Orientierung der Zugvögel:Geheimnisse im Taubenschnabel

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Lange Zeit schien klar zu sein, wie sich Vögel am Magnetfeld orientieren: Mit Nervenzellen im Schnabel, die magnetische Eisenmineralien enthalten. Doch diese Theorie wankt.

Katrin Blawat

Was haben Brieftaube, Rotkehlchen und Haushuhn gemeinsam? Jahrelang waren sich Biologen über eine Antwort einig: Im Schnabel aller drei Vögel befänden sich Nervenzellen, die magnetische Eisenmineralien enthielten, meinten sie. Mit den Spezialneuronen könnten die Tiere das Magnetfeld der Erde wahrnehmen und sich an ihm orientieren. Dass Tauben, Rotkehlchen und andere Vögel sicher über Tausende Kilometer navigieren, ließ sich damit plausibel erklären.

Orientierung der Zugvögel: Das Bild zeigt die Anatomie des oberen Teils eines Taubenschnabels. Mit einem Kernspintomographen wurde das äußere weiche Gewebe sichtbar gemacht (purpur) und eine Computertomographie zeigt die Knochenstruktur (gelb).

Das Bild zeigt die Anatomie des oberen Teils eines Taubenschnabels. Mit einem Kernspintomographen wurde das äußere weiche Gewebe sichtbar gemacht (purpur) und eine Computertomographie zeigt die Knochenstruktur (gelb).

(Foto: Johannes Riegler)

Doch dann blickte eine Forschergruppe um David Keays von der Universität Wien nochmals fast 200 Tauben genau in die Schnäbel. Und sie machte eine überraschende Beobachtung: Die eisenmineralhaltigen Zellen seien keine Neurone, wie bislang angenommen, sondern weiße Blutzellen, sogenannte Makrophagen (Nature, online). Diese Zellen aber könnten nicht als Sensoren für das Erdmagnetfeld dienen, so die Autoren. Und damit ist wohl eine große Frage wieder offen: Wie nehmen Vögel das Magnetfeld der Erde wahr? Und wo befinden sich die dafür zuständigen Zellen?

Dabei schien die Antwort darauf lange Zeit klar zu sein. Gerta und Günther Fleissner, ein Forscherehepaar aus Frankfurt, hat seit Jahren immer wieder Studien in hochrangigen Fachzeitschriften veröffentlicht, die nach Ansicht der Vogelkundler die Existenz der magnetischen Nervenzellen im Vogelschnabel belegten. Und bislang waren die Ergebnisse dieser Analysen in der Fachwelt auch akzeptiert.

Auf Keays Untersuchung reagierten die Fleissners prompt. Noch ehe Nature die Studie ins Internet gestellt hat, hatten die beiden einen ruppigen Gegenkommentar verfasst. Sie werfen Keays Voreingenommenheit und Profilierungslust vor, von einer "lächerlichen Interpretation der Daten" ist die Rede. Die Analysen seien von schlechter Qualität, und, so wörtlich, die "ganze Studie leider ein großer Mist".

Unterstützung erhalten die Fleissners von Roswitha Wiltschko, die zusammen mit ihrem Mann Wolfgang einst in Verhaltensexperimenten entdeckt hatte, dass Vögel sich grundsätzlich am Magnetfeld der Erde orientieren. Dazu betäubten die beiden Forscher die mutmaßlichen Magnetfeld-Sensoren, indem sie den Vögeln eine Tinktur auf den Schnabel strichen. Die so manipulierten Tauben orientierten sich signifikant anders als Kontrolltiere. "Alle unsere Ergebnisse sprechen dafür, dass die von den Fleissners identifizierten Strukturen als Magnetfeld-Sensoren dienen", sagt Roswitha Wiltschko. "Ich glaube ganz fest an diese Rezeptoren."

Auf den Glauben allein wollte sich Keays jedoch nicht verlassen. Zahlreiche Gewebeproben von 172 Taubenschnäbeln untersuchten er und sein Team mit Computer- und Magnetresonanztomographie sowie mit modernen Färbemethoden. Diese sind in der Histologie, wie die Erforschung von Körpergewebe auch heißt, eine übliche Methode, um verschiedene Zelltypen voneinander zu unterscheiden. Sie haben sich in Millionen Versuchen bestens bewährt - und doch hängen sie immer auch von der Interpretation des jeweiligen Betrachters ab. Es ist wie mit einem Röntgenbild, aus dem mehrere Ärzte manchmal unterschiedliche Diagnosen herauslesen.

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