Psychologie:Meld dich doch mal

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Soll ich schreiben, oder lieber nicht? Die Wissenschaft sagt: im Zweifel ja. (Foto: Cavan Images via www.imago-images.de/imago images/Cavan Images)

Menschen unterschätzen häufig, wie sehr sich alte Freunde über eine unverhoffte Nachricht freuen oder wie interessiert Fremde an persönlichen Gesprächen sind. Warum fällt es so schwer, auf andere zuzugehen?

Von Nina Kammleiter

Die Unart, völlig überraschend und ohne Erklärung den Kontakt zu einem Freund abzubrechen, hat im digitalen Zeitalter sogar eine eigene Bezeichnung: Ghosting. Aber was ist mit dem Gegenteil, wenn man völlig überraschend, ohne konkretes Anliegen wieder mit alten Freunden in Kontakt tritt? Eine aktuelle Studie im Journal of Personality and Social Psychology zeigt, dass das ruhig häufiger passieren könnte: Die meisten Menschen freuen sich demnach viel mehr über eine unverhoffte Kontaktaufnahme, als es der Absender der Nachricht erwartet.

"Der Mensch ist grundsätzlich ein soziales Wesen und genießt es, mit anderen in Kontakt zu treten", sagt Leitautorin Peggy Liu von der University of Pittsburgh. "Es gibt viele Forschungsergebnisse, die zeigen, dass die Pflege sozialer Beziehungen gut für unsere geistige und körperliche Gesundheit ist." Doch die Untersuchungen des Teams deuten darauf hin, dass die Menschen meist deutlich unterschätzen, wie sehr andere es zu schätzen wissen, wenn man auf sie zugeht.

Für die Studie kontaktierten die 5900 Probanden in verschiedenen Experimenten alte Freunde oder Bekannte, die sie seit längerer Zeit nicht mehr gesprochen hatten. Die Kontaktaufnahme bestand lediglich aus kleinen Gesten, einer kurzen Nachricht, einem "Wie geht es dir?" oder einer kleinen Aufmerksamkeit. Anschließend sollten die Absender der Botschaft einschätzen, wie sehr die kontaktierte Person diese Geste wertschätzen würde.

Fremde sind viel interessierter an Persönlichem, als man meint

Über alle Experimente hinweg zeigte sich, dass die Probanden deutlich unterschätzten, wie sehr sich die Angesprochenen über den unerwarteten Kontakt freuten. Je überraschender die Kontaktaufnahme oder je schwächer die Bindung zwischen den beiden Personen sei, desto stärker wurde die Wertschätzung des Gegenübers unterschätzt, so Liu. Die Überraschung lasse ein positives Ereignis noch positiver erscheinen und sorge somit bei der kontaktierten Person für eine besonders positive Wahrnehmung. Von dem Sender der Botschaft werde dieser Aspekt meist nicht bedacht.

Hinzu kommt, dass es Menschen häufig schwerfällt, sich in die Perspektive ihres Gegenübers hineinzuversetzen. Das führt zu weiteren Fehleinschätzungen: Laut einer weiteren Studie im Journal of Personality and Social Psychology wird beispielsweise oft unterschätzt, wie interessiert Fremde an sehr persönlichen Informationen und Gefühlen sind. Diese Fehleinschätzung sei der Grund, warum im Gespräch mit Fremden häufig Barrieren entstünden und nur oberflächliche Themen besprochen würden, obwohl eigentlich beide Seiten tiefere, bedeutungsvolle Gespräche als befriedigender und verbindender empfinden.

So stellten auch die Forscher um Liu fest, dass Menschen oft aus Angst vor Ablehnung nicht spontan Kontakt aufnehmen. Dabei profitieren beide Seiten davon: Schon kurze soziale Interaktionen wie das Zusammentreffen vor dem Kaffeeautomaten oder eine kleine Nachricht bringen laut verschiedenen Studien zahlreiche positive Nebeneffekte wie ein gesteigertes soziales und emotionales Wohlbefinden mit sich. Die Ergebnisse der aktuellen Studie zeigen, dass es sich lohnt, über seinen Schatten zu springen und alte Freunde auch ohne konkreten Anlass zu kontaktieren. Auch sie selbst zögere manchmal, wenn es darum gehe, alte Bekannte zu kontaktieren, sagt Liu. "Ich sage mir dann, dass ich es sehr zu schätzen wüsste, wenn sie mich kontaktieren würden, und dass es keinen Grund gibt, anzunehmen, dass sie es nicht ebenso zu schätzen wüssten, wenn ich sie kontaktiere."

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