Mittelklassemodelle im Flugzeugbau:Jeder Zentimeter zählt

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Was im Fahrzeugbau VW Golf und Opel Astra sind, sind in der fliegenden Mittelklasse Modelle wie der Airbus A320 oder die Boeing 737. Sparsame Jets sind in diesem Milliardengeschäft das Gebot der Stunde. Doch die Umrüstung auf die neuen Motoren verläuft nicht ohne Probleme.

Andreas Spaeth

Airbus A380, Airbus A350, Boeing 747-8, Boeing 787 - diese neuen Verkehrsflugzeuge beherrschen die aktuellen Schlagzeilen. Dennoch machen solche Modelle nur einen kleinen Teil des Marktes aus. Die Mehrheit der mehr als zwei Milliarden Menschen, die jedes Jahr eine Flugreise absolvieren, fliegt stattdessen in kleineren Maschinen. Sie sind zweistrahlig, haben nur einen Mittelgang und bieten Platz für etwa 150 bis 180 Passagiere. Diese "Mittelklassewagen der Lüfte" sind für die beiden größten Hersteller Airbus und Boeing die Brot-und-Butter-Flugzeuge, mit denen sie das große Geld verdienen und andere Programme subventionieren.

Das Urmodell des Kassenschlagers ist bereits 44 Jahre alt: Eine Boeing 737-700 der deutschen Fluggesellschaft Air Berlin überfliegt den Flughafen Braunschweig-Wolfsburg. (Foto: dpa)

Mehr als 5100 Maschinen der A320-Familie sind bisher ausgeliefert worden, die gegenwärtige Boeing- 737-Generation ist in knapp 4000 Exemplaren unterwegs. Und obwohl beide Typen in die Jahre kommen - die A320 fliegt seit 25 Jahren, die aktuelle Version der 737 seit 15 Jahren, das Urmodell ist gar schon 44 Jahre alt - verkaufen sie sich weiter wie geschnitten Brot: Weit mehr als 3000 unerfüllte A320-Aufträge stehen noch bei Airbus in den Auftragsbüchern, etwa 2500 737-Bestellungen bei Boeing. Airbus fährt daher gerade die Produktion der A320-Familie in Hamburg und Toulouse so hoch wie noch nie: Alle 6,5 Arbeitsstunden wird eine A320 fertiggestellt. "Solche Fertigungsraten hat es im zivilen Flugzeugbau noch nie gegeben, das kann man nur mit dem Bau von Militärflugzeugen in Kriegszeiten vergleichen", sagt Airbus-Programmchef Tom Williams.

Kein Wunder also, dass die beiden Hersteller nicht daran interessiert sind, anstelle ihrer bisherigen Bestseller bald teure Nachfolgemodelle auf den Markt zu bringen. Die Masse der Passagiere wird deshalb auch die nächsten Jahrzehnte mit Flugzeugen unterwegs sein, die in ihren Ursprüngen aus den Sechziger- oder Achtzigerjahren stammen. "Ich sehe vor 2030 keinen Nachfolger für die A320", sagt etwa Airbus-Verkaufschef John Leahy. Die Hersteller argumentieren, dass es früher nicht möglich sei, ausreichend technologischen Fortschritt zu bieten. Erst dieser würde kostspielige Neuentwicklungen rechtfertigen und etwa den Spritverbrauch um 20 Prozent und mehr senken können.

Die Fluggesellschaften aber, gebeutelt von hohen Ölpreisen und Emissionsabgaben, fordern seit Langem zeitgemäßere Angebote. Airbus und Boeing haben sich daher zu Kompromissen entschlossen und bieten jetzt überarbeitete Versionen ihrer bisherigen Modelle mit moderneren und größeren Triebwerken an. Ganz so einfach ist das aber nicht, das Hauptproblem besteht darin, größere Triebwerke unter den Tragflächen von bestehenden Flugzeugen unterzubringen, die seit Jahrzehnten mit kleineren Motoren fliegen. "Wir müssen das so simpel wie möglich machen", weiß Jim Albaugh, der Ende Juni überraschend abgelöste Chef von Boeings Zivilsparte.

Das ist kaum möglich - gerade für Boeing. Die Ur- 737 von 1968 hatte zwei Motoren mit gerade mal 1,37 Metern Durchmesser, dafürist die Struktur des Flugzeugs ausgelegt. Modernste Triebwerke, vor allem der revolutionäre Getriebefan von Pratt & Whitney, messen aber mehr als zwei Meter. Schon die bisherigen 737- Triebwerke von CFM sind gut an den fischmaulähnlichen, unten abgeflachten Einlässen zu erkennen - Ausdruck des Dilemmas: Bei den niedrig angebrachten Tragflächen wird der Abstand zwischen Triebwerk und Boden gefährlich klein. Mindestens 43 Zentimeter Freiraum müssen es sein, um nicht mit den Lampen der Bahnbefeuerung zu kollidieren.

Daher kann Boeing für ihre erneuerte 737-MAX-Familie auch nicht den Getriebefan als Antriebsoption anbieten. Stattdessen behilft sich der Hersteller mit verbesserten CFM-Motoren, die nicht mehr als 1,73 Meter Durchmesser aufweisen. Ob dafür das Fahrwerk modifiziert werden muss, steht noch nicht endgültig fest. Airbus hält mit der A320neo (neo für "New Engine Option", neue Triebwerksoption) dagegen und kann bei minimalen Veränderungen am Flugzeug auch den Getriebefan einbauen.

Da die Airlines keine andere Wahl haben, ordern sie: Airbus konnte binnen Kurzem für die A320neo rund 1300 Festbestellungen entgegennehmen, dazu noch Hunderte Optionen. Boeing zögerte lange mit der Entscheidung für die 737 MAX und hinkt beim Absatz noch hinterher, mit insgesamt rund 1000 Orders und Optionen liegt der Anteil an Festaufträgen deutlich unter denen für die A320neo. Diese Woche beginnt im britischen Farnborough die Luftfahrtschau, auf der weitere Kaufzusagen für beide Modelle erwartet werden. Dann wird sicher auch der Streit wieder losgehen, welches Modell im Vergleich zu welchem wie viel Sprit sparen kann - die entscheidende Frage.

Airbus behauptet, die A320neo sei acht Prozent sparsamer als die 737-8 MAX. Boeing, wo noch nicht einmal das Design der neuen Familie verabschiedet wurde, verkündet genau das Gegenteil. Der Markt ist groß genug für beide, plus künftige neue Wettbewerber etwa aus China, Russland und Kanada. Airbus rechnet damit, dass in den nächsten zwei Jahrzehnten auf dem Weltmarkt 27.000 Flugzeuge dieser Größenordnung verkauft werden, Boeing kalkuliert sogar mit 32.500. Ein Milliardenspiel, bei dem wenige Zentimeter Bodenfreiheit für die Triebwerksgondeln die entscheidende Rolle spielen.

© SZ vom 09.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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