In Deutschland gibt es bisher zwei gesetzgeberische Instrumente, die das Wohlergehen der Tiere im Zirkus garantieren sollen: das sogenannte Zirkuszentralregister, in dem seit 2008 alle Zirkusse erfasst und Verstöße vermerkt werden, sowie die Leitlinien für die Haltung, Ausbildung und Nutzung von Tieren in Zirkusbetrieben aus dem Jahr 2000. "Diese Leitlinien sind aus unserer Sicht eine Farce", kritisiert Viktor Gebhart von Animals United. "Das sind keine Gesetze - und Richtlinien kann man einhalten oder nicht." Es gebe keinen richtigen Bußgeldkatalog, so Gebhart, zudem hätten die Veterinärämter keinerlei Handhabe: "Deutschland ist ein rechtsfreier Raum für Zirkusbetriebe."
Auch das Zirkuszentralregister ist eher ein Papiertiger, glaubt Theo Mantel, Ehrenpräsident der Bundestierärztekammer. Er hat 30 Jahre lang als Amtstierarzt gearbeitet und dabei immer wieder Zirkusse kontrolliert. Für Unternehmen gebe es verschiedene Möglichkeiten, das Register zu umgehen, sagt Mantel: "Einige Zirkusse treten manchmal innerhalb kürzester Zeit unter bis zu vier verschiedenen Namen auf. Aufgrund der föderalen Struktur Deutschlands werden außerdem häufig die Informationen nicht zügig und zeitnah weitergegeben." Ein Bundesland weiß oft zu wenig darüber, was im Nachbarbundesland geschieht.
Elefanten lassen sich im deutschen Winter kaum artgerecht halten
Abgesehen von solchen konkreten Lücken im Kontrollsystem lehnt Mantel die Tierhaltung im Zirkus generell ab: "Bei Wildtieren gibt es besondere Haltungsanforderungen, die in reisenden Zirkussen in der Regel nicht einzuhalten sind." Elefanten könne man im kalten deutschen Winter schlicht nicht artgerecht halten. Wassertiere wie Seelöwen bräuchten eigentlich so große Becken, dass dies die finanziellen Möglichkeiten reisender Unterhaltungsunternehmen sprengen würde. Gleichzeitig seien die verschärften Vorschriften der Tierhaltung eine große finanzielle Belastung, so Mantel: "Es gibt reisende Zirkusse, die um Fressen für die Tiere betteln müssen. Denen steht das Wasser buchstäblich bis zum Hals." Die Kosten für eine artgerechte Haltung seien für kleinere und mittlere Betriebe schlicht nicht zu leisten.
Doch die Zirkusbetriebe bekommen auch Unterstützung, von Traditionalisten wie Daniel Burow beispielsweise. Burow ist im Verein "Gesellschaft der Circusfreunde" und hat das Aktionsbündnis "Tiere gehören zum Circus" mitbegründet. "Ein Zirkus ist der einzige Ort, wo ich Tieren wirklich nah kommen kann", sagt Burow. "Besonders Kinder lernen dort, wie sich Tiere verhalten." Die Kritik der Tierrechtsorganisationen möchte sein Aktionsbündnis entkräften, indem es sich auf wissenschaftliche Studien beruft: "Wir versuchen, die Diskussion auf eine Sachebene zu heben, und sind der Überzeugung, dass die Faktenlage stark für Zirkusse spricht."
Mit der "Faktenlage" meint Burow jene Untersuchungen, mit denen auch der Circus Krone die eigene Position zu stärken hofft: Der Verhaltensbiologe Immanuel Birmelin verglich 2013 zusammen mit der Biologin Tessy Albonetti von der Universität Freiburg das Verhalten von Löwen im Basler Zoo (großes Freigehege) mit denen eines Privatzoos (schwacher Menschenkontakt) und denen des Circus Krone (intensiver Menschenkontakt). Ergebnis: Im Verhalten der Tiere in den unterschiedlichen Haltungssystemen, ob Zoo oder Zirkus, sei kein großer Unterschied festzustellen. Mehr noch: Ihr Verhalten entspreche im Wesentlichen dem von Löwen in freier Wildbahn. Birmelins Erklärung: "Löwen schlafen auch in Freiheit nachweisbar 20 bis 22 Stunden pro Tag." Verhaltensstörungen, beispielsweise ständiges Auf- und Ablaufen im Gehege, konnten ihm zufolge bei Zirkuslöwen nicht festgestellt werden.
In einer anderen Studie untersuchte er, ob die Löwen des Circus Krone während des Transports unter Stress leiden. Ein Anzeichen von Stress ist der Anstieg von Cortisol im Organismus, das im Speichel messbar ist. Birmelin nahm Speichelproben von Zirkuslöwen während eines längeren Aufenthaltes sowie direkt vor und nach einem Transport. Forscher der Universität Münster werteten die Proben aus. Die Cortisolwerte während des Aufenthalts und während des Transports unterschieden sich laut Forschungsbericht kaum - sie ähnelten sogar Werten, die der Forscher Craig Packer 1993 an Löwen in der Serengeti gemessen hatte.
Ein Verbot scheitert bislang an der Union
Peter Höffken von Peta hält von diesen Ergebnissen wenig: "Zirkusfreundliche Untersuchungen von tendenziösen Wissenschaftlern wie Herrn Birmelin muss man mit Vorsicht betrachten. Seine Aussagen fallen meist sehr stark zugunsten der Zirkusse aus." Höffken verweist auf einen tödlichen Zwischenfall mit einem Elefanten des Zirkus Luna im Jahr 2015. Das Tier hatte zuvor schon mehrfach Menschen verletzt, Zirkuskritiker prangerten Verhaltensauffälligkeiten an. Birmelin hatte den Elefanten dennoch für ungefährlich erklärt. Untersuchungen von unabhängigen Wissenschaftlern ließen die Zirkusbetreiber oft nicht zu, so Peta-Mann Höffken. Es ist ihr gutes Recht: Niemand könne die privaten Zirkusse dazu verpflichten.
Während Zirkusbetriebe, Politiker und Tierschützer noch um ein Wildtierverbot streiten, gibt es unter den potenziellen Zuschauern ein recht klares Meinungsbild: Laut einer repräsentativen Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen lehnten 2015 zwei Drittel der Deutschen Wildtiere wie Elefanten, Giraffen oder Tiger in Zirkusbetrieben ab. Auf der Internetplattform change.org unterstützen aktuell weit über 100 000 Menschen eine Petition mit dem Titel "Bundesweites Wildtierverbot im Zirkus".
Auch im Bundestag gäbe es rein rechnerisch schon jetzt eine Mehrheit für ein solches Verbot. SPD, Grüne und Linke haben sich bereits mehrfach gegen Wildtiere im Zirkus ausgesprochen. Damit revidieren die Grünen im Übrigen ihre eigene Blockadehaltung: 2003 war der Antrag des CDU-regierten Landes Hessen letztlich am Bundeslandwirtschaftsministerium gescheitert, das zu jener Zeit von der Grünen Renate Künast geführt wurde. Das Ministerium hatte damals mit verfassungsrechtlichen Bedenken argumentiert - und mit den erst drei Jahre zuvor erarbeiteten Richtlinien zur Haltung von Zirkustieren.
Heute wäre vonseiten der Grünen der Weg zu einem Wildtierverbot wohl frei. Doch nun blockiert eine andere Partei. "Es kommt nur wegen der Großen Koalition und dem CSU-geführten Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft nicht zu einem Verbot", ist Peta-Mann Höffken überzeugt. Tatsächlich lehnt die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ein generelles Verbot ab. Das führt ironischerweise dazu, dass der aktuelle Verbotsvorstoß des CDU-geführten Hessen vor allem an den eigenen Parteifreunden im Bundestag scheitert.
Diese innerfraktionelle Blockade scheint die letzte Bastion zu sein, auf die die Fans der Zirkuswildtiere hoffen können. Doch sie könnte schon im September fallen - dann nämlich, wenn CDU und CSU bei der Bundestagswahl ihre Regierungsbeteiligung einbüßen. "Sollte sich die politische Windrichtung ändern, kann ein Verbot ganz schnell kommen", glaubt Höffken. Würde die CSU im Herbst ihr faktisches Veto-Recht verlieren, bei Krone & Co. wäre das Gebrüll groß. Und es wäre kein Löwengebrüll.