Gericht:Prozess um Badeunfall: Zehnjähriger in Oberammergau ertrunken

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Im Oberammergauer Freizeitbad Wellenberg hatten die Bademeister viel zu tun - womöglich zu viel, um alle Besucher im Auge zu behalten. (Foto: Imago)
  • Lukas S., zehn Jahre alt, ertrank am 4. Juli des vergangenen Jahres im Schwimmbad "Wellenberg" in Oberammergau.
  • Drei Jugendbetreuer und zwei Bademeister stehen nun vor Gericht. Fahrlässige Tötung lautet der Vorwurf der Anklage.

Von Stephan Handel, Garmisch-Partenkirchen

Um 16.32 Uhr rutschten diese Rabauken schon wieder in Kolonne die Rutsche herunter. Um 16.35 Uhr kam ein vierjähriges Mädchen ohne Schwimmflügel dem Beckenrand bedrohlich nahe. Dann mussten die Chlorwerte aller Becken überprüft werden. Um 16.41 Uhr brauchte ein Bub ein Pflaster, weil er gestürzt war. Um 16.48 Uhr ist dann der Lukas ertrunken.

Lukas S., zehn Jahre alt, starb am 4. Juli des vergangenen Jahres im Klinikum Garmisch-Partenkirchen, nachdem er zwei Tage zuvor im Schwimmbad "Wellenberg" in Oberammergau bewusstlos aus dem Wasser gezogen worden war. Am Dienstag begann vor dem Garmischer Amtsgericht der Versuch, das Unglück mit den Mitteln des Strafgesetzbuches aufzuarbeiten.

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Angeklagt sind zwei Bademeister des Oberammergauer Bades und drei Jugendbetreuer des Fußballvereins aus der Nähe von Augsburg, die mit ihrer E-Jugendmannschaft zum Saisonabschluss einen Ausflug unternahmen - mit tragischem Ausgang.

Es muss eine lustige Truppe gewesen sein, die sich auf den Weg machte am 2. Juli 2016: zehn Kinder, acht Erwachsene, darunter die beiden Jugendleiter des Vereins und der Trainer der Mannschaft. Zunächst ging's ins Ötztal zu einer Rafting-Tour. Danach stand eigentlich der Besuch einer Sommerrodelbahn auf dem Programm, aber es begann zu regnen. So wurde beim Mittagessen beschlossen, noch schwimmen zu gehen - nach Schongau, aber Experten unter den Kindern befanden, dass in Oberammergau die Rutschen cooler seien, also fuhr die Schar da hin.

Das "Wellenberg" in Oberammergau ist eine nicht gerade kleine Anlage, acht Becken verteilen sich auf 42 000 Quadratmeter, es gibt besagte Rutschen, Sprunganlagen, Heißbecken, Sportbecken, Erlebnisbecken, Planschbecken. Wie und warum Lukas seine Gruppe verlassen hat, warum er sich entgegen der Anweisung alleine zu dem Sportbecken begab, ob er hineingesprungen ist oder hineingestoßen wurde - das alles ist unklar.

Es existiert jedoch ein Video einer Unterwasserkamera, das den Todeskampf des Buben zeigt. Rund vier Minuten versucht er, den Kopf über Wasser zu bekommen. Dann sinkt er zu Boden. Es dauert acht Minuten, bis eine Schwimmerin den leblosen Körper bemerkt und Lukas aus dem Becken gezogen wird.

Und so sitzen nun fünf Männer auf der Anklagebank, die verantwortlich sein sollen für diesen Tod eines kleinen Buben. Fahrlässige Tötung lautet der Vorwurf der Anklage - im Fall der beiden Bademeister, weil sie, so die Anklage, den Todeskampf hätten bemerken müssen, wenn sie so aufmerksam gewesen wären, wie ihr Beruf es verlangt. Die drei Vereinsbetreuer sollen verantwortlich sein, weil sie ihre Aufsichtspflicht nicht erfüllt haben - etwa, weil Lukas angeblich ein unsicherer Schwimmer gewesen sein soll. Wenn die Ehrenamtlichen das gewusst hätten, dann hätten sie noch mehr Augenmerk auf ihn richten müssen.

Eine tragische Verkettung von unglücklichen Umständen

Hätten sie es wissen können? Einer der Männer sagt, er habe auch schon Schwimmkurse gehalten, habe also einen Blick dafür - ihm sei es nicht so vorgekommen, als ob Lukas im Wasser unsicher gewesen sei. Sowieso bemühen sich alle Angeklagten, ihr Bedauern, ihre Bestürzung über den Tod des Buben auszudrücken. Der Fußballverein hat nach dem Unglück eine Spendenaktion für die Eltern gestartet - ein rührend hilfloser Versuch gutzumachen, was doch nicht mehr gutzumachen ist.

Auch die beiden Bademeister wirken mehr als bedrückt von dem, was da in ihrem Verantwortungsbereich geschehen ist vor mehr als einem Jahr. Über ihre Anwälte aber weisen sie jeden Vorwurf der Pflichtverletzung zurück: Die Aufzählung der Geschehnisse kurz bevor Lukas verunglückte soll ja zeigen, dass sie beileibe nicht untätig waren.

Dass vielmehr ein solches Riesenareal von zwei Diensthabenden gar nicht angemessen überwacht werden kann, wenn die zudem nicht nur auf die Schwimmer aufpassen, sondern auch noch notwendige Reparaturen und technische Aufgaben erledigen müssen. Immerhin: Seit Lukas' Tod teilt die Gemeinde Oberammergau drei, am Wochenende sogar vier Bademeister zum Dienst ein.

Eine tragische Verkettung von unglücklichen Umständen - so stellen die Verteidiger die Geschehnisse bis zu Lukas' Tod dar. Andreas Pfisterer, der Amtsrichter, sagt aber ziemlich deutlich, dass er die Angeklagten ganz ungeschoren keinesfalls davonkommen lassen will. Was die Jugendbetreuer betrifft, so fällt eine Entscheidung noch am Dienstagnachmittag: Die Verfahren werden wegen geringer Schuld eingestellt, gegen zwei Mal 1500 Euro und einmal 3000 Euro Geldauflage, zu zahlen an den Krisen-Interventionsdienst Garmisch-Partenkirchen.

Das Verfahren gegen die beiden Bademeister hingegen wird fortgesetzt werden. Der Richter hatte in den Raum geworfen, dass er sich eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen vorstellen könnte, die Staatsanwältin hat gesagt, dem würde sie sich bei einem Geständnis nicht widersetzen. Michael Röhrig aber, einer der Verteidiger, meint: Was solle er denn gestehen, der Mandant? Der Sachverhalt an sich sei doch unstreitig, es gehe um die rechtliche Bewertung. Einer der Jugendbetreuer hatte ganz zu Beginn gesagt: "Für mich hat das der liebe Gott entschieden."

© SZ vom 09.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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