Raumfahrt:"Ich war naiv"

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Johann-Dietrich Wörner hat seit 2007 bei der Raumfahrtagentur Esa gearbeitet. (Foto: Judith White/imago images/ZUMA Press)

Ende Februar musste Johann-Dietrich Wörner, Chef der Raumfahrtagentur Esa, seinen Posten vorzeitig räumen. Im Interview spricht er über eigene Fehler und was nach seinem Weggang unerledigt bleibt.

Interview von Alexander Stirn

SZ: Professor Wörner, als Sie 2015 Generaldirektor der Esa wurden, war eines Ihrer Ziele, die Organisation europäischer zu machen, offener, weniger geprägt von nationalen Egoismen. Sind Sie gescheitert?

Johann-Dietrich Wörner: Ich war naiv. Nur ein Beispiel: Bei der ersten Sitzung als gewählter Generaldirektor präsentierte ich den Vertretern der Mitgliedsstaaten meine Vorstellung vom künftigen Zuschnitt der Esa-Direktorate - mit nur noch fünf statt wie zuvor zehn Direktoren. Stärkere Zusammenarbeit der verschiedenen Bereiche, das war meine Überlegung.

Die Esa-Staaten waren davon nicht begeistert?

Mir wurde klar gesagt: Geh mal schön nach Hause und komm dann mit einem neuen Vorschlag zurück. Wir mögen unsere zehn Direktoren.

Und, haben Sie Ihre Hausaufgaben gemacht?

Ich bin wiedergekommen und habe nur noch drei Direktoren vorgeschlagen. Man könnte das als eine Provokation sehen, aber dahinter steckte ein ernsthaftes organisatorisches Konzept.

Noch immer hat die Esa zehn Direktoren, für Wissenschaft und Erdbeobachtung, für Technologie und Trägerraketen, für ...

Ich habe all diese nationalen Überlegungen vollkommen unterschätzt. Diese Frage: Haben wir einen Direktor aus unserem Land oder gar einen Generaldirektor? Dabei hätte ich es eigentlich besser wissen müssen. Bereits vier Jahre vor meiner Wahl, 2010, war ich als Esa-Chef im Gespräch. Meine Position damals: Die Nationalität ist völlig egal, es muss jemand sein, der die Esa voranbringen will. Dafür habe ich aus Deutschland heftige Kritik kassiert. Es hieß: Selbstverständlich müsse es ein Deutscher werden ...

Es blieb dann der Franzose Jean-Jacques Dordain, für weitere vier Jahre.

Ja. Das nationale Spiel habe ich nie genug gespielt, während all meiner Zeit bei der Esa. Das war vielleicht einer meiner größten Fehler, aber es war ein Fehler aus Überzeugung. Und ist das dann überhaupt ein Fehler?

Die Amtszeit eines Generaldirektors kann mehrfach verlängert werden. Sie werden nun nach sechs Jahren vor die Tür gesetzt - insbesondere, so hört man, auf Betreiben von Frankreich, das sich durch einen Wechsel an der Spitze stärkeren Einfluss bei der Esa verspricht. Hätten Sie sich mehr Unterstützung aus Deutschland gewünscht?

Unterstützung klingt so, als hätte mir jemand helfen müssen. Das ist nicht der Punkt. Ich hätte mir aber ein entspannteres Miteinander gewünscht, eine gemeinsame Suche nach Lösungen. Stattdessen hieß es mitunter: Man erwarte von einem deutschen Generaldirektor doch bitte schön, dass er auch die deutschen Interessen vertrete. Im konkreten Fall der Position Frankreichs, die vom Präsidenten der französischen Raumfahrtagentur aus persönlichem Interesse an dem Amt betrieben wurde, hatte ich mir eine stärkere Unterstützung von Deutschland aber durchaus erhofft.

Seit Langem hat die Esa einen Ruf als Haifischbecken. Warum haben Sie sich den Job trotzdem angetan?

Esa-Generaldirektor ist - zumindest auf dem Papier - ein starker Posten. Man glaubt, wirklich Dinge bewegen zu können. Das reizt, keine Frage. Sie können dies als Eitelkeit abtun, aber vielleicht auch als Wille, etwas zu verändern, etwas für Europa zu tun. Das klingt jetzt sehr hochtrabend, aber solche Gedanken sind für mich ausschlaggebend gewesen.

Und ist das gelungen? Wo steht die Esa nach sechs Jahren mit Johann-Dietrich Wörner?

Die Esa ist aus meiner Sicht offener geworden. Sie hat verstanden, dass Themen wie Kommerzialisierung, gesellschaftliche Akzeptanz, Internationalisierung wichtiger geworden sind. Daher steht die Esa gut da. Sie ist gleichzeitig aber auch in einer schwierigen Situation.

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Inwiefern?

Die Europäische Union positioniert sich immer stärker in der Raumfahrt. Die Frage, wie es künftig mit Esa und EU weitergehen wird, ist daher alles andere als klar. Persönlich fände ich ein kooperatives Nebeneinander das Beste. Stattdessen geht es bis hin zu Überlegungen, Europas Raumfahrtaktivitäten vollständig unter der EU zusammenzuführen, was die Esa zu einer Art Technologieabteilung der EU degradieren könnte, ohne eigene Entscheidungsbefugnis. Der Ansatz der Esa, für alle Mitgliedsländer gleichzeitig Raumfahrt voranzubringen, ginge dabei vermutlich verloren. Die Esa hat Ende 2019 bei der Konferenz der Esa-Minister so viel Geld wie noch nie für ihre Programme bekommen. Das würden die Staaten nicht machen, wenn sie der Esa nicht vertrauen würden.

14,3 Milliarden Euro wollten Sie damals für die kommenden drei bis fünf Jahre, bekommen haben Sie sogar 14,5 Milliarden. Wäre das nicht der richtige Zeitpunkt gewesen, um für Ihren Job zu kämpfen?

Zu dem Zeitpunkt war hinter den Kulissen längst entschieden, dass mein Vertrag nicht über 2021 hinaus verlängert werden würde. Übrigens bekam ich auch zu hören, ich hätte doch 16 oder 17 Milliarden Euro fordern müssen. Aber so bin ich eben nicht: Ich schlage nur das vor, was ich - nach all den Beratungen im Vorfeld - für sinnvoll erachte.

Was waren, neben der Ministerratskonferenz, Ihre größten Erfolge als Esa-Chef?

Da bin ich ganz vorsichtig, weil es nicht meine Erfolge sind, sondern die Erfolge der Esa, der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen und der Mitgliedsstaaten. Außerdem: Wenn ich einzelne Projekte herausgreife, dann fühlen sich andere schlecht.

Was aber auf jeden Fall bleiben wird, ist Ihre Idee des "Moon Village"...

...von dem viele zunächst dachten, ich wolle eine Siedlung auf dem Mond errichten oder dort sogar Bürgermeister werden. Dabei war das nie gedacht. Die Idee besteht vielmehr darin, dass möglichst viele Partner abgestimmt zum Mond fliegen, dass alle ihre Interessen bündeln, dass jeder seine Stärken einbringt, und dass man dieses Mal dauerhaft vor Ort bleibt.

Mit dem US-Artemis-Programm, das in einigen Jahren Mondflüge mit internationalen Partnern vorsieht, könnte es genau so kommen.

Ja, das Moon Village ist keine Utopie mehr, es ist bereits Realität. Wir werden erleben, da bin ich ganz sicher, dass innerhalb dieses Jahrzehnts die verschiedenen Akteure zum Mond fliegen werden, die Aktivitäten sind zum großen Teil bereits abgestimmt. Fantastisch. Ich hätte nie geglaubt, dass meine Vision solch ein Ergebnis haben würde.

Sie waren selbst skeptisch?

Skeptisch wäre zu viel gesagt. Aber ich habe in der Tat immer wieder zu hören bekommen: "Der Mond ist ein toter Stein. Da ist nichts los. Lass uns woanders hinfliegen." Doch dann hat sich irgendwie alles ergeben: Es wurde Wasser auf dem Mond entdeckt, es kam mehr Begeisterung auf. Die Amerikaner wollten plötzlich "Back to the Moon", zurück zum Mond. Ich meinte dann: Lasst uns besser sagen "vorwärts zum Mond", und lasst uns nicht nur die Vergangenheit wiederholen.

Und was ist schlecht gelaufen in den vergangenen Jahren?

Einiges. Zum Beispiel die Trägerrakete Ariane 6, die nun erst 2022 starten wird und nicht wie geplant 2020, das tut weh. Oder unsere Exomars-Mission, die mehrfach verschoben werden musste - vom Jahr 2018 zunächst auf 2020 und nun auf 2022. Das hat massiv wehgetan. Und natürlich, dass unsere Sonde Schiaparelli auf dem Mars zerschellt ist.

Stichwort Ariane 6 : Deren Verträge haben Sie damals noch als Chef der deutschen Esa-Delegation ausgehandelt und genau das gemacht, was Sie heute kritisieren: Sie haben die nationale Karte gespielt, Sie haben einen Teil der Fertigung bewusst nach Deutschland geholt. Rückblickend ein Fehler?

Das war einfach eines dieser typischen Geschäfte. Das finde ich nicht schön. Aber auch Dinge, die ich nicht schön finde, werden gemacht. Es gibt auch sehr positive Beispiele: Nehmen Sie die Internationale Raumstation. Bei der ISS hat sich die Zahl der beteiligten Mitgliedsländer permanent erhöht. Da zeigt sich, dass dieses Gemeinsame doch seinen Wert hat und dass die Länder dies auch so sehen.

Was bleibt nach Ihrem Weggang unerledigt?

Es bleibt leider sehr vieles offen, das macht mich wirklich traurig. Da ist allem voran natürlich die Sache mit den Trägerraketen. Hier brauchen wir einen offeneren Wettbewerb, bei dem die Politik lediglich ihre Ansprüche und Abnahmegarantien definiert, der Industrie ansonsten deutlich weniger hineinredet. Das wäre für mich ein ganz wichtiger Punkt. Ich könnte jetzt allerdings in jedem Bereich ein paar Themen nennen, die vorangebracht werden müssten. Insofern gehe ich auch mit einem weinenden Auge. Aber das ist jetzt so, das ist Geschichte.

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