Unscheinbar sehen sie aus, diese Früchte. Blassrot, erbsengroß hängen sie an einem buschig wuchernden Strauch. Als Tomate würde die Wildpflanze Solanum pimpinellifolium wohl nur ein Gärtner erkennen. Doch die winzigen Beeren haben etwas, was den stattlichen Verwandten aus dem Supermarkt vor langer Zeit abhanden gekommen ist: Geschmack. Und weil das beliebteste Gemüse der Welt gustatorisch kaum mehr rettbar erscheint, könnten die erbsengroßen Früchtchen die Tomatenzukunft sein - sofern man sie mithilfe einer neuen molekularbiologischen Technik verbessert.
Wie Forscher in drei aktuellen Publikationen von Nature Biotechnology und Nature Plants berichten, lassen sich Wildtomaten aus der mittel- und südamerikanischen Heimat der Pflanze tatsächlich einfach und schnell an die Bedürfnisse heutiger Tomatenfans anpassen. Die Teams aus den USA, China, Brasilien und Deutschland konnten sowohl den Geschmack als auch die Robustheit des Originals erhalten. Gleichzeitig gelang es den Pflanzengenetikern, mehr und größere Früchte mit einem erhöhten Nährstoffgehalt wachsen zu lassen.
Möglich wurde das durch den Einsatz der sogenannten Genschere Crispr-Cas, einer neuen Gentechnik. Fremde Gene müssen dem Erbgut des Organismus dabei nicht hinzugefügt werden. Stattdessen lassen sich Erbanlagen mithilfe von Crispr-Cas direkt verändern, ausschalten oder reaktivieren, ganz genau so, wie es in der Natur rein zufällig durch Mutationen geschieht. Dafür arbeiten die Forscher - wie konventionelle Züchter - mit dem, was bereits an natürlichen Eigenschaften in den Pflanzen vorhanden ist.
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In niederländischen Gewächshäusern arbeiten Agrar-Ingenieure am Gemüse der Zukunft. Die Technologie wird mittlerweile erfolgreicher exportiert als das Essen selbst.
Die aktuellen Ergebnisse zeigen damit einen Weg aus dem Dilemma vieler moderner Züchtungen: Der Fokus auf Ertragseigenschaften hat heutige Nutzpflanzen genetisch verarmen lassen, zahlreiche wichtige Erbanlagen für Krankheitsresistenzen, Robustheit und den Geschmack sind aus modernen Züchtungen verschwunden. Insbesondere die Tomate ist ein Opfer ihrer insgesamt mehr als 500 Jahre alten europäischen Züchtungsgeschichte, denn spätestens seit dem 20. Jahrhundert verstanden Tomatenbauern unter einer Verbesserung alles, was die Produktivität steigert.
Zum Beispiel lässt die sogenannte U-Mutation - das "U" steht für "uniformity", Einförmigkeit - die Früchte zwar einheitlich reifen, was die Ernte erleichtert. Die U-Mutation ist deshalb ein marktbeherrschendes Merkmal geworden. Zugleich produzieren die Pflanzen im Reifungsprozess aber weniger fruchteigenen Zucker, also weniger Geschmack.
Die Tomatengenetik hat diesen und viele anderer Verluste mittlerweile akribisch beschrieben, rückgängig machen ließen sich solche Fehlentwicklungen bislang aber nur sehr eingeschränkt, nämlich durch das klassische Kreuzen alter und moderner Sorten, inklusive mühseliger Rückkreuzungen von unerwünschten Eigenschaften - ein Aufwand, der sich für die Züchter kaum lohnt.
Neue Techniken wie Crispr-Cas ermöglichen jedoch eine schnelle Abkürzung: Man nehme eine genetisch reiche Tomate, also eine Wildform, die schmeckt und Nässe, Trockenheit oder zahlreichen Krankheiten standhält. Man wähle ein paar Eigenschaften aus, die besondere Aufmerksamkeit erfahren - zum Beispiel die Größe oder Zahl der Früchte. Und schließlich entwickelt man Crispr-Scheren, die an den entscheidenden Genen der Wildtomate ansetzen und die gewünschten Eigenschaften einbringen.
"Auf diese Weise ist heute fast alles möglich", sagt Jörg Kudla von der Universität in Münster, der eine der Studien geleitet hat. Gemeinsam mit seinen brasilianischen und amerikanischen Kollegen hat sein Team im sehr robusten wilden Solanum pimpinellifolium gleich ein halbes Dutzend Gene stillgelegt und der Pflanze dadurch ebenso viele nützliche Eigenschaften hinzugefügt. Alle sechs Merkmale sind aus modernen, genetisch gut untersuchten Tomatenzüchtungen bekannt. Sie betreffen das Wachstum der Pflanze, die Form und die Größe der Früchte, aber auch die Zahl der Beeren und ihren Gehalt an dem sekundären Pflanzenstoff Lycopin, einem Verwandten des Karottenvitamins Betacarotin. Lycopin ist gut fürs Herz, so vermuten es zumindest Ernährungsexperten.
Als "sehr aromatisch" beschriebt Jörg Kudla das Resultat seiner Experimente. Für sämtliche Veränderungen und die anschließenden Tests benötigten die Pflanzenforscher lediglich drei Jahre. Am Ende der Versuche war in keiner Pflanze fremdes Erbgut nachweisbar, auch benachbarte Gene wurden durch die Genschere nicht beschädigt. "Mit konventionellen Züchtungsmethoden hätte es Jahrzehnte gedauert, fünf dieser sechs Eigenschaften in die Wildtomate einzubringen", sagt der Forscher. Den Lykopin-Anteil durch Kreuzen zu erhöhen und so den Nährwert der Tomate zu verbessern, ist nach Aussage des Biologen vermutlich unmöglich.
Die EU macht es Crispr-Pflanzen schwer: Eine Zulassung können sich nur große Konzerne leisten
Ob die gezähmte Wildtomate in Europa erhältlich sein wird, ist derzeit jedoch fraglich. Zwar unterscheiden sich durch Crispr-Cas veränderte Pflanzen im Ergebnis nicht von konventionellen Züchtungen, sie enthalten auch kein fremdes Erbmaterial oder gar Antibiotikaresistenzen, wie es bei den Produkten der alten Gentechnik der Fall war.
Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg hat jedoch Ende Juli entschieden, dass Pflanzen, die mit Crispr-Cas verändert worden sind, unter die siebzehn Jahre alte Freisetzungsrichtlinie der EU fallen - und in allen Mitgliedstaaten deshalb als genetisch veränderter Organismus (GVO) reguliert werden müssen. "Gerade die teuren Zulassungsverfahren für GVO führen aber dazu, dass sich nur große Unternehmen überhaupt eine Zulassung leisten können", sagt Jörg Kudla. Konzerne haben allerdings wenig Interesse daran, robuste Gemüsepflanzen mit mehr Geschmack zu entwickeln. Sie müssen Geld erwirtschaften. "Das geht eigentlich nur mit mainstream crops. Dazu zählen vor allem Mais, Raps und Soja", erklärt der Forscher.
Jörg Kudla glaubt jedoch, dass die Arbeiten der Pflanzenforscher ein Umdenken anstoßen können. Einerseits, was die Rechtslage betrifft: "Wenn man berücksichtigt, dass das, was wir mit Crispr in der Tomate gemacht haben, also die gezielte Mutagenese, eindeutig keine Spuren in der Pflanze hinterlässt, dann ist das EuGH-Urteil praktisch gar nicht umsetzbar", sagt der Biologe. Das müsse die Politik erkennen und für eine wissenschaftlich aktuelle Gesetzgebung sorgen. Andererseits hofft Kudla, dass seine Projekte und die seiner Kollegen auch in der Öffentlichkeit als Signal verstanden werden und auf weniger Ablehnung stoßen. "Hinter unserem Projekt steht nicht der Wunsch nach Profit, sondern der Nutzen für den Konsumenten".