Landgericht Bamberg:Chefarzt aus Oberfranken wegen Vergewaltigung vor Gericht

Lesezeit: 3 min

  • Ein Chefarzt aus Oberfranken muss sich vor dem Landgericht Bamberg wegen Vergewaltigung verantworten.
  • Mehrere Frauen sagen aus, dass der 46-Jährige sie zu sexuellen Handlungen gedrängt habe.
  • Im Prozess wird das neue Sexualstrafrecht angewandt, welches im November 2016 in Kraft getreten ist.

Von Olaf Przybilla

Der Fall eines Chefarztes aus Oberfranken, der sich derzeit am Landgericht Bamberg wegen Vergewaltigung verantworten muss, ist außergewöhnlich. Und das schon deshalb, weil es die Anklageschrift in dieser Form wohl nicht gäbe, hätte sich der Vorfall vom 20. Dezember 2016 sechs Wochen zuvor zugetragen. Das neue Gesetz zur Verbesserung des Schutzes sexueller Selbstbestimmung ist kurz davor, im November 2016, in Kraft getreten. Damit ein Übergriff als Vergewaltigung angeklagt werden kann, bedarf es seither nicht mehr eines erkennbaren Gewaltaktes. Es reicht eine sexuelle Handlung, die gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person gerichtet ist. Es gilt: Nein ist nein. "Wir betreten alle Neuland", hat der Vorsitzende Richter gleich am ersten Verhandlungstag festgestellt.

Das Betreten juristischen Neulands ist freilich nicht das einzige, was diesen Prozess besonders macht. Auch die Genese des Falles war ungewöhnlich. Wenn ein Prominenter ehrenrühriger Dinge bezichtigt wird, so tun Verteidigung und Angehörige üblicherweise alles, damit Details nicht öffentlich breitgetreten werden.

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In dem Fall taten der Bruder und die Anwälte des 46-Jährigen exakt das Gegenteil. Um gegen Gerüchte, die Darstellung der Staatsanwaltschaft und eine ihrer Ansicht nach nicht gerechtfertigte Untersuchungshaft vorzugehen, breiteten sie für Medien auf sieben Seiten intimste Details aus dem Privatleben des Mediziners aus. Was über ihn zu hören und zu lesen sei, halte man für "so unerträglich", dass man sich gezwungen sehe, auf diese Art zu reagieren.

Das Schreiben schildert den Arzt als einen, der das Thema Palliativmedizin, die Begleitung Schwerstkranker also, "aus dem Schattendasein in das Rampenlicht" getragen habe, ein Mann von internationaler Reputation. Als er ein Buch zum Thema Sterben vorlegte, hätten sogar ein Erzbischof und der damalige Bundesminister für Gesundheit diesem Buch "durch ihre Widmungen eine besondere Wertigkeit" verliehen. Das Leben des 46-Jährigen - "immer ein wunderbarer Vater von drei Kindern und Ehemann" - sei stets geprägt gewesen von Einsatz und harter Disziplin.

"Um mit ständigen Extremsituationen auf emotionaler Ebene umgehen zu können", heißt es in dem Schreiben, "findet jeder seine eigenen Methoden und Wege." Und dann: "Für uns als Familie ist es nicht nachvollziehbar, dass es offenbar zu mehreren zeitgleich stattfindenden Verhältnissen zu Mitarbeiterinnen kam. Einige davon zogen sich sogar über einen langen Zeitraum von mindestens 2 Jahren hin."

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Nach vier Verhandlungstagen lässt sich sagen, dass dies offenbar den Tatsachen entspricht. Und auch das macht den Fall besonders, denn jene Klinik-Mitarbeiterinnen, die lange nichts von einander wussten, müssen als Zeuginnen aussagen. Zwar ist die Öffentlichkeit ausgeschlossen, wenn es um intime Details aus dem Arbeitsalltag der Palliativstation geht. Für die Frauen, allesamt noch immer in der Klinik beschäftigt, muss der Gang ins Gericht trotzdem einer Tortur gleichkommen.

Am zweiten Verhandlungstag hat die Hauptbelastungszeugin den Tatvorwurf der Anklage im Kern bestätigt. Demnach habe sich ihr der Chefarzt seit dem Frühjahr 2014 "mit sexuellen Absichten" genähert. Sie sei darauf zunächst nicht eingegangen, nach mehr als einem Jahr sei es dann aber doch zum einvernehmlichen Kontakt gekommen. Danach noch öfters. Die Initiative dazu sei stets vom Chefarzt ausgegangen. Sie habe diese Kontakte zwar "innerlich nicht gewollt", habe ihren Widerwillen dem Chefarzt aber nicht deutlich gemacht. An jenem 20. Dezember 2016 jedoch habe sie sehr deutlich zu verstehen gegeben, dass sie das, wozu sie der Chefarzt aufforderte, nicht wollte.

Die Anklage wirft dem 46-Jährigen vor, er habe die Mitarbeiterin unter einem Vorwand in die Küche eines Klinik-Stützpunktes in einer fränkischen Kleinstadt gerufen. Angeblich wollte er wegen einer Abrechnung unter vier Augen mit ihr sprechen. Dort habe der Chefarzt dann die Türe geschlossen und sie unvermittelt gefragt, ob sie Oralverkehr an ihm ausüben wolle. Die Frau habe dies entschieden mit der Begründung abgelehnt, sie lebe nun in einer Beziehung. Trotzdem habe sich der Arzt entblößt. Um weiterem "massiven sexuellen Drängen und Übergriffen zu entgehen" sowie "aus Furcht vor beruflichen Nachteilen" sei die Frau dem Ansinnen ihres Vorgesetzten zunächst nachgekommnen, soll dann aber gesagt haben, dass es nun reiche. Daraufhin soll der Chefarzt sie noch auf den Mund geküsst haben.

Der 46-Jährige ist tief gefallen seither. An der Klinik hat er Hausverbot, nach eigenen Angaben lebt er seit der Entlassung aus der U-Haft von ein paar Hundert Euro im Monat. Als wolle er das unterstreichen, trägt er vor Gericht auffällig legere Kleidung: Knittrige Jeans, Pulli, Halstuch, Joggingschuhe. Er wirkt angespannt, am vierten Verhandlungstag aber hellen sich seine Gesichtszüge kurz auf.

Eine der Zeuginnen sagt aus, eine medizinische Fachangestellte. Sie berichtet von körperlichen Kontakte zu ihrem Ex-Chef und davon, dass sie stets "inneren Widerwillen" dagegen gehegt habe. Eine Anzeige sei für sie aber nie in Frage gekommen. Sie habe sich stattdessen "einen Teil der Schuld gegeben", weil sie zum Chef nie "klar und deutlich" gesagt habe: "Stopp, ich will das nicht."

Nachdem sie sich Ermittlern gegenüber auch zum Fall geäußert habe, hätten sie zunächst Schuldgefühle geplagt. "Ich war ja seine Vertraute", sagt sie. Und der Arzt sei stets ein "Super-Chef" gewesen: einer, der keinen Druck ausübte und für gutes Arbeitsklima sorgte. Nachdem sie aber von Kolleginnen angesprochen wurde, habe sie sich entschieden, ebenfalls auszusagen. "Es gab ein Fehlverhalten", sagt die Zeugin, "so was geht als Chef einfach nicht." Der Prozess wird fortgesetzt.

© SZ vom 02.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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