DSV-Sicherheitsexperte:"Wir sind gegen die Helmpflicht"

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SZ-Grafik; Quelle: Stiftung Sicherheit im Skisport (Foto: N/A)

Seit dem schweren Unfall von Michael Schumacher tragen immer mehr Skifahrer Helm, sagt DSV-Sicherheitsexperte Andreas König. Und doch steigt die Zahl der Kopfverletzungen.

Interview von Korbinian Eisenberger, München

Seit dem schweren Unfall von Michael Schumacher vor 23 Monaten hat sich in den Köpfen vieler Wintersportler eingeprägt, wie schlimm ein Skiausflug enden kann. Die neue Unfallstatistik des Deutschen Skiverbands (DSV) zeigt, dass die Botschaft wohl auf den Pisten angekommen ist: Im Vergleich zu den beiden Vorsaisons ging die Zahl der verletzten deutschen Skifahrer vergangenen Winter um zehn Prozent zurück - eine gute Nachricht kurz vor Beginn der neuen Skisaison in Bayern. Der leichte Anstieg bei Kopfverletzungen zeigt aber auch, dass der Helm alleine keine Sicherheitsgarantie ist, sagt DSV-Sicherheitsexperte Andreas König.

SZ: Herr König, die Zahl der verletzten deutschen Skifahrer ist nach Ihrer Statistik von etwa 42 000 auf 38 500 gesunken. Ist das der Schumacher-Effekt?

Andreas König: Das spielt mit Sicherheit eine große Rolle, auch der Unfall von Dieter Althaus (ehemaliger thüringischer Ministerpräsident, Anm. d. Red.) 2009, wo es eine Tote gab.

Hat durch diese zwei prominenten Fälle ein Umdenken bei Ski- und Snowboardfahrern stattgefunden?

Das Sicherheitsbewusstsein ist größer geworden. In Lenggries, Garmisch oder auf der Steinplatte tragen mittlerweile 80 bis 85 Prozent der Erwachsenen Helm, bei Kindern sind es nach meiner Beobachtung sogar fast hundert Prozent. Zum Vergleich: Vor sechs Jahren trugen von den Erwachsenen ungefähr 40 bis 50 Prozent einen Helm.

Andreas König, 43, ist Sicherheitsexperte des DSV. Zusammen mit der Auswertungsstelle für Skiunfälle und der Stiftung Sicherheit im Skisport erhebt der DSV seit 1979 jährlich die Unfallstatistik der deutschen Skifahrer (Foto: oh)

Sie selbst sind auch Helmträger. Wie sicher darf man sich damit fühlen?

Es gibt Expertenschätzungen, wonach der Helm 85 Prozent aller Verletzungen verhindert. Ich bin da vorsichtiger und sage: Er verhindert einen Großteil. Ein Restrisiko bleibt, das hat der Fall Schumacher gezeigt.

Die jüngste Zahl der Kollisionen ist etwa so hoch wie vor Schumachers Unfall. Bei den Kopfverletzungen gab es im Vergleich zum Vorjahr einen Anstieg von 0,92 auf 1,1 pro tausend Skifahrer. Ist die Gefahr hoch, dass sich Helmträger zu sicher fühlen und zum Pistenrowdy werden?

Ich stimme zu, dass es den einen oder anderen gibt, der wegen seiner guten Ausrüstung unterbewusst das Risiko unterschätzt. Diese Leute gibt es jedoch immer, das ist nicht nur beim Skifahren so. Insgesamt ist es für die Sicherheit auf der Piste sicherlich von Vorteil, wenn Skifahrer gutes und neues Material haben.

Aber ist es bei Stürzen nicht gefährlicher, wenn die Kanten scharf und die Skier schnell sind?

Ich sehe das anders. Wenn ich moderne Carvingskier mit einem gut gewachsten Belag und geschliffenen Kanten habe, dann brauche ich weniger Kraft. Das macht sich vor allem am Nachmittag bemerkbar, wenn die Pisten zerfahren und rutschig sind. Gerade bei den schwächeren Skifahrern lässt dann die Kondition und Konzentration nach. Dann passieren eigentlich die meisten Skiunfälle. Oft sieht es unspektakulär aus, viele Skifahrer ziehen sich dabei aber komplizierte Knieverletzungen zu.

Unfälle beim Wintersport können so dramatische Folgen haben, dass ein Hubschrauber zur Bergung eingesetzt werden muss. (Foto: Reinhard Eisele / project photos)

Gerade Touristen greifen ja oft zu Leihskiern. Da kann man beim Material schnell mal Pech hab en. Spricht das nicht gegen Ihre Theorie?

Qualität und Zustand der Ausrüstung unterscheiden einen guten von einem schlechten Verleih, sicher kann man sich beim Ausleihen im Endeffekt nicht sein. In letzter Zeit beobachte ich aber, dass auch Touristen vermehrt dazu neigen, sich eigene Skier, Schuhe und Helme zu kaufen. Mittlerweile gibt es auf dem Markt praktisch nur noch gutes Material, oft auch günstig, das sieht man auf der Piste und an den jüngsten Zahlen. Außerdem gibt es neue Schutzsysteme, zum Beispiel Protektoren mit Airbagfunktion bei Stürzen.

Welchen Anteil haben die Liftbetreiber, dass in Skigebieten weniger passiert?

Wäre Schumacher nicht abseits der regulären Piste auf einen Stein gefallen, hätte der Betreiber wohl die volle Verantwortung tragen müssen. Wohl auch deshalb findet man sowohl in Bayern als auch in der Schweiz und Österreich kaum mehr unbeschneite oder gefährliche Stellen auf der Piste, die nicht deutlich markiert sind.

Ihre Erhebungen zeigen auch, dass die Pisten immer voller werden. Das erhöht das Risiko automatisch. Müsste man nicht eigentlich eine Helmpflicht einführen? Man könnte das ja recht einfach kontrollieren, zum Beispiel durch das Liftpersonal.

Wir sind gegen die Helmpflicht. Laut Personenbeförderungsgesetz muss ein Liftmann jeden einsteigen lassen, solange er ein Ticket hat. Wir wollen keine Pistengendarmerie wie teilweise in Italien, sondern appellieren an die Vernunft. Es ist doch wie bei der Anschnallpflicht im Auto: Notorische Verweigerer würde es trotzdem geben. Die Realität zeigt, dass unser Appell auch ohne Regeln angenommen wird.

© SZ vom 02.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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