Wie steht es eigentlich um die Work-Life-Balance gewöhnlicher Kleinkrimineller? Bestimmt stehen nicht nur ehrliche Menschen, sondern auch die Mitglieder dieser besonderen Personengruppe unter Stress sowie Leistungsdruck und fürchten den Burn-out. Ständig plagt sie die Angst, erkannt und erwischt zu werden. Daher an dieser Stelle ein kleiner Tipp für Räuber in Zeitnot: Falls Ruhe und Muße für eine aufwendige Maskierung fehlen, dann tut es zur Not auch eine dunkle Sonnenbrille.
Ja, vielleicht sollte man nicht so mitfühlend über Verbrecher schreiben, weil die natürlich böse sind. Aber was den Tipp angeht, der steht: Gerade haben Wissenschaftler um Thomas Nyman von der New York University in Shanghai im Fachjournal Psychology, Crime & Law eine große Studie publiziert, für die sie Faktoren untersucht haben, die die Genauigkeit von Augenzeugenberichten beeinflussen. Eines der Ergebnisse: Alleine eine dunkle Sonnenbrille erschwert eine Wiedererkennung unter Umständen ganz erheblich.
Die Wissenschaftler konfrontierten 1325 Probanden im Alter von fünf bis 90 Jahren mit Personen in verschiedenen Entfernungen, unter variierenden Lichtverhältnissen und in unterschiedlichen Maskierungen. Die Delinquentendarsteller befanden sich entweder in fünf, 12,5 oder 20 Meter Entfernung von den Teilnehmern der Studie. Mal waren die Lichtverhältnisse gut, mal war es dunkel. Teilweise waren die Personen unmaskiert, teilweise trugen sie die Kapuze eines Pullis über den Kopf, eine Sonnenbrille oder auch beides. Dann standen sie da für 20 Sekunden, in denen sie den Kopf für je fünf Sekunden nach links und dann nach rechts wendeten. Es gab also ausreichend Zeit, um sie genau zu betrachten, was im wahren Leben selten der Fall sein dürfte. Anschließend mussten die Teilnehmer der Studie die Pseudokriminellen auf einem Tablet in einer virtuellen Gegenüberstellung unter mehreren anderen Personen identifizieren.
Die Augenpartie ist für das Wiedererkennen offenbar wichtiger als Frisur und Kopfform
Hatten die zu identifizierenden Personen ohne Maskierung in nur fünf Meter Entfernung vor den Teilnehmern gestanden, lag die Quote der korrekten Identifizierung ziemlich hoch. In 69 Prozent der Fälle tippten die Teilnehmer in den Gegenüberstellungen auf die korrekte Figur. Das Ergebnis war auch abhängig vom Alter der Teilnehmer: Kinder und Senioren waren weniger treffsicher, die höchste Erfolgsquote hatten die 18- bis 44-Jährigen: Ihr Urteil war unter den oben beschriebenen Bedingungen in 96 Prozent der Fälle korrekt. Mit Sonnenbrille lag die Trefferquote insgesamt allerdings deutlich unter 50 Prozent.
Wenig überraschend sank die Erfolgsquote mit der Entfernung, in der die Personen den Probanden gegenübergestanden hatten. Und natürlich erschwerten auch schlechte Lichtverhältnisse und etwas Maskierung die spätere Identifizierung. Alle drei kombiniert sank die Erfolgsquote bei der Gegenüberstellung ins Reich des Zufalls - die Probanden rieten nur mehr.
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Dass Sonnenbrillen zur Maskierung relativ effektiv sind, liegt wohl daran, dass sie interne Charakteristika des Gesichtes verbergen, wie die Autoren das nennen. Das sind Augen, Nase und Mund - wobei der letztgenannte von Brillen natürlich nicht verdeckt wird. Diese Charakteristika spielen für die menschliche Gesichtswahrnehmung offenbar eine wichtigere Rolle als die Frisur oder der durch eine Kapuze zu verdeckende Umriss des Kopfes. Das haben auch schon andere Studien gezeigt, so die Wissenschaftler; jedoch gebe es hier eine gewisse methodische Unsicherheit: In Gegenüberstellungen werden meist Personen präsentiert, die sich ähneln, also zum Beispiel die gleiche Haarfarbe oder Frisur haben. Die Nase, der Mund und die Augenpartie wären schon deshalb wesentliche Kriterien, um Personen voneinander zu unterscheiden.
Wer also nicht wiedererkannt werden will, warum auch immer, der setze eine Sonnenbrille auf. Damit ist schon viel erreicht. Ansonsten gilt, was auch die Forscher um Nyman erwähnen: So oder so, Augenzeugenberichte bleiben stets verblüffend unzuverlässig.