Umstrittene Studie zur Vogelgrippe:Alles halb so tödlich

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Aus Sorge, die Daten könnten Bioterroristen nutzen, wurden zwei Studien zu hochansteckenden Vogelgrippeviren lange nicht veröffentlicht. Jetzt ist auch die zweite Arbeit erschienen. Der Streit über das "Supervirus" geht weiter.

Katrin Blawat

Es ist der formale Schlussstrich unter eine Debatte, die seit Monaten für Angst und Unverständnis sorgt. Fast ein Dreivierteljahr lang haben Experten diskutiert, ob zwei Studien mit möglicherweise gefährlichen und hochansteckenden Vogelgrippeviren veröffentlicht werden dürfen.

Ron Fouchier erklärt seine Forschung zu H5N1

An diesem Freitag erscheint im Magazin Science der Fachartikel niederländischer Virologen, deren Versuche den Streit ausgelöst hatten ( Bd. 336, S. 1534, 2012). Die zweite, weniger umstrittene Studie hatte das Fachblatt Nature vor wenigen Wochen veröffentlicht.

Mit dem Ende der Geheimniskrämerei ist nun auch ein großer Teil der Brisanz der Angelegenheit verloren gegangen. Jetzt, da Daten und Details bekannt sind, erscheinen die Versuche des Rotterdamer Virologen Ron Fouchiers weniger neu und das in seinem Labor entstandene Virus weniger gefährlich, als es die Diskussionen vermuten ließen.

Das H5N1-Virus ist in der Natur vor allem für Vögel ansteckend. Säugetiere und damit auch der Mensch sind weniger gefährdet. Infizieren sich Letztere, kann es jedoch tödlich enden. Die Gruppe um Fouchier hatte den natürlichen Erreger so verändert, dass er auch zwischen Säugern übersprang. Als Versuchstiere nutzten die Wissenschaftler Frettchen, wie es in der Grippeforschung üblich ist.

Damit das Virus die Tiere leichter infizieren konnte, änderten die Forscher dessen genetischen Bauplan. Anschließend ließen sie den Erreger mehrmals zwischen den Frettchen hin und her wandern. Dabei veränderte sich das Virus, wie es bei jedem in der Natur grassierenden Erreger der Fall ist. Nur fünf Mutationen waren nötig, damit sich die Frettchen untereinander anstecken konnten. Die Viren übertrugen sich mit der Luft von Tier zu Tier.

Doch keines der auf diese Weise infizierten Frettchen ist gestorben. Vielmehr hätten sich die Versuchstiere schnell wieder erholt, betont Fouchier in seiner Studie mehrmals. Zu Beginn der Debatte war er mit der Aussage zitiert worden, die durch die Luft übertragenen Viren seien tödlich für die Frettchen. Eine solche Kombination aus hoher Letalität und hoher Ansteckungsrate hatte die Angst vor dem "künstlichen" Erreger befeuert.

Tatsächlich endeten Infektionen mit dem mutierten H5N1-Erreger nur dann tödlich, wenn die Viren den Tieren in hoher Konzentration direkt in Nase oder Rachen gesprüht wurden. Eine vergleichbare Situation komme aber in der Natur nicht vor, schreiben die Forscher.

Vollständig überzeugen lassen sich ihre Kritiker damit nicht. Die mutierten Viren könnten unabsichtlich aus den Laboren entweichen oder von Bioterroristen missbraucht werden, argumentieren Forscher um Barry Bloom von der Harvard School of Public Health in einem der Beiträge, die Sciencebegleitend zu der Studie veröffentlicht.

Ein Beratergremium der US-Regierung hatte aufgrund ähnlicher Bedenken zunächst empfohlen, Details der Studie geheim zu halten. Dies hatte viele Wissenschaftler empört, die um ihre Forschungsfreiheit fürchteten.

Nun sind die Daten unzensiert veröffentlicht - doch längst nicht alle entscheidenden Fragen beantwortet. "Die öffentliche Diskussion hat erhebliche Lücken in unserem Wissen über Influenza schmerzhaft deutlich gemacht", schreiben Anthony Fauci und Francis Collins von den Nationalen Gesundheitsinstituten.

Dazu gehört die Frage, was die an Frettchen gewonnenen Erkenntnisse für Menschen bedeuten. Wenig, meint der Influenzaforscher Jeffrey Taubenberger, der bekannt ist als jener Forscher, der das Erbgut des Erregers der Spanischen Grippe entziffert hatte. "Das Wissen um die Pathogenität und Übertragbarkeit der Viren in Frettchen hilft nicht, das Verhalten der Erreger in Menschen vorherzusagen."

Außerdem seien vor Fouchiers Arbeit zahlreiche Studien mit ähnlichen Experimenten veröffentlicht worden - ohne dass sich darüber jemand empört habe, schreibt der Virologe in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Nature.

Für Influenzaforscher wirkt der Streit um Fouchiers Studie nach. Ende Januar hatten sich die Wissenschaftler ein Moratorium auferlegt, das eigentlich nur 60 Tage dauern sollte, nun aber auf ungewisse Zeit fortbesteht. Erst wenn die Behörden entschieden haben, wie sie beim nächsten Problemfall reagieren, wollen die Wissenschaftler ihre Arbeit wieder aufnehmen.

© SZ vom 20.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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