Erderwärmung:Eine Buche, um den Wald zu retten

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Wald voller Buchen in Oberfranken: Auch die eigentlich anpassungsfähige Buche ist durch Trockenheit und steigende Temperaturen bedroht. (Foto: imago stock&people/imago/imagebroker)

Die Klimakrise bedroht die Bäume. Von Bhaga, einer der ältesten Buchen in Deutschland, wollen Biologen nun lernen, wie die Wälder von morgen aussehen könnten.

Von Julius Bretzel und Simon Wörz

Auf der Suche nach der ältesten Buche Deutschlands würde man ziemlich sicher an ihr vorbeigehen. Wer bei dem Methusalem-Baum an meterbreite Stämme und gigantische Äste denkt, liegt falsch. Bhaga ist eine kleine, bucklige Gestalt. Die Rotbuche steht in Nordhessen im Nationalpark Kellerwald-Edersee und ist bewachsen von Moosen und Pilzen. Lila schimmernder Fingerhut umringt ihren Fuß. Seit etwa 350 Jahren klammert sich Bhaga an einem schroffen Felsvorsprung über dem Edersee fest, vielleicht auch schon länger.

Welche speziellen Eigenschaften haben diesen Baum nur so widerstandsfähig gemacht? Um das herauszufinden, haben die Biologen Marco Thines und Stefan Wötzel die DNA von Bhaga entschlüsselt. Die alte Dame soll dabei helfen, die Zukunft des europäischen Waldes zu sichern - vor allem mit Blick auf die Klimaerwärmung. Mit dem Wissen um die Besonderheiten ihres Genoms könnten in Zukunft klimafeste Buchenwälder aufgeforstet werden und Förster Bäume pflanzen, die aufgrund ihrer genetischen Voraussetzungen besonders gut gegen Hitze und Trockenheit gewappnet sind.

Bhaga ist mindestens 300 Jahre alt, wahrscheinlich sogar 350. (Foto: Julius Bretzel)

Thines trägt knöchelhohe Wanderstiefel, die Hosenbeine seiner Jeans hat er in die Socken gesteckt. Knapp eine halbe Stunde dauert der Marsch vom Parkplatz am See zur Buche. Um Wötzels Hals hängt eine Spiegelreflexkamera mit Teleobjektiv, der Gurt des Rucksacks ist eng um seine Brust geschnallt. Die beiden Forscher arbeiten am Biodiversität-und-Klima-Forschungszentrum der Senckenberg-Gesellschaft für Naturforschung in Frankfurt.

Viermal ist Thines nach Nordhessen gefahren und zu der Buche gewandert. Mehr als einhundert Knospen haben die Wissenschaftler gesammelt, in eine Kühlbox mit Eisflocken gelegt und zur Analyse mitgenommen. Bis dato war es üblich, Blätter für die DNA-Analyse zu untersuchen. Doch die beiden Biologen entschieden sich für Knospen, weil diese im Gegensatz zu Blättern kein eigenes kleines Ökosystem sind und weil ihr Inneres durch Schuppen geschützt ist. Ohne die auf Blättern lebenden Mikroorganismen ist die untersuchte DNA der Buchen reiner.

Vor menschlichen Eingriffen blieb Bhaga bislang verschont

Bhagas Genom dient als Grundlage für die gesamte Forschung an Fagus sylvatica, der europäischen Rotbuche. Alles, was fortan an dieser Art erforscht wird, bezieht sich auf die Gene dieses Individuums. Thines und sein Team sind die ersten, die das Erbgut der Buche bestimmen. Der Name, den die Forscher der alten Buche gaben, ist das rekonstruierte indogermanische Wort "Bhaga", die Urmutter der Buchen.

Ihr Genom ermöglicht als Referenz unterschiedliche Forschungsprojekte. So vergleicht das Team um Wötzel alte und junge Buchen, um mögliche Veränderungen durch den Klimawandel zu untersuchen. Auch suchen die Biologen Variationen von Bäumen aus unterschiedlichen Regionen: aus dem Breisgau, wo die Sommer heiß sind, aus dem gemäßigten Norden Polens oder dem polnischen Südosten, wo die Winter streng und die Sommer trocken sind. Die Forscher vergleichen die neuen Daten mit Bhagas Genom, um festzustellen, welche Genotypen sich wann durchsetzen konnten.

"Ein schöner Baum, ein sonderbarer Baum", sagt Thines, bei Bhaga angekommen. Knorrige Äste wachsen in alle Richtungen. Der Stamm ist hohl, Furchen und Risse klaffen darin. Alte Buchen ließen sich daran erkennen, dass ihre Rinde oft aufgerissen und ledrig sei, erklärt Thines. In dem Teil des Kellerwalds stehen viele solcher Bäume, seit 2011 ist der Buchenwald Unesco-Weltnaturerbe. Hier leben auch sehr seltene Käfer wie der Veilchenblaue Wurzelhalsschnellkäfer, die nur bei einem hohen Totholzanteil vorkommen. Relikte alter Urwälder, wie es sie in Deutschland nur noch selten gibt.

Stefan Wötzel und Marco Thines vom Biodiversität-und-Klima-Forschungszentrum der Senckenberg-Gesellschaft für Naturforschung in Frankfurt. (Foto: Julius Bretzel)

Von der ersten Beprobung des Baumes zu den ersten Analyseergebnissen dauerte es etwas mehr als ein Jahr. Insgesamt entdeckten die Wissenschaftler auf zwölf Chromosomen mehr als 63 000 Gene, eine Funktion konnte 87 Prozent davon zugeordnet werden. Das ist vergleichsweise viel. Oft finden Biologen die Sequenz eines Gens, wissen aber nicht, welche konkrete Rolle es im Organismus spielt.

Für Bhaga entschieden sich die Forscher zum einen aufgrund ihres Alters. Sie schätzen, dass Bhaga mindestens 300 Jahre alt ist, wahrscheinlich eher 350. Zum anderen schließen Wissenschaftler menschliche Eingriffe wie Aufforstung oder Abholzung in diesem Teil des Waldes aus. Das Gelände ist zu steil und unzugänglich, um die Stämme mit Forstmaschinen oder, wie früher, mit Pferden abzutransportieren. Die Bäume dort stammen aus einer vorindustriellen Zeit.

In all den Jahren hat die Buche schon die ein oder andere Herausforderung meistern müssen. An Bhagas Felsvorsprung kann der Boden kaum Regenwasser aufnehmen, es fließt sofort hinab ins Tal. Bis ein Zweig zehn Zentimeter wachse, brauche der Baum rund 20 Jahre, sagt Thines. Bhagas Wurzeln haben sich um den Stein gekrallt. Thines vermutet sogar, dass nur der Baum den Fels noch zusammenhält. Die Robustheit der Buche zeigt sich auch am Grün ihrer Blätter - von den umstehenden Bäumen leuchtet sie am sattesten.

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"Da vorne ist ein Schnitt", ruft Wötzel und zeigt auf einen jungen Ast, dem ein Zweig fehlt. Noch zwei Jahre später ist zu sehen, an welchen vier Stellen die Forscher dünne Ästchen abgeschnitten haben. Wötzel stiefelt um die Buche herum und fotografiert sie aus allen Winkeln. Dabei hält er sich kein einziges Mal an Bhagas Stamm fest, streift keinen Zweig, damit der Baum möglichst unbeeinflusst wachsen kann.

"Was die Bäume in den letzten Jahren durchgemacht haben, ist nichts im Vergleich dazu, was sie erwartet."

Als die Biologen die DNA im zweiten Schritt auf Chromosomen-Ebene untersuchten, stießen sie auf eine große Menge Erbgut aus Mitochondrien, den Kraftwerken der Zellen, und Chloroplasten, die Sonnenenergie nutzbar machen. Diese Zell-Organellen haben eine eigene, für gewöhnlich separate DNA. Gehen die Organellen zugrunde, kann ihre DNA in den Zellkern gelangen. Dass dies bei Bhaga offenbar in hohem Ausmaß geschieht, hält Thines für "evolutiv spannend". Er suchte weiter und stieß auf eine statistische Korrelation zwischen bestimmten Mutationen und der Dürreresistenz einzelner Buchen.

Laut einer Studie im Fachblatt eLife, an der Thines beteiligt war, lässt sich schon nach der Untersuchung von knapp 100 Stellen im Genom voraussagen, ob ein Baum durch anhaltende Trockenheit geschädigt wird oder nicht. Und das mit einer Wahrscheinlichkeit von 99 Prozent. Diese Gen-Abschnitte dürften demnach ein Grund für Bhagas außergewöhnlich langes Leben sein.

Dass die Buche trotz der widrigen Bedingungen mehr als drei Jahrhunderte überdauerte, soll nun ihrer ganzen Art zugutekommen. Buchen gelten zwar als anpassungsfähig, aber nur begrenzt. Die Klimakrise sorgt jetzt schon für flächendeckendes Buchensterben. Und Thines ist sich sicher: "Was die Bäume in den letzten Jahren durchgemacht haben, ist nichts im Vergleich dazu, was sie erwartet."

Aber wie bringt man den Kampf gegen den Klimawandel vom Labor in den Wald? Mit einem neuen Schnelltest soll sich künftig abgleichen lassen, inwieweit die DNA von Buchen Mutationen enthält, die Aufschluss über die Dürreresistenz geben können. Ziel der Senckenberg-Forscher ist ein handliches Gerät, um Baumproben zu untersuchen. Die Ergebnisse könnten dann in wenigen Minuten in einem eingebauten Chip mit einer Datenbank abgeglichen werden. Danach weiß man, ob ein Baum eine gute Chance hat, zukünftige Dürrejahre zu überleben - oder nicht.

Das koste etwa fünf Euro pro Baum, sagt Thines. Ein erschwinglicher Preis. Vor allem wenn man bedenkt, dass sich der forstwirtschaftliche Umsatz mit Buchen im Jahr 2017 laut dem Thünen-Institut, dem Bundesforschungsinstitut für ländliche Räume, Wald und Fischerei, auf über eine Milliarde Euro belief. In Hessen sollen die Geräte nun in einem Pilotprojekt getestet werden. Ein vergleichbares Verfahren gibt es in der Forstwirtschaft noch nicht, grundsätzlich ist es auch auf andere Baumarten übertragbar.

Das Kernholz von Bhaga ist verrottet. Am Stamm wächst unten ein Zunderschwamm. Ein Zeichen, dass der Baum in Teilen marode ist - was aber nicht unbedingt problematisch sein muss. Mit den Jahren sind immer wieder Stämme abgestorben und abgebrochen, aus ihnen heraus sind neue gewachsen. Die Buche verjüngt sich also selbst, für ihr hohes Alter geht es Bhaga erstaunlich gut. Vergangenes Jahr trug sie trotz Hitzesommer sogar Bucheckern: Die Früchte verteilen die vorteilhaften Gene dieses uralten Baumes, auch ohne den Menschen.

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