegenüber dem Vorstand, dem ja auf die Finger zu schauen sei. Die Partei selbst lobt ihre "Basisdemokratie", man könnte auch von Querulantentum als Eigenschaft vieler Mitglieder reden. Politische Lager und persönliche Fehden kommen dazu.

Zugleich wird ohne Kandidatenkür ein Konfliktherd elegant gelöscht. Der oberbayerische Listenführer, der frühere CSU-Lokalpolitiker Franz Bergmüller, ist nicht offiziell Mitglied. Es gab Streit über seinen Status, die dubiose Causa füllt Aktenordner bei Schiedsgerichten der Partei. Seine Oberbayern-Basis, intern "Leberkäs-Connection" genannt, hievte ihn dennoch auf Platz eins. Bergmüller registriert sich beim Parteitag als Gast, sitzt oben auf dem Besucherrang. Ein Antrag, den Listenführer des wichtigsten Bezirks ins Plenum zu holen, fällt durch. Die Animositäten explodieren nun nicht in der K-Frage, das schafft Ruhe. Wenn die AfD in den Landtag kommt, dürfte es spätestens beim Fraktionsvorsitz knallen. Man hört aber auch Stimmen, die das für "unprofessionell" halten. Man sei in Umfragen zweitstärkste Kraft, da müsse man doch gegen den Ministerpräsidenten ein Gesicht stellen, meint ein Mitglied.

Das Wort "unprofessionell" taucht in Nürnberg häufiger auf. Der Landesschatzmeister ist wegen chaotischer Zustände zurückgetreten. Er präsentiert eine Liste, unbelegte Abbuchungen vom Konto des Landesvorstands. Er beklagt das "Dauerproblem Zechprellerei" bei Treffen der Landesprogrammkommission und Zuschüsse der Bundespartei, die man abzurufen vergaß, es gebe ein sogenanntes Paypal-Konto, auf das niemand Zugriff habe, Summe unbekannt. Sichert spricht von "Altlasten" des früheren Landesvorstands, von "kommunikativen Problemen". Laut Beschluss der Basis soll ein unabhängiger Revisor die Bücher der Bayern-AfD seit 2015 zu prüfen.

Unzufrieden zeigten sich die Mitglieder auch mit dem Programmentwurf - wegen vieler Rechtschreibfehler und, weil kaum Landespolitik vorkomme. Nachdem sich zunächst eine knappe Mehrheit für eine Mitgliederbefragung ausgesprochen hatte, die das Programm bis Mitte August final beschließen sollte, kommt es am Sonntagabend zur Kehrtwende: Der Parteitag verabschiedet das Programm doch noch. Inhalt: Flüchtlinge sollen an der Grenze abgewiesen, die doppelte Staatsbürgerschaft soll abgeschafft, Moscheebau reglementiert werden.

Man kämpft gegen eine "Islamisierung" und für die klassische Familie. Und da ist natürlich Gauland. Kürzlich hatte er das Dritte Reich "Vogelschiss in über 1000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte" genannt. Ein Thema, schon bevor Gauland anreist. Wenn noch "mehr dieser Art" komme, meint ein Landtagskandidat, sei "nicht mehr drin als zehn Prozent". Gauland rudert in seiner Rede zurück: Der "Vogelschiss"-Satz sei eine "Dummheit" gewesen, "missdeutbar und damit politisch unklug". Der Basis gibt er danach das, wonach sie dürstet: Schelte für die CSU. Diese sei "für alles mitverantwortlich, was diese Frau angerichtet hat", gemeint ist Angela Merkel, "die verhängnisvollste Figur der deutschen Nachkriegsgeschichte". Er lobt das Wahlergebnis in Bayern bei der Bundestagswahl - "gegen die CSU und das im einzigen Bundesland, wo es noch so etwas wie eine heile Welt gibt". Zudem stachelt er mit nationalistischen Tönen an. In Bayern gebe es einen Verein gegen betrügerisches Einschenken von Bier, aber keinen "gegen betrügerisches Einwinken von jedem, der das Wort Syrer und Asyl aussprechen kann". Er warnt vor dem "Bevölkerungsaustausch", das BAMF sei ein "Bundesamt für Bevölkerungsaustausch und Kriminalitätsimport". Dass die Deutschen gezielt von vaterlandslosen Altparteien gegen Flüchtlinge ausgetauscht würden, ist als These nur im völkischen Flügel der AfD und in der extremen Rechten üblich. Daran stören sich die rund 350 Mitglieder in Nürnberg aber nicht - starker Applaus.

Bei einer Kundgebung gegen den Parteitag zählt die Polizei 600 Teilnehmer. Am Samstag kommt es auf dem Parteitag zu einer Attacke mit Buttersäure: Eine 22-Jährige aus Fürth verschüttet diese, nahe der Pressetribüne, es riecht übel im Saal. Sie wird festgenommen.

© SZ vom 11.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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