Klima:„Waldwende“ und Flächenzertifikate: Grüne wollen mehr tun

Lesezeit: 3 min

Eingerüstete, noch unfertige Neubauten stehen in einem Neubaugebiet in Hürth-Efferen. (Foto: Henning Kaiser/dpa/Archivbild)

Flächen- und Wasserverschwendung kann sich die Gesellschaft nach Ansicht der Grünen in Zeiten der Klimakrise nicht mehr leisten. Zwei Grünen-Politiker haben nun Vorschläge für Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel gesammelt. Die dürften nicht allen gefallen.

Direkt aus dem dpa-Newskanal

Düsseldorf (dpa/lnw) - Handel mit Flächenzertifikaten, mehr unberührte Wälder und Vorrang für Trinkwasser vor der Bewässerung von Golfplätzen - die Grünen wollen Städte und Natur besser gegen den Klimawandel wappnen. Der umweltpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Jan-Niclas Gesenhues, und der nordrhein-westfälische Grünen-Landeschef Tim Achtermeyer legten dafür einen Zehn-Punkte-Plan mit teils recht drastischen Vorschlägen vor.

„Wenn wir unseren Wohlstand und unser gutes Leben sichern wollen, müssen wir neben dem aktiven Klimaschutz unsere Städte und unsere Natur widerstandsfähiger machen und für die Klimaveränderungen wappnen“, erklärten Gesenhues und Achtermeyer. „Dafür müssen wir jetzt noch entschlossener anpacken und wichtige Maßnahmen in Deutschland und in NRW zügig umsetzen.“ Sowohl im Bund als auch in NRW sind die Grünen Regierungsparteien.

Die beiden Politiker sehen ihren Plan mit Vorschlägen für Bundes- und Landesmaßnahmen, die nicht alle neu sind, als einen „Debattenbeitrag“. Er solle aufzeigen, „dass wir nur durch eine gemeinsame Kraftanstrengung von Land und Bund die Folgen der Klimakrise bewältigen können“.

Handel mit Flächenzertifikaten

Ein sinnvolles Instrument gegen den „Flächenfraß“, also gegen die beschleunigte Versiegelung von Flächen durch den Bau von Straßen und Häusern, kann nach Ansicht von Gesenhues und Achtermeyer der Flächenzertifikatehandel sein. Dabei bekämen Kommunen Zertifikate für den Bau auf Naturflächen zugeteilt. Ist der Flächenbedarf größer als die verfügbaren Zertifikate, kann die Kommune zusätzliche Zertifikate von anderen Kommunen kaufen, die weniger Fläche brauchen. Die Gesamtzahl der Zertifikate ist begrenzt und somit auch der Flächenverbrauch.

Schon 2020 hatte die Vorgängerregierung von CDU und FDP in NRW dieses Instrument vorgeschlagen. Ein Modellversuch des Umweltbundesamts zum Flächenzertifikatehandel kam vor wenigen Jahren zu einem positiven Ergebnis. Die schwarz-grüne Landesregierung will bisher als Hebel gegen den Flächenfraß den zulässigen Flächenverbrauch in NRW wieder auf fünf Hektar pro Tag begrenzen. Das sei ein „sehr großes Ziel“, sagt Achtermeyer. Die Flächenversiegelung müsse aber auch regional mehr gesteuert werden. „Es muss etwas passieren. Es werden immer mehr Flächen versiegelt, es ist kein Ende in Sicht.“ Ein Flächenzertifikatehandel müsste vom Bund beschlossen werden.

Bundesweit ist die Siedlungs- und Verkehrsfläche nach Angaben des Statistischen Bundesamts von 2018 bis 2021 im Schnitt um 55 Hektar pro Tag gewachsen. Zur Veranschaulichung: 55 Hektar entsprechen etwa der Größe von 77 Fußballfeldern. Ziel der Bundesregierung ist es, bis 2030 den Flächenverbrauch auf weniger als 30 Hektar pro Tag zu senken.

„Trinkwasser vor Golfplätze“

Diese These sei „zugegeben etwas zugespitzt“, räumt Achtermeyer ein. „Aber ich glaube, dass wir eine gesellschaftliche Debatte brauchen, wie wir mit Wasser eigentlich umgehen.“ Hitze und Dürren ließen die Trinkwasserreserven immer weiter schwinden. Deshalb müsse in Zukunft priorisiert werden. Dafür müssten Bund und Länder Leitlinien erarbeiten. Die Versorgung der Menschen mit Trinkwasser und der Schutz intakter Ökosysteme müssten immer Vorrang haben. „Wasserverschwendung und Luxusattitüden können wir uns schlicht nicht mehr leisten“, so Gesenhues und Achtermeyer. Golfplätze müssen gerade in Trockenzeiten intensiv bewässert werden, um grün zu bleiben.

Um Wasserknappheit in Trockenzeiten zu verhindern, schlagen die Grünen zudem ein landesweites Wasser-Monitoring vor. Bisher hätten die Behörden keinen vollständigen Überblick darüber, wer wie viel Wasser aus Flüssen oder dem Grundwasser entnehme. Das Wasserrecht müsse dafür grundlegend überarbeitet werden. „Wasser wird inzwischen mehr und mehr zu einer wirtschaftlichen Frage“, sagte Achtermeyer auch mit Blick darauf, dass sich Handelsketten vermehrt Mineralwasserquellen sicherten.

„Waldwende“ einleiten

Wälder in öffentlichem Besitz sollten nach Ansicht der Grünen-Politiker vermehrt aus der forstwirtschaftlichen Nutzung genommen werden. Monokulturen, Kahlschläge, Pestizide und der Einsatz von schweren Maschinen schwächten die natürlichen Abwehrkräfte des Waldes. Waldbesitzerinnen und -besitzern, die die Biodiversität ihrer Wälder erhalten wollten, sollten mit einer Prämie, Beratung und Investitionskostenzuschüssen unterstützt werden. Das Land habe hier Handlungsspielraum, sagte Achtermeyer. „Man muss nicht alles romantisieren. Wir haben wirklich knallharte Vorteile als Menschen, wenn wir den Wald einfach in Ruhe lassen.“

Auch der Umweltverband BUND hatte bereits eine „ökologische Waldwende“ gefordert. Dabei müsse mindestens ein Zehntel der Waldfläche als Naturwald ausgewiesen werden, in dem die Forstwirtschaft dann nicht mehr eingreifen dürfte.

Als weitere Klimamaßnahmen fordern die Grünen-Politiker unter anderem, Landwirten bei Nutzungseinschränkungen ihrer Flächen einen Ausgleich zu gewähren. Landwirtschaftliche Fläche solle in der Flächenplanung von Land und Kommunen nicht mehr gegenüber Gewerbegebieten und Neubausiedlungen benachteiligt werden. Zum besseren Schutz vor Starkregen sollten zudem Flüsse freigelegt und in einen naturnäheren Zustand versetzt werden. Zum Schutz bei Hitzewellen sollten in Städten mehr kostenlose Trinkwasserquellen geschaffen werden. „Wasser darf niemals zum Luxusgut werden.“

© dpa-infocom, dpa:230813-99-821411/3

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: