Gleichberechtigung:Teufelskreis der Geschlechter

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Männer in der Überzahl sind gegenwärtig ein Quell der öffentlichen Empörung. (Foto: dpa)

Chancengleichheit wird nicht automatisch dazu führen, dass Frauen und Männer überall in gleicher Zahl repräsentiert sind. Das ist kein Grund zur Empörung.

Kommentar von Sebastian Herrmann

Männer provozieren gegenwärtig reflexartig Wut. Sobald diese garstigen Wesen in irgendeinem Kontext die Mehrheit stellen, schäumen die Münder. Zu viele Kerle in Führungspositionen, in Parlamenten, auf Diskussionspanels oder auch nur auf öffentlich geteilten Fotos und schon wittern die Geschlechter-Empörten das zerstörerische Werk des sogenannten Patriarchats. Jedes numerische Ungleichgewicht zu männlichen Gunsten gilt als Beleg, dass in der Gleichberechtigung nichts erreicht worden sei und der Kampf intensiviert werden müsse.

Konsequent weitergedacht, könnte das dafür sorgen, dass dies zu einem wirklichen Krieg der Geschlechter eskaliert. Gerade demonstrieren nämlich Wissenschaftler im Fachmagazin Science, dass Gleichberechtigung Unterschiede zwischen Männern und Frauen verstärkt - nicht aber verringert. Und da jede Ungleichheit reflexartig als Beleg für die Unterdrückung von Frauen gewertet wird, entwickelt sich da potenziell ein astreiner Teufelskreis.

Zu den absolut genderneutralen Lebenszielen, so schreiben die Forscher, zähle es, zu überleben und irgendwie ein Auskommen zu finden. Den Luxus der Selbstverwirklichung können sich hingegen nur die Bewohner wirtschaftlich hoch entwickelter Länder leisten. In den von den Wissenschaftlern analysierten Daten von 80 000 Menschen aus 76 Ländern zeigt sich denn auch, dass Gleichberechtigung stark mit der wirtschaftlichen Entwicklung korreliert: Je besser es den Bewohnern eines Landes in ökonomischer Hinsicht geht, desto höher schneidet der Staat auch in Sachen Geschlechtergerechtigkeit ab. Von wirtschaftlichen Zwängen befreit, können Männer und Frauen leichter ihren persönlichen Interessen und Vorlieben nachgehen.

Und hier wird es schließlich kompliziert: Denn diese entwickeln sich durch Gleichberechtigung auseinander. In der aktuellen Studie haben die Forscher fundamentale Faktoren gemessen, die zur Entstehung von Präferenzen beitragen: unter anderem Geduld, Risikobereitschaft, Altruismus oder Vertrauen. In Ländern mit traditionellen Rollenbildern unterscheiden sich die Geschlechter dabei geringer als in fortschrittlichen Staaten.

Wenn Gleichheit aber die Interessen der Geschlechter auseinanderdriften lässt, wird sich dies zum Beispiel in der Wahl von Berufen oder Studienfächern niederschlagen. Das wird zahlenmäßige Ungleichheiten verstärken, was wiederum als weiterer Beleg für Unterdrückung gewertet werden wird. Es wäre Zeit, ernsthaft darüber zu debattieren, dass Gleichheit von Chancen nicht automatisch dazu führen wird, dass Frauen und Männer überall in gleicher Zahl repräsentiert sind. Doch so eine Diskussion taugt dummerweise nicht für den emotionalen Empörungspopulismus unserer Zeit.

© SZ vom 20.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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