Ökologie:Acker mit Ausdauer

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Ausdauernde Reispflanzen haben ein großes Potenzial, sagen Forscher, die sich vom schnellen Takt der modernen Landwirtschaft abwenden wollen. Es gibt bereits erste Neuzüchtungen, die sehr ertragreich sind. (Foto: Anupam Nath/dpa)

Weniger Pestizide, weniger Arbeit und besser für die Umwelt: Mehrjährige Pflanzensorten könnten einen Beitrag zur nachhaltigeren Landwirtschaft leisten. Doch sie sprengen alle Routinen der Agrarindustrie.

Von Bernd Eberhart

Im Frühjahr wird gesät, im Herbst wird geerntet. Vor fast 11 000 Jahren gaben die ersten Bauern in Südwestasien diesen Rhythmus vor, der bis heute unser Leben bestimmt. Zunächst bauten sie Gräser an, die kaum von ihren wilden Verwandten zu unterscheiden waren. In Jahrhunderten der Auslese und der Kreuzung wurden die Körner dann immer größer, die Ähren immer praller. Auch der aus China stammende Reis oder der mittelamerikanische Mais finden sich heute auf Äckern rund um die Welt. Eines haben sie alle gemeinsam: den Rhythmus. Auf die Saat folgt die Ernte folgt die Saat. Die meisten Gemüse sind ebenfalls einjährig. Insgesamt stammen gut 85 Prozent der Nahrungskalorien von Pflanzen, die jedes Jahr neu heranwachsen.

Vielleicht ist es Zeit, Variation zu bringen in diesen ewigen, monotonen Rhythmus. Denn der schnelle Takt der modernen Landwirtschaft macht den Böden zu schaffen. Schätzungsweise 24 Milliarden Tonnen wertvoller Boden gehen jedes Jahr weltweit verloren. Jährliches Pflügen fördert die Erosion. Auch reichern die Böden im Vergleich zu durchgängig bewachsenen Flächen kaum organisches Material an. Pestizide und Dünger belasten das Grundwasser, intensive Bewässerung lässt die Böden versalzen.

Ausdauernde Äcker hätten dagegen einen entscheidenden Vorteil: Die Pflanzen hätten mehrere Jahre Zeit, um ihr Wurzelwerk auszubilden. Jenes Geflecht also, das Erosion aufhalten, Symbiosen eingehen, Nährstoffe effizient nutzen, Wasser zugänglich machen und Kohlenstoff im Boden anreichern kann. Während einjährige Getreide wie Mais oder Weizen 15 bis 30 Prozent ihres organischen Materials unter die Erde verlagern, sind es bei ausdauernden Wildgräsern rund 60 Prozent. Zudem könnten die Bauern eine Menge Arbeitszeit und Diesel sparen, wenn sie nicht jedes Jahr säen oder pflanzen müssen. Und sie müssten seltener pflügen, da langjährige Nutzpflanzen sich besser gegen die Unkrautkonkurrenz durchsetzen können. Die meisten wilden Pflanzen wachsen nicht jedes Jahr neu heran. Könnten ausdauernde Pflanzen also ein Teil der Lösung sein für eine nachhaltigere Landwirtschaft?

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Genau in der Mitte der USA liegt im Städtchen Salina in Kansas das Land Institute - eine gemeinnützige Forschungseinrichtung. Seit mehr als vierzig Jahren arbeiten Pflanzenzüchter hier mit kleinem Budget an einer großen Idee: der Neuerfindung des Ackerbaus. Die Wissenschaftler forschen etwa an ausdauernden Ölsaaten: Silphium integrifolium beispielsweise könnte einst Sonnenblumen oder Raps ersetzen. Auch Stickstoff bindende Hülsenfrüchte wie Lupinen oder Luzernen erproben die Wissenschaftler in beständigen Varianten.

Den größten Aufwand betreibt das Institut jedoch im Bereich der Getreide. Hier hat es auch seinen größten Erfolg: Kernza. Unter diesem Namen vermarktet die Einrichtung einen ausdauernd wachsenden Weizenverwandten. Öko-Bäckereien backen Kernza-Brot und Kernza-Pizza, Restaurants kochen Kernza-Pasta. Und die Outdoor-Firma Patagonia lässt aus dem neuen Getreide Bier brauen: das "Long Root Pale Ale" - das Bier der langen Wurzel.

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Über drei Meter weit graben sich Kernza-Wurzeln in den Boden. Fotos von ausgebuddelten Pflanzen zeigen den Unterschied zu modernem Weizen: An der einen Pflanze wuchert ein riesiger, verfilzter Wuschel, an der anderen baumelt ein dünnes Wurzelzöpflein. Niemand behauptet, dass Kernza heute schon eine echte Alternative zu etablierten Getreidesorten darstellt. Viermal mehr Ertrag pro Fläche bringt Weizen, seine Körner sind fünfmal so groß. Aber Kernza ist ein Anfang, ein Prototyp.

Bei einem anderen Getreide sind die Erfolge deutlicher: dem Reis. Chinesische Wissenschaftler kreuzten den einjährigen asiatischen Reis, Oryza sativa, mit einem ausdauernden afrikanischen Verwandten, Oryza longistaminata. Über fünf Jahre hinweg soll die entstandene Sorte PR23 nun durchhalten, bei zwei Ernten pro Jahr. Zwar wurde Reis auch früher teils schon ausdauernd angebaut. Die Erträge von PR23 jedoch, schreibt der Hauptverantwortliche Fengyi Hu im Fachjournal Sustainability, seien vergleichbar mit einjährigen Reissorten. Und der Arbeitsaufwand reduziert sich beträchtlich.

"Ausdauernder Reis hat riesiges Potenzial in Asien", sagt Hans Dreyer, Leiter der Abteilung Plant Production and Protection der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO). Voraussetzung ist allerdings ein ganzjährig günstiges Klima, ohne Überschwemmungen oder Trockenzeiten.

Der Ökologe Hanno Schäfer von der Technischen Universität München hofft vor allem bei Gemüse und Obst auf weitere ausdauernde Sorten. Schäfer selbst hat mit Kollegen zwei wilde Verwandte der Honigmelone aufgespürt, einen in Australien, den anderen in Indien - Genmaterial für die Züchtung beharrlicher Melonensorten. "Gerade in tropisch-subtropischen Gebieten sind ausdauernde Gemüse absolut die Zukunft", ist Schäfer überzeugt. "In weiten Teilen Indiens oder Afrikas, wo die heimischen Verwandten alle überdauern, da ist es völlig absurd, einjährige Sorten anzupflanzen."

Der springende Punkt aber seien die Erträge, sagt Schäfer. "Denn für die Umwelt wäre es fatal, wenn wir wegen sinkender Erträge zusätzliche Flächen für Ackerland bräuchten." Speziell bei Getreide seien die Gewinnmargen extrem schmal - ob sich PR23, Kernza und Konsorten bewähren, ist für Schäfer noch ungewiss.

Maria von Korff ist optimistischer. Sie leitet das Institut für Pflanzengenetik der Universität Düsseldorf, unter anderem untersucht sie Gerste und deren wilde Verwandte auf ihr Potenzial als ausdauernde Getreide. "Natürlich kann eine einjährige Pflanze am Ende der Saison ihre gesamte Energie in die Körner stecken", sagt von Korff. "Ausdauernde dagegen müssen Ressourcen binden für Überlebensstrategien." Allerdings müssen sie sich im nächsten Jahr eben nicht neu etablieren. Und Krankheiten und Schädlingen bieten sie zwar eine größere Angriffsfläche - setzen ihnen aber auch mehr Abwehrkräfte entgegen. Welche Strategie die bessere ist, da sei die Fachwelt unentschieden, sagt von Korff.

Aber auch wenn es gelingt, ertragreiche Sorten zu züchten, bleibt eine Herausforderung. Von Saatgut über Dünger und Spritzmittel bis zu den Landmaschinen ist die ganze Branche auf den bewährten Rhythmus eingefahren. "Ausdauernde Pflanzen würden die Agrarindustrie ganz schön aushebeln", erklärt Maria von Korff. "Sie müsste ihre ganzen Produktionslinien ändern." Und die Lobby ist stark. "Ich fürchte, die werden das Feld nicht kampflos räumen."

Langfristig hält sie dennoch die ausdauernden Pflanzen für eine echte Alternative. Auch FAO-Abteilungsleiter Dreyer ist zuversichtlich, dass die Welt in den nächsten zehn Jahren einige ausdauernde Nahrungspflanzen kennenlernen wird. Im Frühjahr wird dann weiterhin gesät. Doch dann heißt es: Im Herbst wird geerntet, im Herbst wird geerntet, im Herbst wird geerntet.

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