Schon dem Bundeskanzler Helmut Schmidt war klar, dass die Atomkraft zwei Seiten hat. "Es geht nicht an, ökonomische und Versorgungsvorteile der Kernenergie in Anspruch zu nehmen", mahnte der SPD-Kanzler 1979 im Bundestag, "die Lasten dagegen auf den Nachbarn abwälzen zu wollen."
Seinerzeit ging es um die Einrichtung von Zwischenlagern von Atommüll, ein Endlager schien schon gefunden zu sein: Gorleben. "Aber bis zur Bereitstellung endgültiger Entsorgungsmöglichkeiten wird schon aus technischen Gründen noch eine Reihe von Jahren vergehen", sagte Schmidt. Wie recht er doch haben sollte.
Ziemlich genau 32 Jahre später werden an diesem Freitag die Vertreter der Länder im Bundesumweltministerium zusammentreffen, es geht immer noch um eben diese "endgültige Entsorgungsmöglichkeit".
Das Problem Atommüll ist so wenig gelöst wie damals, und selbst Gorleben steht in Frage. Akribisch arbeitet ein Untersuchungsausschuss das hemdsärmelige Verfahren auf, mit dem der Salzstock in den Siebzigern erwählt wurde, und auch Niedersachsen will erkennbar nicht mehr viel von dem Projekt wissen. Das Projekt Endlager geht zurück auf Start - gut 50 Jahre nach Beginn des Atomzeitalters in Deutschland.
Wie aber findet man einen geeigneten Ort, erst recht in Deutschland, wo schon eine Biogasanlage Stoff für erbitterten Widerstand bietet? Wo Bürger über mittlerweile zwei Generationen ein Projekt wie Gorleben bekämpfen, wo jeder Castor-Transport zum Politikum wird? Alle bisherigen Versuche scheiterten schon im Ansatz. So setzte die rot-grüne Bundesregierung zwar 1999 einen Arbeitskreis ein, der Kriterien für ein im Ergebnis offenes und in jeder Hinsicht transparentes Auswahlverfahren ersann.
Dabei aber blieb es. Sowohl die Stromkonzerne als auch die Union wollten alles vermeiden, was Gorleben hätte in Frage stellen können. Schließlich sind dort inzwischen rund 1,6 Milliarden Euro verbuddelt. Ein Endlagersuchgesetz des grünen Umweltministers Jürgen Trittin ging 2005 sang- und klanglos unter, ebenso ein Vorstoß seines Nachfolgers Sigmar Gabriel von der SPD. Der hatte 2006 Eckpunkte für ein Suchverfahren vorgelegt, fand aber keinen Konsens.
So wird Gorleben bis heute erkundet. Und die nächsten Proteste ziehen schon Ende des Monats herauf, wenn der nächste Castor-Transport rollt. Experten sehen trotzdem eine Chance, diesmal weiterzukommen.
Mit der Energiewende ist der Konflikt um die Atomkraft entschärft, die Union löst sich zusehends von der Fixierung auf Gorleben, und Länder wie Bayern und Baden-Württemberg, die lange jede neue Suche kategorisch ablehnten, zeigen sich nun offen dafür. "Entscheidend ist, dass wir beginnen, nüchtern über die wirklichen Herausforderungen zu debattieren", sagt Wolfram König, Chef des Bundesamts für Strahlenschutz, der obersten deutschen Endlagerbehörde. "Der Atomausstieg bietet dazu zumindest die Chance."
Tatsächlich geht es im ersten Schritt noch gar nicht um konkrete Standorte, sondern nur um ein Verfahren. So soll die Runde zunächst klären, in welchen Etappen sich ein Endlager finden lässt. Teilnehmen werden neben Bundesumweltminister Norbert Röttgen auch Niedersachsens Ministerpräsident David McAllister (beide CDU), sein baden-württembergischer Kollege Winfried Kretschmann (Grüne) sowie Umweltminister und Staatskanzlei-Chefs der übrigen Länder. Nach jetziger Planung werden sie eine Arbeitsgruppe bilden, um Vorbereitungen für ein entsprechendes Endlagergesetz zu treffen.
Vorarbeiten gibt es schon, etwa aus Baden-Württemberg. Dort hat der grüne Umweltminister Franz Untersteller kürzlich einen ersten groben Plan in die Debatte gebracht. So solle schon 2012 ein "Standortauswahlgesetz" verabschiedet werden, 2013 könnten vier potentielle Regionen ausgewählt werden, die dann näher untersucht würden - nach vorher festzulegenden Kriterien.
Dort wiederum würde an ein bis zwei Standorten auch unter Tage die Eignung geprüft werden; und schließlich würden sie untereinander und mit Gorleben verglichen. Jeder einzelne Verfahrensschritt müsste Bundestag und Bundesrat passieren; der eigentliche Bau würde dann irgendwann im nächsten Jahrzehnt beginnen.
Immerhin herrscht nach Jahrzehnten des Streits kein Mangel an Studien: Zu den Vor- und Nachteilen einzelner Wirtsgesteine, zu den Anforderungen an ein Endlager, zu verschiedenen Arten der Einlagerung. Ob sich die Bevölkerung am finalen Endlagerstandort aber davon wird überzeugen lassen, bleibt ein Experiment mit offenem Ausgang. Zumal sich vor das hehre Ziel einer offenen Standortsuche schon wieder politische Interessen schieben: So plädiert die niedersächsische Landesregierung auffällig oft dafür, auch oberirdische Lösungen in Betracht zu ziehen.
Das Kalkül ist klar: Bleibt es bei dem Ziel, den Atommüll möglichst tief zu vergraben, zählt Niedersachsen zu den Favoriten. Nirgends gibt es mehr geeignetes Gestein als hier. Oberirdisch dagegen geht überall - so umstritten diese Form der Lagerung auch ist.
Dennoch: Der Zeitpunkt für die Debatte scheint günstig zu sein wie nie. Einerseits fällt noch neuer Atommüll an, andererseits sind die Mengen durch den Ausstieg begrenzt. "Wir haben nur ein kleines Zeitfenster, um dieses Problem zu lösen", sagt Strahlenschützer König. Wenn aber der letzte Reaktor irgendwann abgeschaltet sei, "dann entsteht der Eindruck, auch die Probleme der Kernenergienutzung seien Geschichte."