Grönland:Brüchiger Panzer der Arktis

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Auch die bislang als stabil geltenden Gletscher Grönlands verlieren immer mehr Eis (Foto: dpa)

Der Nordosten Grönlands war lange ein Hort der Stabilität, der Eispanzer schien zu halten. Bringt der Klimawandel nun das Eis zum Schmelzen?

Von Christopher Schrader

In Grönland verliert der Eispanzer auch in der letzten, bisher als stabil geltenden Region an Halt. Der Nordosten der großen Insel ist zwar sehr kalt und unzugänglich, aber die Gletscher Zachariae und Nioghalvfjerdsfjorden sind in den vergangenen zehn Jahren stark in Bewegung geraten, wie ein internationales Forscherteam um Shfaqat Khan vom Dänischen Raumfahrtzentrum zeigt. Die Zungen der beiden sind dünner geworden und zurückgewichen, und das Tempo, mit dem sie Eis vom Land ins Meer schieben, ist gestiegen.

Die beiden Gletscher sind die größten Auslässe für den nordöstlichen Eisstrom (Negis), der mehr als 600 Kilometer ins Innere reicht und ein Sechstel des grönländischen Eispanzers ausmacht. "Diese Veränderung ist neu und überraschend", sagt Khan. "Weil der Negis so groß ist, könnte er die Massenbilanz des ganzen Eispanzers in Zukunft erheblich verändern."

Die Gletscher tauen schneller

Grönland als Ganzes verliert zurzeit etwa 360 Milliarden Tonnen Eis pro Jahr. Verschiedene Messverfahren liefern dabei sehr ähnliche Ergebnisse. Manche Satelliten registrieren die lokale Veränderung der Schwerkraft, andere sowie Flugzeuge erfassen Variationen der Höhe des Eises. Der Genauigkeit halber addieren die Forscher zu den Metern, um die die Gletscheroberfläche sinkt, noch die Millimeter, um die sich der Fels unter dem Eis wegen der abnehmenden Belastung hebt. Weil das Eis immer dünner wird, trägt Grönland einen halben zu den drei Millimetern bei, die der Meeresspiegel jährlich ansteigt.

Der Massenverlust ist das Ergebnis von zwei Prozessen: Zum einen schmilzt Eis, und das Wasser rinnt durch Ritzen ins Meer. Zum anderen fließt das Eis selbst im Tempo zwischen einigen hundert Metern bis etlichen Kilometern pro Jahr sein Felsbett hinunter zum Ozean. Viele Gletscher haben sich in vergangenen Jahren beschleunigt. Rekordhalter ist immer noch der Jakobshavn Isbræ an der Westküste mit 16 Kilometern pro Jahr. Auch die beiden Ausflüsse des Negis gelten mit mehr als einem Kilometer pro Jahr als schnell.

Nach den Messungen des Teams um Khan wurden die Gletscher des nordöstlichen Eisstroms im Mittel der Jahre 2009 bis 2012 zusammen um 16 Milliarden Tonnen leichter. Sie hatten in dem Vierteljahrhundert bis 2003 noch als stabil gegolten. Die Forscher schließen das aus dem Vergleich von Luftbildern der Küstenregion aus dem Jahr 1978 mit Satellitenaufnahmen von 2003, die sich nur wenig unterscheiden ( Nature Climate Change, online).

Instabiler Nordosten

Doch just in jenem Jahr müssen der Zachariae-Gletscher und sein meist nur "79 Grad" genannter Nachbar so richtig in Schwung gekommen sein. Es war sehr warm in der Gegend, ganze zwei Grad Celsius wärmer als 1978, und das normalerweise dicke Packeis auf dem Meer vor den Gletscherzungen war praktisch weg. Beide Eisflüsse waren von dem Hindernis befreit und kalbten ausgiebig. Gewaltige Eisberge krachten von den Fronten. Dadurch nahm weiter oben auf den Gletschern der Druck ab. Messungen am Zachariae-Gletscher zeigen, dass das Eis der Zunge 2012 um 600 Meter pro Jahr schneller als 2001 floss - und 25 Kilometer landeinwärts immerhin 200 Meter pro Jahr schneller.

Khan vermutet, dass die Zunge des Zachariae-Gletschers inzwischen auf einer dünnen Wasserlage schwimmt, wie es beim "79 Grad" schon der Fall ist. Das beschleunigt den weiteren Eisverlust. "Veränderungen am Rand des Eispanzers beeinflussen die Massenbilanz tief in seinem Zentrum", sagt er. Sein Ko-Autor Michael Bevis von der Ohio State University ergänzt: "Grönlands Beitrag zum Meeresspiegelanstieg könnte in der Zukunft noch wachsen".

Angelika Humbert vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven, die an der Studie nicht beteiligt war, findet die Arbeit "beeindruckend". Dass der Nordosten Grönlands nicht stabil ist, bestätigten Daten, die das AWI mit dem Satelliten Cryosat im Winter 2012/2013 gesammelt hat und in wenigen Tagen veröffentlicht. "Es ist schon ein Signal, dass jetzt auch der Negis, also der größte Eisstrom Grönlands, in Bewegung gekommen ist", sagt sie.

© SZ vom 18.03.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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