Neandertaler:Glamour am Flachkopf?

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Der Fund von Schmuck und Kosmetika rüttelt weiter am Bild des tumben Neandertalers. Der Urgeschichtler Nicholas Conard über die Bedeutung der Entdeckung.

H. Filser

Schon seit Jahren bröckelt das Bild, wonach der Neandertaler ein primitives Wesen war. Aber eine Bastion blieb dem modernen Menschen immer noch: die Kunst. Doch jetzt präsentiert der Wissenschaftler João Zilhão von der englischen Universität Bristol von Neandertalern bemalte Muscheln, die belegen sollen, dass auch der Vetter des Homo sapiens ein Gefühl für Ästhetik und Symbolik hatte. Vier Muscheln haben eine Öffnung, so dass man sie an einer Schnur um den Hals tragen konnte, zwei von ihnen sind in Rot- und Ockertönen bemalt. Entdeckt wurden die Muscheln in zwei Höhlen nahe Murcia im Südosten Spaniens. Das Erstaunliche: Die Muscheln sind 50000 Jahre alt, stammen also aus einer Zeit, als der moderne Mensch noch gar nicht in Europa heimisch war (PNAS, online). In einer fünften, nicht durchbohrten Muschel fand Zilhão schließlich kleine, gelbliche Farbklümpchen. Die Muschel sei als Behälter für die Pigmente verwendet worden, vermutet der Anthropologe. Entweder um sie darin zu lagern oder für die Anwendung vorzubereiten. Die Zusammenstellung lege nahe, dass die Neandertaler sie als eine Art "Glitzer-Make-Up"verwendet hätten.

Diese Muschel ist 50.000 Jahre alt und womöglich ein prähistorisches Schmuckstück. (Foto: Foto: ddp)

SZ: Professor Conard, können die Funde Ihres Kollegen João Zilhão das Bild des tumben Neandertalers endgültig widerlegen?

Conard: Man muss sich die Funde schon genau anschauen, wir haben hier ein paar bemalte Muscheln. Beim modernen Menschen gibt es Hunderte Fundplätze über drei Kontinente verteilt.

SZ: Das Spannende an diesen Funden ist auch ihr Alter. Vor 50000 Jahren hat der Neandertaler mindestens zwei Farbtöne genutzt, und eine durchbohrte Muschel als Symbol verwendet.

Conard: (lacht) Ich würde differenzieren zwischen Menschen, die eine Muschel mit einem Loch nehmen, und solchen, die einem Objekt bewusst eine Form geben. Zudem sind vergleichbare Schmuck-Funde des modernen Menschen aus Afrika älter und überzeugender, etwa die durchbohrten Schneckenhäuser aus der Blombos-Höhle in Südafrika. Sie sind 75000 Jahre alt und waren offenbar Teil einer Halskette. Andererseits stimmt es: Der moderne Mensch war vor 50000 Jahren nicht in Europa, also hat der Neandertaler diese Muscheln entdeckt und bewusst getragen.

SZ: Also hatte der Neandertaler bereits ein symbolisches Bewusstsein?

Conard: Wir wissen, dass Neandertaler Farbpigmente benutzt haben und bewusst ihre Toten bestattet haben. Dennoch gibt es Unterschiede zum modernen Menschen. Rund um die Blombos-Höhle etwa haben Forscher an zahlreichen Orten durchbohrte Muscheln entdeckt, es ist kein Einzelfund. Mittlerweile wissen wir, dass Schmuck damals gang und gäbe war. Dieser Beleg steht bei den Neandertalern aus. Obwohl es Hunderte Neandertaler-Fundplätze gibt, sind Schmuckfunde extrem selten. Das scheint also eher eine Ausnahme zu sein.

SZ: Aber auch ein seltener Fund belegt eine prinzipielle Fähigkeit.

Conard: Ich bin der Letzte, der behaupten würde, archaische Menschen waren unbegabt. Aber das muss man nicht an Muscheln festmachen. Insgesamt sind die Funde des modernen Menschen älter, vielfältiger, komplexer und damit beeindruckender als die Neandertaler-Muscheln aus Spanien.

SZ: Dennoch trauen immer mehr Forscher dem Neandertaler mehr zu.

Conard: Das würde ich so nicht sagen. Bis Mitte der 80er Jahre die Out-of-Africa-Theorie publik wurde, dachten viele Forscher, der Neandertaler habe sich in Europa langsam zum modernen Menschen entwickelt. Erst mit der Out-of-Africa-These kam die Idee auf, dass sich Neandertaler und moderner Mensch stark unterschieden haben. Es macht das Leben ja auch einfacher, wenn man sagt: Die Neandertaler waren unterentwickelt und wir waren schlau und modern. Ich schätze daher die Arbeit von João Zilhão, weil sie dieses Schwarz-Weiß-Denken in Frage stellt. Nur so entsteht ein differenziertes Bild.

SZ: Die Fundorte der neuen Muscheln in Spanien liegen bis zu 60 Kilometer entfernt von der Küste. Die Neandertaler müssen die Meeresmuscheln sehr bewusst getragen haben.

Conard: Wir wissen, dass Neandertaler Gegenstände teilweise über Entfernungen von mehr als hundert Kilometern transportiert haben. Die Muscheln passen also gut in unsere Kenntnisse des Wirtschafts- und Soziallebens von Neandertalern.

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SZ: Die Muscheln hatten also einen Wert für die Neandertaler.

Der Urgeschichtler Nicholas Conard von der Universtität Tübingen. (Foto: Foto: AP)

Conard: Ja, mit Sicherheit. Man schleppt nichts völlig zwecklos durch die Gegend.

SZ: Welche Bedeutung könnten die Schmuckstücke gehabt haben, dienten Sie dazu, ein Mitglied einer Sippe besonders hervorzuheben?

Conard: Das ist denkbar. Aber dafür brauchen wir mehr Funde. Diese wenigen Muscheln sind höchstens ein Einstieg in die Thematik. Wenn Zilhão Recht hat, müsste er, wenn er systematisch sucht, bald weiteren Schmuck finden.

SZ: Könnten die Schmuckstücke eine religiöse Bedeutung gehabt haben?

Conard: Das ist eine schwierige Debatte. Ich wundere mich manchmal, wir reden über Menschen, die vor 50.000 Jahren gelebt haben, in ganz unterschiedlichen Regionen und unter verschiedenen Bedingungen. Das ist, als würde man heute fragen: Was halten Sie von bestimmten Verhaltensformen des modernen Menschen? Da muss man doch wissen: Reden wir von Menschen aus Tokio, Schanghai, München oder von Kalahari-Buschmännern oder Aborigines? Die materielle Kultur entsteht aus einem konkreten Zusammenhang. Neandertaler haben auf viele Weisen gelebt, es gab viele Methoden, sich an die Umgebung anzupassen.

SZ: Sie haben im vergangenen Jahr eine fast 40.000 Jahre alte Venusfigur gefunden, ein wunderbares Objekt. Wie würden Sie die Leistung dahinter im Vergleich zu einer bemalten Muschel erklären?

Conard: Die Muscheln sind natürliche Gegenstände, die Menschen haben sie nur leicht verändert, also bemalt. Die Venus von Hohle Fels hat eine eigene Formgebung, sie trägt vermutlich ein ganzes Universum von Informationen, die von uns auch teilweise entziffert werden können. Fruchtbarkeit und Sexualität kommen darin zum Beispiel zum Ausdruck. Die Qualität und Menge an Informationen ist sehr viel größer.

SZ: João Zilhão hat natürlich seine Objekte auch genau angeschaut. Ein Farbstoff in einer Muschel könnte auch als Schminke gedient haben, er hat das gelbe Mineral analysiert. Es tauchte auch im Alten Ägypten in Kosmetik auf, man habe den Stoff auch in Mumien gefunden.

Conard: (lacht) Ich würde das nicht überinterpretieren. Neandertaler haben Pigmente in der Bestattung verwendet. Natürlich gönne ich den Neandertalern auch Kosmetik, wenn die Forscher das beweisen können. Das ist meist schwer. Nur weil sie zum Beispiel irgendwo eine Pflanze finden, die halluzinogene Wirkung haben, ist das kein Beleg für eine Drogenkultur in einer Gesellschaft. Einen Beweis haben wir erst, wenn wir sich wiederholende Muster an unterschiedlichen Orten finden.

© SZ vom 12.01.2010/beu - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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