Nobelpreis für Medizin:Lebensretter für Millionen

Ernte von Wermutkraut in China

Der Wirkstoff Artemisinin wird aus Beifußgewächsen gewonnen. In der chinesischen Region Youyang wachsen Pflanzen, die besonders viel davon enthalten.

(Foto: EPA/Michael Reynolds/dpa)

Beinahe so wichtig wie Antibiotika: Die drei Medizin-Nobelpreisträger entwickelten Medikamente gegen Parasitenkrankheiten und Malaria. Beifußgewächse spielten eine entscheidende Rolle.

Von Hanno Charisius und Tina Baier

Selten dürften wissenschaftliche Entdeckungen so viele Leben gerettet haben, wie die der drei Forscher, die in diesem Jahr mit dem Nobelpreis für Medizin geehrt werden. Der irische Parasitologe William Campbell und der japanische Pharmakologe Satoshi Ōmura teilen sich eine Hälfte des Preisgeldes für die Entwicklung von Wirkstoffen, die als Avermectine bezeichnet werden und von Wurmparasiten verursachte Krankheiten heilen. Die zweite Hälfte bekam die chinesische Pharmakologin Youyou Tu für die Entdeckung der Substanz Artemisinin gegen den Erreger der Malaria zuerkannt.

Das Nobelkomitee schätzt, dass dank dieser Mittel jedes Jahr mehr als 100 Millionen Menschen von parasitären Infektionen kuriert werden können. Ähnlich wirkmächtig dürfte nur die Entdeckung der Antibiotika gewesen sein, die im Jahr 1945 mit dem Medizinnobelpreis gewürdigt worden waren.

Nach Angaben der Nobelstiftung ist ein Drittel der Weltbevölkerung von einer Infektion mit Band-, Saug- und Fadenwurm-parasiten bedroht. Die Hälfte der Weltbevölkerung lebe in Regionen, in denen der Malariaerreger verbreitet ist. Im Laufe der Entwicklungsgeschichte des Homo sapiens haben sich die Erreger immer besser an ihren Wirt angepasst und gelernt, die Immunabwehr auszutricksen. Jahrzehntelang verlief die Entwicklung von Wirkstoffen gegen parasitäre Erkrankungen sehr schleppend. Erst die Entdeckungen der diesjährigen Medizinnobelpreisträger wendeten in den 1970er und -80er Jahren das Blatt.

Avermectin hilft gegen Parasiten und Zecken, Läuse und Milben

Der 1935 geborene Satoshi Ōmura hatte sich zum Ziel gesetzt, nützliche Therapeutika aus Bakterien und anderen Mikroorganismen zu gewinnen. Dazu musste er zunächst Methoden entwickeln, um die Mikroben im Labor züchten zu können. Aus seinen Mikroben begann er dann, einzelnen Substanzen zu gewinnen, von denen er hoffte, dass sie irgendeine pharmakologische Wirkung zeigen würden. Der damals bereits in den USA arbeitenden William Campbell (Jahrgang 1930) bekam einige von Ōmuras Extrakten zugesandt und probierte sie zunächst an Tieren aus. Schnell zeigte sich, dass eines der Präparate Parasiten im Organismus von Haus- und Farmtieren bekämpfte.

Die beiden Wissenschaftler fanden schließlich heraus, dass eine Substanz, der sie den Namen Avermectin gaben, für den Effekt verantwortlich war. Chemisch modifiziert für einen stärkeren Effekt hilft dieser Wirkstoff heute nicht nur gegen Parasiten im Inneren des Körpers, sondern bekämpft auch Zecken, Läuse und Milben auf der Haut. Ōmura hat neben Avermectin mehr als 400 weitere Stoffe mit Wirkpotenzial entdeckt, darunter verschiedene Antibiotika und Substanzen, die gegen Krebs helfen könnten. 1997 hatte er bereits die Robert-Koch-Medaille bekommen. Die Bakterien, die das Avermectin produzieren, habe er in der Nähe des Golfplatzes gefunden, auf dem er damals regelmäßig gespielt habe, erzählte Ōmura am Montag.

Moderne Forschung kombiniert mit traditioneller chinesischer Medizin

Auch die 1930 geborene Youyou Tu ließ sich bei der Suche nach einem Wirkstoff gegen Malaria von der Natur inspirieren. Sie fand im Einjährigen Beifuß mit Artemisinin eine Substanz, die den Malariaparasiten sehr zuverlässig bekämpft. Sie hatte systematisch in Pflanzenextrakten nach chemischen Verbindungen gefahndet, die den Erreger des Tropenfiebers angreifen.

Ein Extrakt aus dem Einjährigen Beifuß zeigte 1971 in einem ersten Test an malariainfizierten Tieren vielversprechende Ergebnisse, die sich aber zunächst nicht wiederholen ließen. Erst nachdem Tu den Wirkstoff Artemisinin identifiziert und in hoher Konzentration aus dem Pflanzenmaterial gewonnen hatte, stellte sich der gewünschte Erfolg bei den Versuchstieren ein.

Tu habe für ihren Durchbruch moderne Forschung mit dem Wissensschatz der traditionellen chinesischen Medizin kombiniert, erklärte die Nobelstiftung. Bis heute ist der Wirkstoff in Kombination mit anderen Präparaten das wirksamste Mittel gegen Malaria. Unter Kombinationstherapie sinkt die Sterblichkeit von Infizierten um 20 Prozent, bei Kindern sogar um 30 Prozent.

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