Raumfahrt:Trümmerteile eines russischen Satelliten gefährden die ISS

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Russland räumt ein, einen eigenen Satelliten abgeschossen zu haben. Die Trümmerteile hatten zur vorübergehenden Evakuierung der Raumstation ISS geführt. Nasa und Esa üben heftige Kritik.

Von Marlene Weiß

Es ist ein eher unangenehmes Erwachen, wenn man in einer eben erst bezogenen Unterkunft frühmorgens aus dem Schlaf gerissen wird, weil man sich vor umherfliegenden Trümmern in Sicherheit bringen soll. Aber so ähnlich dürfte es dem neuen deutschen Astronauten Matthias Maurer und seinen Kollegen am Montag ergangen sein, die erst vor wenigen Tagen an der Internationalen Raumstation ISS angekommen waren: Die gesamte Besatzung wurde von der Flugsicherung geweckt, weil Satellitentrümmer auf Kollisionskurs mit der Raumstation waren. Die Astronauten wurden angewiesen, die Luken zu mehreren "radialen" Modulen zu schließen, die seitlich von der ISS abgehen, etwa zum europäischen Forschungsmodul Columbus oder zum japanischen Modul Kibo. Die Verbindung zwischen dem US-Segment und dem russischen Segment der ISS sei offen geblieben, teilte die Nasa mit.

Später wurde eine weitere Sicherheitsvorkehrung umgesetzt: Für zwei Stunden sollten sich alle Astronauten in ihre Raumschiffe begeben, um im Falle einer Beschädigung der Raumstation zurück zur Erde fliegen zu können. Die ISS trifft zwar etwa alle 90 Minuten auf die Trümmerwolke, aber nur das zweite und dritte Treffen wurden von den Weltraumschrott-Spezialisten der Nasa als so riskant eingeschätzt, dass sie in den Kapseln abgewartet werden sollten.

Die Trümmer sind ein erhebliches Risiko für die ISS und für die Satelliten mehrerer Länder

Letztlich ist alles gut gegangen. Doch der Zwischenfall verursacht weiter große Aufregung. Schnell waren Raumfahrtexperten und US-Regierungsvertreter zum Schluss gekommen, dass die bedrohlichen Teile Trümmer eines Satelliten waren, den Russland in einem Test gezielt abgeschossen hatte. Mit einiger Verspätung hat Moskau das am Dienstag schließlich eingeräumt: Der ausgediente Flugkörper Zelina-D sei getroffen worden.

US-Außenminister Antony Blinken hatte "Russlands rücksichtslosen Test" umgehend verurteilt, ebenso wie Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Auch Nasa-Chef Bill Nelson zeigte sich empört: Es handle sich um eine unverantwortliche und destabilisierende Handlung. Es sei undenkbar, dass Russland mit seiner langen Geschichte in der bemannten Raumfahrt nicht nur die Partnerastronauten aus den USA und anderen Ländern, sondern auch seine eigenen Kosmonauten sowie die Taikonauten an Bord der chinesischen Raumstation gefährde. Auch Vertreter der europäischen Raumfahrtbehörde Esa sind irritiert: "Solche Tests in großen Höhen sind sehr belastend für die Raumfahrt", sagte am Dienstag Holger Krag, Leiter des Esa-Weltraum-Sicherheitsprogramms. Idealerweise mache man sie gar nicht - und wenn doch, dann in niedriger Höhe. Denn je höher das Zielobjekt, desto länger blieben Fragmente im All.

Das russische Verteidigungsministerium jedoch weist alle Kritik zurück: Die Trümmerteile stellten keine Bedrohung dar. Den Vorwurf, Moskau gefährde die friedliche Nutzung des Weltraums, nannte Russlands Außenminister Sergej Lawrow "Heuchelei". Es gebe dafür keinerlei Belege. Stattdessen treibe das Pentagon selbst "auf aktivste Art und Weise" ein Wettrüsten im All voran, kritisierte Lawrow - etwa durch Tests von Angriffswaffen.

Das Weltraumkommando der US-Streitkräfte teilte mit, der Test vom Montag habe bislang mehr als 1500 nachverfolgbare Trümmerteile in der erdnahen Umlaufbahn produziert. Vermutlich würden diese letztlich in Hunderttausende kleinere Trümmer zerfallen und "über Jahre und möglicherweise Jahrzehnte in der Umlaufbahn verbleiben". Dies bedeute "ein erhebliches Risiko für die Besatzung der Internationalen Raumstation und andere bemannte Raumfahrtaktivitäten sowie für die Satelliten mehrerer Länder".

Es ist laut einem Bericht der Washington Post das erste Mal, dass Russland mit einer von der Erde aus gestarteten Rakete einen Satelliten getroffen hat. Andere Länder haben jedoch bereits ähnliche Fähigkeiten demonstriert: Ein Anti-Satelliten-Test Chinas im Jahr 2007 produzierte rund 3000 Trümmerteile, die noch heute ein Risiko für die Raumfahrt darstellen. 2008 zerstörte die US-Navy von einem Schiff aus mit einer Rakete einen außer Kontrolle geratenen Satelliten. Auch Indien hatte 2019 erfolgreich einen Satelliten-Abschuss getestet. Der Test sollte Trümmerteile minimieren, einige gerieten dennoch in die ISS-Flugbahn, wofür die Nasa Indien heftig kritisierte.

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