Psychologie:Soziale Relativitätstheorie

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Menschen vergleichen sich permanent miteinander. (Foto: Tobias Hase/dpa-tmn)

Wie das persönliche Umfeld die eigene Zufriedenheit prägt.

Von Sebastian Herrmann

Mit den richtigen Freunden lässt sich das Leben reuelos zelebrieren. Der Genuss von Süßigkeiten, Fleisch, Alkohol oder Tabak belastet das Gewissen zum Beispiel mit verminderter Schwere, wenn auch die Bekannten Laster wie diese beherzt pflegen. Insbesondere Extrembeispiele aus dem Freundeskreis dienen einem der Rechtfertigung: Klar, es wäre wirklich klug, den Alkoholkonsum zu reduzieren, aber der Dings säuft doch noch viel mehr und die Dings qualmt noch dazu stärker als ein alter Diesel.

Umgekehrt nährt die plötzliche Abstinenz eines Freundes das schlechte Gewissen der verbliebenen Trinker, in solcher Gesellschaft schmeckt selbst frisches Bier schal. Quatsch ist natürlich beides, aber so läuft es nun mal: Menschen vergleichen sich permanent mit anderen. Und was die Mitglieder der Referenzgruppe so treiben, was sie erreichen, wie sie aussehen, was sie denken oder sagen, prägt das Denken, Fühlen und Erleben der jeweiligen Mitglieder.

Wer unter Fülligen lebt, leidet weniger unter eigenen Pfunden

Wie sich zum Beispiel Übergewicht oder gar Fettleibigkeit auf die Lebenszufriedenheit auswirken, hängt nicht nur von absoluten Kriterien wie dem Body-Mass-Index sondern auch von relativen Faktoren ab. Wer unter Fülligen lebt, leidet weniger unter eigenen Pfunden. Setzt sich die Referenzgruppe hingegen eher aus Schlanken zusammen, lastet Übergewicht schwerer auf der Seele. Gerade hat der Gesundheitswissenschaftler Jinho Kim von der Korea University in Seoul eine Studie publiziert, die diesen Zusammenhang zeigt. Die analysierten Daten stammen aus den USA, wo seit 1984 im Rahmen einer großen Untersuchung regelmäßig Tausende Probanden zu Gesundheitsparametern befragt werden.

Die relative Position innerhalb eines sozialen Netzes präge das Selbstbild und auch die persönliche Lebenszufriedenheit, sagt Kim. Wer nicht der Dickste in einer Gruppe ist, pflegt einen milderen Blick auf seinen Körper als jemand, der vielleicht deutlich weniger Kilos auf die Waage bringt, dafür aber der Fülligste in seinem Freundeskreis ist. Der Vergleich prägt das Urteil, wenn auch nicht ganz losgelöst von absoluten Werten: Ein Makel, egal welcher, schlägt selbst dann aufs Gemüt, wenn alle anderen in der Vergleichsgruppe davon noch viel schlimmer getroffen werden - es lindert nur den Schmerz ein wenig.

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Sich permanent mit anderen zu vergleichen, ist ein zutiefst menschlicher Reflex. Zuweilen produziert dieser seltsame Blüten: Eine kräftige Gehaltserhöhung verhagelt die Laune, wenn die für die Kollegen noch etwas höher ausfällt. Stattdessen löst eine minimale Verbesserung des Gehaltes Zufriedenheit aus, wenn die Kollegen noch weniger oder sogar gar nichts bekommen.

Dahinter steckt das permanente Streben nach Anerkennung, das ein soziales Wettrüsten befeuert. Wenn immer mehr Schüler eines Jahrgangs Abitur machen, mindert dies den Wert des Abschlusses. Irgendwann reichen dann weder Bachelor noch Master, es muss schon mindestens eine Promotion sein - bis zu viele Leute mit Doktor-Titel rumlaufen und auch dieses soziale Signal seinen Wert verliert. Die ständigen Vergleiche maskieren allen Fortschritt und Erfolg - irgendwer hat es ja immer noch besser. Andererseits können sie auch helfen, den Blick auf die eigenen Makel abzumildern. Es kommt nur darauf an, mit wem man sich vergleicht.

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