Klimaanpassung:Die Schwamm-Fassade

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Hausfassaden werden bislang kaum für Maßnahmen zur Klimaanpassung genutzt. (Foto: Hendrik Schmidt/dpa)

In den Innenstädten staut sich im Sommer die Hitze. Ein neuartiges Speicherelement für Hauswände könnte die Umgebung kühlen - und auch vor Überschwemmungen schützen.

Von Gabriela Beck

Extremwetter wird normal. Hitzewellen nahmen in jüngster Vergangenheit in ihrer Häufigkeit und Intensität zu, hat der Deutsche Wetterdienst beobachtet. Temperaturen über 30 Grad hierzulande und Gluthitze bei 40 Grad am Mittelmeer sind keine Seltenheit mehr. Dazu kommen rabiate Wetterumschwünge mit Sturm und Starkregen. Mancherorts rauscht in einer Stunde so viel Wasser vom Himmel wie sonst über einen Monat verteilt.

Besonders in den Innenstädten mit ihren versiegelten Flächen, dichter Bebauung und tiefen Straßenschluchten staut sich die Hitze. Nachts geben Stein, Beton und Asphalt die tagsüber gespeicherte Wärme an die Umgebung ab und verhindern so ein Abkühlen der Luft. Der immer häufiger auftretende Starkregen wiederum überfordert die Kanalisation, die nicht auf derartige Wassermengen in kurzer Zeit ausgelegt ist. Die Folge: vollgelaufene Keller, überschwemmte Straßen und Schäden an der Bausubstanz.

"Eigentlich müssten wir jetzt sehr schnell reagieren", sagt Martina Winker, Expertin für Wasserinfrastruktur am Institut für sozial-ökologische Forschung ISOE. Doch eine Anpassung der Rohre und Auffanganlagen des städtischen Kanalsystems, der Kläranlagen und der Wasserversorgung bedeute einen enormen baulichen Aufwand über Jahre. "Diese Zeit haben wir nicht", betont Winker. Deshalb ist man parallel dazu übergegangen, anfallendes Regenwasser unter dem Stichwort "Schwammstadt" nicht mehr nur zu kanalisieren und abzuleiten, sondern lokal zwischenzuspeichern und vor Ort nutzbar zu machen - durch Entsiegelung, Dachbegrünung, Versickerungsmulden. Was dabei bislang aber kaum beachtet wurde: das Schwamm-Potenzial von Fassaden. Und das ist enorm.

Ein Element speichert rund 8100 Liter Wasser

Auf die Dachfläche eines typischen innerstädtischen Wohnblocks von 420 Quadratmetern prasseln innerhalb von 15 Minuten heftigen Starkregens 4200 Liter Wasser, haben Forschende beim Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik (UMSICHT) berechnet. Wasser, das oftmals ungenutzt über die Dachentwässerung abfließt und im schlechtesten Fall die Kanalisation zum Überlaufen bringt. "Wir möchten das Regenwasser, das am Gebäude anfällt, auch direkt am Gebäude speichern und nutzbringend einsetzen", sagt Holger Wack, stellvertretender Abteilungsleiter für Produktentwicklung am Institut. Ein Team entwickelt dazu ein neuartiges Speicherelement, den "Vertical-Water-Sponge".

Dieser vertikale Schwamm besteht aus Modulen mit einer tragenden, durchlässigen Hülle, zum Beispiel aus Lochblech, und einer wasserspeichernden Füllung aus mineralischen Materialien. Für die Füllung kommen idealerweise zerkleinerte Werkstoffe aus Recyclingprozessen wie etwa Ziegel, Kalksandstein, Porenbeton zum Einsatz, die über sehr gute Wasserspeicherkapazitäten verfügen. Die Module werden übereinandergesetzt, an die Fassade montiert und mit der Dachentwässerung verbunden.

Nach Angaben des Entwicklungsteams speichert ein solches Schwamm-Element mit einer Breite von anderthalb Metern und einer Tiefe von 50 Zentimetern bei einer Traufhöhe des Gebäudes von knapp elf Metern ungefähr 8100 Liter Wasser - je nach Füllmaterial. "Damit können wir auch länger anhaltende Niederschläge oder mehrmals hintereinander auftretende Starkregenereignisse abfangen, zumal es möglich ist, mehrere Elemente an eine Fassade zu montieren", erklärt Holger Wack. "Wir können also schnell große Mengen von Wasser aus dem System nehmen."

Das Wasser soll aber nicht nur gespeichert werden, sondern mittels Verdunstung auch zur Verbesserung des Mikroklimas in der direkten Umgebung beitragen - deshalb das Lochblech. Nicht zuletzt aufgrund der großen Oberfläche der zerkleinerten Füllmaterialien verspricht man sich am Fraunhofer UMSICHT eine Kühlwirkung über mehrere Tage.

Vermehrt auf Verdunstung zu setzen sei nach Ansicht vieler Fachleute nicht nur im Hinblick auf künftige Hitzeperioden sinnvoll, sagt Wasserinfrastruktur-Expertin Martina Winker, die an dem Projekt nicht beteiligt ist. "Kollegen haben ermittelt, dass der starke Fokus auf Versickerung allein nicht ausreicht. In unseren Städten braucht es mehr Verdunstung, um den Wasserkreislauf zu stützen."

Bei einer Fassadenbegrünung besteht das Risiko, dass die Pflanzen austrocknen

Eine Fassadenbegrünung kann zwar ebenfalls Wasser speichern und verdunsten. Allerdings muss sie immer ein gewisses Maß an Feuchtigkeit aufweisen, damit die Pflanzen nicht austrocknen. Überdies müsste die Niederschlagsmenge zwischengelagert und allmählich an die Pflanzen abgegeben werden. Das ist aufwendig, und meist fehlt der Platz für Speichertanks im innerstädtischen Raum. Der vertikale Wasserspeicher braucht vergleichsweise wenig Fläche. Er soll sowohl bei Neubauten als auch im Gebäudebestand eingesetzt werden. "Wir denken dabei an Wohnungs- oder Geschäftsbauten bis zu zehn Etagen Höhe", sagt Holger Wack.

In der Nutzung privater städtischer Flächen für Speicherung und Verdunstung von Regenwasser sieht Martina Winker ein besonderes Potenzial. "Die städtischen Behörden können nur auf öffentlichen Flächen planen, und die sind begrenzt. Wir müssen also die Grundstückseigentümer und Gebäudebesitzer mit ins Boot holen." Anreize wären da, denn die meisten Städte haben eine gesplittete Abwassergebühr. Das heißt, für abgeleitetes Regenwasser muss extra bezahlt werden. Wer Niederschlag auf seinem Grundstück zurückbehält, wird belohnt.

Noch steckt der vertikale Schwamm in der Entwicklungsphase. Nach Untersuchungen mit verschiedenen mineralischen Substraten wird nun auf dem Gelände des Fraunhofer UMSICHT in Oberhausen ein erster Demonstrator erstellt. Damit möchte das Forscherteam die Leistungsfähigkeit des Konzepts unter echten Standort- und Wetterbedingungen erproben.

"Wir müssen mit großen Niederschlagsmengen in Zukunft anders umgehen", resümiert Martina Winker. Die Frage sei doch: "Was wollen wir erreichen?" Soll mit Regenwasser das Stadtgrün bewässert werden? Soll damit der Grundwasserkörper aufgefüllt werden? Oder soll Regenwasser über Verdunstung zur Kühlung von städtischen Hitzeinseln beitragen? Für all diese Ziele gäbe es nicht die eine Technik, die überall sinnvoll ist, so Winker. "Wir brauchen einen Werkzeugkasten voller verschiedener Maßnahmen, die wir situationsabhängig einsetzen."

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