Auszeichnung:Europa-Medaille für Joschka Fischer erzürnt die CSU

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Ist Joschka Fischer "Steinewerfer" oder "glühender Europäer"? Europaministerin Beate Merk ist da anderer Meinung als manche in der Fraktion. (Foto: Robert Haas)
  • Die Auszeichnung für den "Ur-Grünen" stößt bei der CSU auf Kritik.
  • Fischer gibt sich weitgehend versöhnlich - dafür zeigt sich Europaministerin Merk dankbar.

Von Lisa Schnell und Wolfgang Wittl, München

Feine Klarinettentöne schwingen durch die Luft im Bronzesaal der Münchner Residenz. Oben zieren reiche Blumenranken die hohen Decken, unten steht die bayerische Fahne neben der europäischen. Seit an Seit, als wären sie nie weit voneinander entfernt gewesen, als hätte es von der CSU nie europaskeptische Töne gegeben.

Und als gäbe es keine parteipolitischen Grenzen, ehrt Europaministerin Beate Merk am Dienstag Joschka Fischer, den Urvater der Grünen, mit der Bayerischen Europamedaille. Dass er, die Krawatte passend grün, einmal so prunkvoll von der Bayerischen Staatsregierung empfangen wird, hätte er sich wohl nie träumen lassen. Es ist noch nicht lange her, da hieß es in der CSU, Fischer sei ein Mann, vor dem man Angst haben müsste, Landesgruppenchef Michael Glos nannte ihn sogar einen "Zuhälter". Was ist passiert?

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"Das bisher Undenkbare zu realisieren, braucht Zeit", erklärt Merk in ihrer Laudatio. Jetzt ist anscheinend genügend Zeit vergangen, dass Fischer von der CSU gelobt werden kann. Die von ihm vorangetriebene Osterweiterung der EU sei ein "Glücksfall für alle Europäer", sagt Merk. Gerade Bayern hätte enorm von der Öffnung der Grenzen und dem Zusammenrücken mit unseren östlichen Nachbarn profitiert.

Sie meint damit vor allem Bayerns Nachbarland Tschechien. Andere wie Rumänien oder Bulgarien erwähnt sie nicht. Diesen EU-Bürgern rief die CSU noch vor ein paar Jahren "Wer betrügt, der fliegt" zu und warnte vor Armutsmigration.

Ein Appell an Horst Seehofer

Nicht nur die Grünen kritisierten das damals scharf. Grünen-Fraktionschefin Margarete Bause freut sich deshalb, dass die CSU "lernfähig" ist. Sie hofft, dass CSU-Chef Horst Seehofer sich die Rede von Fischer "zu Herzen" nimmt.

Der nennt als die gefährlichste Krise für die Gemeinschaft die europaweite Akzeptanzkrise. "Überall ist der Nationalismus auf dem Vormarsch, auch in Deutschland", sagt Fischer. In vielen Ländern könne man verstehen, dass sie die "verheerenden Wirkungen" von Nationalismen nicht verstehen, in Deutschland nicht. Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts, in der Deutschland voll souverän war, sei eine "Tragödie" gewesen, die zweite, eingebunden in die EU, eine "sehr glückliche Zeit". Ein Europa der Nationalstaaten, das könne er nicht empfehlen.

Die CSU ist nun gerade dafür bekannt, die nationale Identität besonders zu betonen. Es scheint nicht die einzige Unstimmigkeit zwischen Stifter und Empfänger der Ehrung zu sein. Die Kritik von Ministerpräsident Horst Seehofer an der Kanzlerin teile Fischer nicht.

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Es sei richtig gewesen, im September 2015 die Grenzen zu öffnen. "Was hätte sie denn machen sollen? Es drohte eine humanitäre Katastrophe", sagt Fischer der Süddeutschen Zeitung. Dass er in seiner offiziellen Rede nicht allzu deutlich wird, dankt ihm Europaministerin Merk. "Sie leben und atmen Europa jenseits der Parteipolitik", sagt sie nach seiner Rede.

In der CSU hielt sich der Beifall hingegen in Grenzen. Mitglieder der Landtagsfraktion reagierten mit "Unverständnis" und "Kopfschütteln" auf die Entscheidung der Europaministerin, ausgerechnet einen Politiker wie Fischer mit der Bayerischen Europa-Medaille auszuzeichnen. Welche Verdienste Fischer sich denn für Bayern erworben habe?, fragte einer.

Für diese Ehrung braucht es "Ein gehöriges Maß an Fantasie"

Man könnte diese Haltung nun kleingeistig nennen und erwarten, die CSU wäre über so eine Petitesse erhaben. Nicht aber bei Joschka Fischer, schon gar nicht in diesen Tagen. Einerseits schimpfe man auf die CDU und ihren vermeintlichen Linkskurs, andererseits zeichne man nun selbst "die Steinewerfer der Republik" aus. Die Verstimmung in der Fraktion sei groß, sagte ein Abgeordneter. Es brauche schon ein gehöriges Maß an Fantasie, die Ehrung als besonderen Ausdruck der "Liberalitas Bavariae" gelten zu lassen.

Joschka Fischer dagegen schwebt schon lange über allen parteipolitischen Querelen. "Man darf in der Politik nicht nachtragend sein", sagt er und lobt die Bayern sogar. "Von unten", da hätte Bayern bei der Flüchtlingskrise gezeigt, was es kann. "Von oben? Naja", entfährt es Fischer da. Ganz kann es eben auch er nicht lassen.

© SZ vom 08.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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