Satellit "Aeolus":Die Vermessung der Winde

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Aeolus ist nach dem griechischen Gott der Winde, Aiolos, benannt. (Foto: Esa)
  • Der Esa-Satellit Aeolus soll ein Windprofil der Erdatmosphäre erstellen - rund um die Uhr und rund um den Globus.
  • Aeolus soll eine Lücke in der Klimaforschung schließen: Winde sind die Basis für Wetter und Klima, lassen sich bislang aber nur ungenau messen.
  • Der Start des Satelliten ist für Dienstagabend geplant.

Von Alexander Stirn

Kein Lüftchen weht dort, wo Europas neuester Windmesser zum Einsatz kommen soll. Und doch wird das fast 500 Millionen Euro teure Gerät die weltweiten Winde mit einer Akribie vermessen wie kein Instrument zuvor. Ein Widerspruch? Nicht für Aeolus , wie der ungewöhnliche Windmesser heißt. Denn er schwebt über den Dingen, mehr als 300 Kilometer hoch, in einer Umlaufbahn um die Erde.

Aeolus, benannt nach dem griechischen Gott der Winde, ist der neueste Satellit der Europäischen Raumfahrtagentur Esa. Beinahe zwei Jahrzehnte lang haben Ingenieure an dem Koloss geschraubt. Fast sind sie dabei verzweifelt. Am morgigen Dienstagabend soll Aeolus nun endlich mit einer europäischen Vega-Rakete an seinen Bestimmungsort gebracht werden. Klappt alles wie geplant, dann wird der Satellit von dort aus drei Jahre lang alle 40 Sekunden ein Windprofil der Erdatmosphäre erstellen - rund um die Uhr und rund um den Globus.

Meteorologen und Klimaforscher warten seit Langem auf solche Daten, denn Wind ist mehr als die erfrischende Brise an heißen Sommertagen oder der verheerende Sturm im Herbst. Winde sind die Basis fürs Wetter und fürs Klima. "Um das Wetter zu verstehen, müssen wir zuallererst den Wind kennen, denn er verbindet Temperatur, Druck und viele andere wichtige Komponenten", sagt Anne Grete Straume, die leitende Wissenschaftlerin der Aeolus-Mission. Bislang ist die Vermessung des Winds nur Stückwerk. Herkömmliche Satelliten können allenfalls die Bewegung der Wolken sowie der Wellen auf den Ozeanen analysieren und daraus Rückschlüsse auf die Winde ziehen. Verkehrsflugzeuge sind zwar serienmäßig mit Windmessern ausgestattet, liefern aber hauptsächlich Daten aus Reiseflughöhe.

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Die wichtigsten Werte kommen daher von Wetterballons. Mehrmals am Tag werden sie von Bodenstationen gestartet und sammeln dann auf ihrem Weg durch die Atmosphäre Daten aus unterschiedlichen Höhen. Die Ballonflüge sind allerdings sehr ungleich über den Globus verteilt. Ozeane werden von ihnen kaum abgedeckt, genauso wenig klassische Wetterküchen wie Afrika oder die Polarregionen. "Um die Wettermodelle zu unterstützen und die Vorhersagen zu verbessern, brauchen wir daher deutlich mehr Beobachtungen", sagt Straume. Genau diese Lücke soll Aeolus schließen.

Schon nach drei Stunden können Meteorologen die Daten für ihre Prognosen verwenden

Der Satellit, der 320 Kilometer hoch über dem Boden kreist, feuert dazu 50-mal in der Sekunde einen starken Laserpuls auf die Erde ab. Das ultraviolette, fürs menschliche Auge unsichtbare Licht wird an den Molekülen und Staubteilchen der Luft gestreut, wodurch ein winziger Bruchteil der Strahlung zurück zum Satelliten reflektiert wird. Der fängt das Licht mit einem eineinhalb Meter großen Teleskop auf und analysiert umgehend die Wellenlänge - unwissenschaftlich ausgedrückt: die Farbe. Denn je nachdem, ob sich das vom Laser getroffene Teilchen von Aeolus entfernte oder auf den Satelliten zubewegte, ist die Wellenlänge des Lichts gestreckt oder gestaucht worden.

Aus dem Ausmaß dieses sogenannten Dopplereffekts lässt sich das Tempo der Luftteilchen bestimmen - und dadurch die Windgeschwindigkeit. Es ist das gleiche Prinzip, das auch bei den Laserpistolen zum Einsatz kommt, mit denen Ordnungshüter die Geschwindigkeit im Straßenverkehr kontrollieren. Da die Laufzeit des Laserpulses zudem Aufschluss über die Entfernung der Luftteilchen gibt - und damit über ihre Position in der Atmosphäre -, kann Aeolus dreidimensionale Windprofile erstellen. Sie reichen von der Erdoberfläche bis in eine Höhe von 30 Kilometern. Bereits drei Stunden nach der Aufnahme sollen die Winddaten, 100 Profile pro Stunde, künftig Meteorologen für deren Wettermodelle zur Verfügung stehen. Auch Klimaforscher können sich der Messwerte bedienen, um ihre Simulationen und Prognosen zu verfeinern.

So zumindest die Theorie. Die allerdings wird seit fast 20 Jahren bemüht: Bereits Ende des vergangenen Jahrtausends entwickelten Esa-Ingenieure die Idee für Aeolus. Im Jahr 2003 wurde schließlich der Raumfahrtkonzern Airbus Defence and Space mit dem Bau des Satelliten betraut. Geplanter Starttermin: 2007. Nun wird es August 2018. "Wir hatten viele, viele Probleme, und jedes Mal, wenn wir eines gelöst hatten, stießen wir umgehend auf die nächste Hürde", sagt Martin Kaspers, zuständig für die Qualitätssicherung bei Aeolus. "Ein ums andere Mal standen wir sogar kurz davor, das Projekt abzubrechen."

Den größten Ärger machte dabei der Hochleistungslaser, erdacht vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt und gebaut von der italienischen Firma Selex Galileo. Trifft sein energiereiches Licht auf Spiegel oder Linsen, erhitzt es die Oberflächen schlagartig auf 1700 Grad Celsius - und das 50-mal in der Sekunde. Keine konventionelle Beschichtung hält solch ein Bombardement lange durch. Zudem setzen die einzelnen Bauteile des Satelliten im Vakuum unweigerlich organische Verbindungen frei; sie gasen aus. Trifft der Laser auf solche Stoffe, verbrennt er sie umgehend. Ruß bleibt zurück.

Der 480 Millionen Euro teure Satellit wird nur etwa drei Jahre lang durchhalten

"Bei unserem ersten Test im Vakuum hatten wir bereits nach sechs Minuten nur noch eine Leistung von 50 Prozent", erinnert sich Projektmanager Anders Elfving. Nach vielen Tests wurde schließlich die passende Beschichtung gefunden. Eine regelmäßige Sauerstoffdusche, gespeist aus zwei Tanks an der Unterseite des Satelliten, soll zudem die Verunreinigungen gezielt vernichten. All das hat allerdings Zeit verschlungen, und es war teuer: Gut 480 Millionen Euro wird Aeolus wohl letztlich kosten - 60 Prozent mehr als zunächst geplant.

Trotzdem wird der beim Start knapp 1400 Kilogramm schwere Satellit nur etwa drei Jahre lang durchhalten. Schuld ist die Atmosphäre: In einer Flughöhe von 320 Kilometern, die für die Lasermessung benötigt wird, sind die Ausläufer der irdischen Gashülle noch immer so dicht, dass Aeolus abgebremst wird. Seine Bahn muss regelmäßig angehoben werden. Irgendwann ist der dafür nötige Sprit allerdings aufgebraucht. Vergebens soll all die Mühe der vergangenen Jahrzehnte trotzdem nicht gewesen sein: Die Esa-Ingenieure hoffen, dass ihre Erfahrungen vom Bau und vom künftigen Betrieb des Satelliten alsbald in einen neuen hoch fliegenden Windmesser münden. Bis der fertig ist, soll es dann auch keine 20 Jahre mehr dauern.

© SZ vom 20.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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