Wissenschaftsgeschichte:Um den verdienten Ruhm gebracht

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Am Eagle-Pub im britischen Cambridge erinnert eine Plakette an die Entdeckung der Doppelhelix-Struktur der DNA. Die übergangene Biochemikerin Rosalind Franklin hat zumindest jemand mit Edding ergänzt. (Foto: Werner Bartens)

Rosalind Franklin war entscheidend an der Entdeckung der DNA-Doppelhelix beteiligt. Neue Dokumente zeigen, wie wichtig ihr Beitrag tatsächlich war.

Von Werner Bartens

Die Portionen Fish and Chips im "Eagle" sind beachtlich, trotzdem ist der traditionsreiche Pub im Herzen von Cambridge weniger für kulinarische Spezialitäten als für seine illustren Gäste bekannt. Eine hellblaue Plakette an der Fassade weist darauf hin, dass Francis Crick und James Watson hier am 28. Februar 1953 zuerst verkündeten, dass sie "das Geheimnis des Lebens" entschlüsselt hätten. Es ist nicht überliefert, wie viele der Kneipenbesucher sofort verstanden haben, dass die DNA aus einer Doppelhelix besteht, doch spätestens nachdem im April 1953 drei Fachartikel zum Thema im Fachmagazin Nature herauskamen, wurde der wissenschaftlichen Gemeinde klar, wie bedeutend die Entdeckung war. Schon 1962 erhielten Watson und Crick gemeinsam mit Maurice Wilkins den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin.

Auf der Plakette am "Eagle", die 2003 angebracht wurde, ist nachträglich "+ Franklin" sowie ein Herz mit dickem, schwarzem Stift hinzugefügt worden. Die Ergänzung zeigt, dass die Frau, die entscheidend dazu beigetragen hat, die Molekülstruktur der DNA aufzuklären, auch 50 Jahre nach der wohl wichtigsten Entdeckung der Biomedizin noch nicht den ihr zustehenden Platz in der Wissenschaftsgeschichte gefunden hatte. Dabei müsste Rosalind Franklin längst als Forscherin gesehen werden, die "als Teil eines Quartetts zu gleichen Teilen dazu beigetragen hat, die Doppelhelix aufzudecken", wie der Zoologe Matthew Cobb und der Medizinhistoriker Nathaniel Comfort aktuell in Nature schreiben.

Rosalind Franklins Rolle bei der Entdeckung der Doppelhelix ist nach wie vor nicht ausreichend anerkannt. (Foto: Imago Images/Historical Views)

Die Forscher aus Manchester und Baltimore, die über die Reihenfolge ihrer Autorenschaft per Münzwurf mit einem 50-Pence-Gedenkstück für Rosalind Franklin entschieden haben, sind während der Recherche zu Biografien über Watson und Crick auf Unterlagen gestoßen, die Franklins Bedeutung nun erneut unterstreichen. Nachdem die Chemikerin vom Londoner King's College zunächst kaum in der Wissenschaftsgeschichte auftauchte, wurde seit einigen Jahren immerhin betont, dass Franklin eine brillante Forscherin war, führend auf dem Gebiet der Röntgenkristallografie. Dabei werden Moleküle mit Röntgenstrahlen durchleuchtet, und die Ablenkung lässt Rückschlüsse auf die Struktur zu. Allerdings war Franklin - so die bisherige Deutung - offenbar nicht in der Lage zu erkennen, dass sich in ihren Daten der Aufbau der Doppelhelix zeigte. Das entsprechende Röntgenbild der DNA, "Photograph 51", gilt als Stein der Weisen der Molekularbiologie. Der populären Interpretation zufolge "saß Franklin monatelang über dem Foto, ohne dessen Bedeutung zu erkennen, bis Watson es auf Anhieb verstand", so Cobb und Comfort.

Eine Journalistin wollte Franklin schon 1953 würdigen - ihr Text wurde nicht gedruckt

Dieses auch von Watson Jahre später verbreitete Narrativ enthalte eine "absurde Annahme - nämlich dass Franklin, die begabte Chemikerin, ihre eigenen Daten nicht verstehen konnte", so die Biografen. Dabei zeige der bisher übersehene Brief einer Kollegin von Franklin an Crick aus dem Januar 1953, dass Franklin sehr wohl die Brisanz ihrer Aufnahmen erkannt hatte. Zudem hatte Joan Bruce, die für das Magazin Time arbeitete, seit Frühjahr 1953 einen Beitrag über die Entdeckung der Doppelhelix in Planung. Darin beschrieb sie, wie "zwei Teams" - Wilkins und Franklin, die Beweise mittels Röntgenbeugung suchten, sowie Watson und Crick, die mit Berechnungen und Modellen aus Pappe und Draht arbeiteten - zwar unabhängig das gleiche Ziel verfolgten, sich aber "in ihrer Arbeit gegenseitig bestätigten oder um die Lösung eines gemeinsamen Problems rangen". Watson und Crick bastelten "auf Basis der Röntgenbilder" an Modellen, aus denen die Doppelhelix entstand. Umgekehrt "checkte Franklin die Modelle aus Cambridge gegen ihre Röntgenaufnahmen".

Auch dieser Text zeige Cobb und Comfort zufolge "Franklin in einer Position der Stärke, durch und durch auf Augenhöhe mit Wilkins, Watson und Crick". Zwar schickte Time Fotografen zu den Wissenschaftlern, doch das Manuskript von Bruce wurde nie gedruckt. Die Journalistin war "offenbar nicht stark in der Wissenschaft" und Franklin habe ihr womöglich vermittelt, dass sie noch viel Arbeit dafür aufwenden müsste. Das Manuskript und die Sichtweise von Bruce fanden keine Verbreitung, die Fotos verwendete James Watson 1968 in seinem Bestseller "The Double Helix", in dem er Franklins Rolle verzerrt darstellte.

Berücksichtigt man die aufgetauchten Papiere, stellt sich Rosalind Franklin als gleichrangiges Mitglied eines Quartetts dar, das die Rätsel um die Doppelhelix gelöst hat, die entscheidende Versuche machte, kritische Fragen stellte, wichtige Daten lieferte und Ergebnisse verifizierte. Sie hatte jedoch mit dem "alltäglichen Sexismus dieser Zeit" zu kämpfen und mit Vorbehalten gegen Frauen in der Wissenschaft, wie sie auch der Bestseller "Eine Frage der Chemie" von Bonnie Garmus zeigt. Dass ihr Bild nach und nach korrigiert wurde, bekam sie ebenso wenig mit wie die Auszeichnungen ihrer Kollegen. Rosalind Franklin starb 1958 mit nur 37 Jahren an Eierstockkrebs.

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