Ostsee:Die Robben sind zurück

Ostsee: Eines der ersten Kegelrobben-Jungtiere in der Ostsee wurde vergangenen April auf der Greifswalder Oie, einer Insel vor Rügen, gefunden.

Eines der ersten Kegelrobben-Jungtiere in der Ostsee wurde vergangenen April auf der Greifswalder Oie, einer Insel vor Rügen, gefunden.

(Foto: Stella Klasan/Verein Jordsand)
  • Seit 2000 werden immer wieder Kegelrobben in der deutschen Ostsee gesichtet. Mittlerweile ist klar: Die Tiere schauen nicht nur vorbei, sondern siedeln sich hier wieder an.
  • Tierschützer und Touristen sind begeistert.
  • Küstenfischer aber klagen, weil die Robben Netze beschädigen.

Von Thomas Hahn

Der Anruf, der vieles veränderte, erreichte das Deutsche Meeresmuseum in Stralsund am Morgen eines kalten Spätwintertages über die Tierfund-Hotline. Es ist eigentlich nicht die Aufgabe der Meeresbiologin und Robbenforscherin Linda Westphal, solchen Anrufen nachzugehen. Aber als der Kollege sagte, jemand habe ein totes Kegelrobben-Jungtier am Kap Arkona gesehen, war sie sofort aufmerksam. Wenig später stieg sie die Veilchentreppe an der Rügener Steilküste hinunter. Tatsächlich: Wenige Meter hinter dem Fuß der Treppe lag das Tier.

Das weiße Fell hatte diesen Gelbstich, der typisch ist für neugeborene Kegelrobben. Die Nabelschnur war frisch, Blut tränkte den Sand. Das Meer war ruhig, zwischen Tier und Strand lagen große Steine. Es konnte nicht angespült worden sein. Linda Westphal wusste, was das bedeutete. Es war der 8. März 2018, und alles wies darauf hin, dass dieser Fund der erste Nachweis einer Kegelrobbengeburt an der deutschen Ostseeküste seit mehr als 100 Jahren war.

Die Tiere können im Schwimmen schlafen

Es waren noch einige Untersuchungen und Beratungen nötig, ehe Linda Westphal und andere Experten sicher sagen konnten, dass dieses kleine tote Kegelrobbenmännchen tatsächlich ein Kind der vorpommerschen Fauna ist. Aber mittlerweile hat sich die Erkenntnis gesetzt: Die Kegelrobbe ist zurück in der deutschen Ostsee, und zwar nicht nur als Gast, der aus anderen Regionen herangeschwommen kommt, sondern als einheimische Tierart.

Das Frühjahr brachte weitere Funde. Im April wurde ein zweites Kegelrobben-Junges in Heringsdorf auf Usedom gesichtet. Wenige Tage später bekam Linda Westphal den nächsten spektakulären Anruf. Sie hatte gerade eine Rekordentdeckung im Osten des Greifswalder Boddens gemacht: Über 200 Kegelrobben lagen zur Laichzeit des Herings auf dem Riff Großer Stubber. "Ich dachte, an dem Tag kann ich nicht noch mehr vom Hocker gehauen werden." Dann meldete sich der Naturschutzverein Jordsand: Weiße, lebendige Kegelrobbe auf der Greifswalder Oie.

Es ist ein Unterschied, ob eine bedrohte Tierart wie die Kegelrobbe nur regelmäßig vorbeischaut in einer Region oder ob sie sich dort auch fortpflanzt. Wenn der Nachweis da ist, dass eine Tierart heimisch ist, ist der Druck auf die örtliche Politik größer, sie nach der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der EU zu schützen. "Das bedeutet, das Land Mecklenburg-Vorpommern müsste jetzt vermehrt Maßnahmen ergreifen, um den Zustand dieser Population zu verbessern", sagt Henning von Nordheim, Leiter der Abteilung Meeresnaturschutz im Bundesamt für Naturschutz (BfN). Nordheims Arbeitsplatz ist seit 1992 die BfN-Außenstelle Insel Vilm vor der Südküste Rügens. Das Schicksal der Kegelrobben hat ihn dort immer besonders interessiert.

Als deutscher Vertreter in den Meeresschutz-Gremien der Ostsee-Anrainerstaaten hat er einst strenge Schutzregeln mitentwickelt, sodass sich der Bestand im Baltischen Meer von 5000 auf heute 30 000 Tiere erholen konnte; Verbote von Umweltgiften wie PCB oder DDT und von allgemeinen Jagdaktivitäten waren dabei wichtige Faktoren. Ab 2000 kamen Kegelrobben auch wieder in die deutsche Ostsee. Möglicherweise gab es auch Geburten, aber der Nachweis fehlte. Bis zum 8. März 2018. "25 Jahre lang habe ich auf diesen Zeitpunkt gewartet", sagt Henning von Nordheim.

Andere hätten auf den Zeitpunkt verzichten können, denn die Kegelrobbe hat nicht nur Freunde. Sie steht wie ein Symbol für das widersprüchliche Verhältnis des Menschen zum Wildtier. Einerseits will er es bestaunen als exotischen Zeugen einer intakten Natur. Andererseits soll es nicht in seine Jagdgründe eingreifen.

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