Wissenschaftspolitik:Hört auf die Forscher

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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier an der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina in Halle. (Foto: Ralf Hirschberger/dpa)

Bundespräsident Steinmeier lobt die Nationale Akademie der Wissenschaften in Halle an der Saale. Ihre Mitglieder verteidigten die Vernunft gegen die Verrohung der öffentlichen Debatten.

Von Kathrin Zinkant

Es dauerte einen Moment, bis jeder den Witz verstanden hatte, aber zum Glück lachten dann doch alle: Bundespräsident Frank Walter Steinmeier war, so berichtete er seinem Publikum, vergangene Woche vom japanischen Kaiser Akihito in Tokio empfangen worden, im November sogar von der britischen Queen Elisabeth II. im Buckingham-Palace - "aber was bislang noch fehlte", sagte der ehemalige Außenminister: "Ich war noch nicht im Weißen Haus." Nein, der Bundespräsident meinte nicht das Weiße Haus in Washington, sondern das cremeweiße Prachtgebäude der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina in Halle an der Saale.

Es war der erste Besuch Steinmeiers in der traditionsreichen Akademie, was man reichlich spät nennen kann für einen Schirmherrn - das ist die Rolle, die der Bundespräsident vor einem Jahr für die Leopoldina übernommen hat. Doch schenkt man seiner Entourage Glauben, hat das deutsche Staatsoberhaupt größtes Interesse an der Wissenschaft. Demnach betont er bei jeder Gelegenheit auf seinen Reisen durch Deutschland die Bedeutung der Wissenschaft für die Gesellschaft.

"Sie verteidigen die Vernunft gegen die Verrohung unserer öffentlichen Debatten."

Natürlich war Steinmeier nicht ganz zufällig an diesem Donnerstag im Weißen Haus von Halle zu Gast. Die ehemalige Akademie der Naturforscher, seit 1687 schlicht Leopoldina genannt, feiert in diesem Jahr ihr zehnjähriges Jubiläum als Nationale Akademie der Wissenschaften. Bis 2008 hatte sich die älteste naturwissenschaftliche Gelehrtengesellschaft der Welt vor allem um den Austausch unter Forschern bemüht; seit der offiziellen Ernennung zur Nationalakademie ist es Aufgabe der Leopoldina, die Politik in wissenschaftlichen Fragen aller Art zu beraten. Wenn die Kanzlerin also ein paar gute Tipps zu Energiewende, Biotechnik, Wirtschaftsfragen oder eine kompetente Erörterung des Klimawandels benötigt, wird die Akademie gefragt, die seit 2010 von dem Mikrobiologen Jörg Hacker angeführt wird.

Es ist eine Aufgabe, die der Bundespräsident am Donnerstagmorgen in seiner Rede überschwänglich lobte. "Sie, meine Damen und Herren, verteidigen die Vernunft gegen die Verrohung unserer öffentlichen Debatten!", rief Steinmeier in den Saal. Die Arbeit der Leopoldina mit ihren Analysen, Positionspapieren, Empfehlungen und Veranstaltungen trage entscheidend zu einer Kultur der Willensbildung bei, in der am Ende die informierte Meinung, das bessere Argument mehr zählten als die grobe Parole.

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So zumindest sollte es sein, auch in Fragen der fortschreitenden Digitalisierung, die von vielen Menschen als bedrohlich empfunden wird und zum Antrittsbesuch des Schirmherrn deshalb andiskutiert wurde. Doch es gibt auch im zehnten Jahr der Nationalakademie noch Strukturen zu verbessern - zum Beispiel den Frauenanteil unter den Mitgliedern. Dieser ist noch immer niedrig, zwölf Prozent insgesamt. Unter den neuen Mitgliedern waren im vergangenen Jahr auch nur 21 Prozent weiblich. Das Alter der Mitglieder ist im Durchschnitt hoch. Fast ein Drittel der Mitglieder ist über 70 Jahre alt. Noch auf der Jahresversammlung der Leopoldina im vergangenen Sommer waren die dominierenden Haarfarben Grau und Weiß, viele Mitglieder sind im Ruhestand, forschen selbst nicht mehr aktiv und sind über moderne Wissenschaft in manchen Fällen womöglich weniger gut informiert als jene, die in den Laboren stehen.

Was aber die Qualität der Arbeit nicht schmälert, so sieht es jedenfalls die neue Vizepräsidentin der Akademie, Regina Riphahn von der Uni Erlangen-Nürnberg. Die Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlerin ist Anfang 50 und damit praktisch das Küken des Präsidiums. "Die besten Wissenschaftler sind deshalb die Besten, weil Forschung ihre erste, zweite und auch noch die zehnte Priorität ist", sagt Riphahn. Für Akademievorhaben hätten die meisten deshalb erst nach den intensiven Forscherjahren Zeit. "Was wir verstärken müssen, ist die jüngeren Mitglieder besser einzubinden", sagt Riphahn. Ziel ist, gesellschaftlich wichtige Themen noch früher zu erkennen. Sie selbst will sich in Zukunft vor allem um die internationalen Beziehungen der Akademie bemühen. Zuletzt hatte sich die Leopoldina unter anderem zu Fragen der modernen Gentechnik (Genome Editing) am Menschen mit den Akademien Großbritanniens, Chinas und der USA zusammengetan.

Wie schnell eine starke Wissenschaftsakademie Einfluss verliert, zeigen die USA deutlich

Womöglich müsse sich die Leopoldina aber auch verstärkt der Öffentlichkeit zuwenden, ließ der Bundespräsident in Halle anklingen. Zu elitär, zu missionarisch und in Einzelfällen, siehe Dieselabgasskandal, sogar unglaubwürdig, solche Eindrücke über die Wissenschaft könnten schnell entstehen. "Der sogenannte Kampf gegen das Establishment wird längst nicht nur gegen Politiker und Medien geführt, sondern er ist auch in der Wissenschaft angekommen", sagte Steinmeier. "Wenn die Geltung, gar die Notwendigkeit von empirischer Forschung angezweifelt wird, dann heißt das nichts Gutes für die Zukunft einer aufgeklärten Gesellschaft."

Um das zu erkennen, reicht ein Blick hinüber ins Weiße Haus - nun aber in das echte in Washington. Von dort aus sabotiert der amerikanische Präsident Donald Trump ohne nennenswerte öffentliche Gegenwehr fast jede wissenschaftlicher Einflussnahme auf die Politik, nicht nur in Fragen des Klimawandels. Dass es in Deutschland so weit kommen könnte, ist zwar derzeit völlig unvorstellbar. Aber wie schnell selbst eine starke nationale Wissenschaftsakademie an Einfluss verliert, zeigen die USA doch allzu deutlich.

© SZ vom 16.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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